Bei archäologischer Ausgrabung in schwer zugänglicher Höhle

Uralte Gerstensamen mit wertvollen Informationen entdeckt

22.07.2016 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Die in den Samen enthaltene genetische Information könnte entscheidend sein, um verloren gegangene Variationen wieder zum Leben zu erwecken und nutzbar zu machen. (Bildquelle: © Johannes D. / wikimedia.org; CC BY 3.0)

Die in den Samen enthaltene genetische Information könnte entscheidend sein, um verloren gegangene Variationen wieder zum Leben zu erwecken und nutzbar zu machen. (Bildquelle: © Johannes D. / wikimedia.org; CC BY 3.0)

6.000 Jahre sind die Gerstenkörner alt, die Wissenschaftler bei einer archäologischen Ausgrabung in einer Höhle nahe dem Toten Meer fanden. Die vollständige Genomanalyse zeigte: Die Domestikation von Gerste war bereits vor 6.000 Jahren schon abgeschlossen. Die genetischen Informationen, die in den 6.000 Jahre alten Samen enthalten sind, könnten möglicherweise entscheidend sein, um verloren gegangene, innerartliche Variationen wieder zum Leben zu erwecken und für die Züchtung nutzbar zu machen.

In der judäischen Wüste in der Nähe des Toten Meeres gibt es eine Höhle, die schwer zugänglich ist. Der Grund dafür: Der Eingang zur Yoram Höhle liegt in einