Sicherheitsforschung Lysozymkartoffel

Das Eigenleben der Bodenbakterien

Das Gebäude der Universität Rostock steht altehrwürdig in unmittelbarer Nachbarschaft einer Schrebergartenanlage. Dr. Inge Broer geht zielstrebig voran durch ein schönes weitläufiges Treppenhaus, zwei Stockwerke hoch in ihr Reich. Labore, die immer ein bisschen so aussehen wie Großküchen, darin jede Menge Kühlschränke, kleine Pflänzchen in Glasröhren, Bakterienkulturen in flachen runden Dosen, auch Rhizobien. Mit diesen nützlichen Bakterien hat Inge Broer sich gründlich beschäftigt. Ihre Arbeitsgruppe wollte wissen, ob die T4-Lysozym-Kartoffel Rhizobien beeinflusst.

Dr. Inge Broer, Universität Rostock

Knöllchen an den Wurzeln einer ausgegrabenen Wicke. Knöllchenbakterien gehen eine Symbiose ein mit Hülsenfrüchten. In diesem Projekt wurden Wildtyp-Wicken verwendet

Knöllchen an den Wurzeln einer ausgegrabenen Wicke

Rhizobien sind nützliche Bakterien, die mit Pflanzen eine Symbiose eingehen. Sie bilden an den Wurzeln Knöllchen, in denen sie leben, deshalb nennt man sie auch Knöllchenbakterien. Von Nutzen sind sie deshalb, weil sie den Luftstickstoff binden und ihn so für die Pflanze verwertbar machen.

durchgeschnittenes Knöllchen

durchgeschnittenes Knöllchen

in einem Nährmedium kultivierte Rhizobien

in einem Nährmedium kultivierte Rhizobien

Anlage der Versuchskreise. Kartoffeln und Wicken sollten in unmittelbarer Nachbarschaft wachsen. Hierzu wurden Kreise angelegt, in den inneren Kreis transgene und in den äußeren Kreis nicht-transgene Kartoffeln gepflanzt. Dazwischen wurden Wicken g

Im Freiland: Abgezäunte Kreise werden angelegt

Innerer Kreis mit T4-Lysozym-Kartoffeln, äußerer Kreis mit nicht-transgenen Kartoffeln. Beide Kreise mit Wicken durchmischt.

In diese Kreise wurden Kartoffeln gepflanzt und dann Wicken dazwischen gesät. Im inneren Kreis wachsen transgene, im äußeren Kreis nicht-transgene Kartoffeln.

miteinander verflochtene Kartoffel- und Wickenpflanzen

Miteinander verflochtene Kartoffelpflanzen und Wicken

Sieben Jahre lang hat ein Verbund von Wissenschaftlern Begleitforschung zur T4-Lysozym-Kartoffel gemacht. Das ist eine Kartoffel, die einen Stoff produziert, der die Zellwand von Bakterien zerstört. Damit kann die Kartoffel sich besser wehren gegen Erwinia Carotovora, den Erreger der Knollennassfäule. Wenn aber, so die Ausgangsfragestellung der Sicherheitsforschung, T4-Lysozym Erwinia angreift, was ist dann mit all den andern Bakterien, die im Umfeld der Kartoffel leben?

„Wir haben am Anfang verschiedene Bakterien daraufhin untersucht, ob sie empfindlich sind gegenüber Lysozym und da waren die Rhizobien die empfindlichsten, was die Langzeitwirkung betrifft“, erzählt Inge Broer, „nach einer Stunde sehen wir so gut wie keine Reaktion, aber dann geht das Überleben deutlich runter. Und das schien uns wichtig zu sein, denn das Lysozym wird im Freiland ja auch dauernd in geringen Mengen ausgeschieden.“

Diese Langzeitempfindlichkeit war der eine Grund, Rhizobien als Modellorganismus auszuwählen. Ein weiterer Grund war, dass man sie sehr gut untersuchen kann. Dadurch, dass sie Knöllchen bilden, kann man sie leicht aus dem Boden isolieren und die einzelnen Stämme gut charakterisieren. Außerdem ist die Knöllchenbildung, die so genannte Nodulation, selbst ein gut sichtbarer Indikator dafür, ob die Bakterien im Wachstum beeinträchtigt sind oder nicht.

Rhizobien gehen nur mit ganz bestimmten Pflanzen eine Symbiose ein, nämlich mit Leguminosen, das sind Hülsenfrüchte. Um also herauszufinden, welchen Einfluss T4-Lysozym auf Knöllchenbakterien hat, brauchte es eine Modellpflanze, an der man die Knöllchenbildung im Labor und im Freiland beobachten konnte. Dafür wurden Wildtyp-Wicken genommen.

‘worst case’ im Labor

Zunächst wurden die Rhizobien im Labor gründlich getestet. Sie wurden in Sterilmedien vermehrt und dann unterschiedliche Mengen Lysozym dazugegeben. Man konnte sehen, dass Lysozym die Bakterien drastisch am Wachstum hindert. Für eine weitere Untersuchung wurden transgene Wicken hergestellt, die genau wie die Kartoffeln T4-Lysozym produzierten. Bei diesen Pflanzen ging die Bildungsrate der Knöllchen im Vergleich mit Pflanzen, die kein Lysozym produzieren, um etwa die Hälfte zurück.

Das war der „worst case“, wie Inge Broer es ausdrückt. Damit stellte sich natürlich die Frage, ob auch im Freiland eine solche Reaktion zu sehen sein würde. „Im Labor konnten wir ganz wunderbar zeigen, dass die Rhizobien empfindlich sind. Und dann haben wir diese Pflanzen, die Lysozym produzieren, im Gewächshaus in die Erde gepflanzt, in sterile Erde, und der Effekt war weg.“

Hintergrundrauschen

Was würde im Freiland passieren? Die transgenen Kartoffeln wurden in unmittelbarer Nähe zu Wildtyp-Wicken angepflanzt, im ersten Jahr noch mit relativ großem Abstand. Im zweiten Jahr wurden Kreise gemacht, in denen die Kartoffeln und die Wicken eingezäunt werden sollten. Aus diesen Kreisen wurde die Erde rausgeholt, gut vermischt und wieder zurückgegeben, damit in allen Kreisen die gleiche Erde war. Dann wurden in den inneren Kreis transgene Kartoffeln und in den äußeren nicht-transgene Kartoffeln gepflanzt und schließlich die Wicken dazwischengesät, so dass sie völlig miteinander verflochten waren. „Wir sind davon ausgegangen, wenn die Kartoffeln Lysozym in den Boden abgeben, dann muss das die Rhizobien erreichen. Aber im Feiland war der Effekt genauso wenig da wie in der sterilen Erde im Topf. Wir haben genau gesehen, was das Wetter macht, was die Beschattung macht, aber es gab keine auf Lysozym zurückführbaren Effekte.“

Das kann zwei Ursachen haben, erläutert Inge Broer. Möglicherweise bindet das T4-Lysozym an Bodenpartikel und wird dadurch inaktiviert, so dass es Bakterien nicht mehr angreift. Das ist aber noch nicht abschließend untersucht.

Viel entscheidender aber sind ihrer Ansicht nach die spezifischen Bedingungen des Standortes, die sowieso da sind und die Rhizobien viel stärker beeinflussen. Inge Broer nennt das „Hintergrundrauschen“. Solche Effekte seien viel gravierender. „Selbst in diesen vier Kreisen, die den gleichen Boden hatten, den haben wir gemischt ohne Ende, die hätten alle die gleichen Ergebnisse liefern müssen, haben sie aber nicht, weil schon wieder ein bisschen mehr Sonneneinstrahlung oder sonst was an der Geschichte war … „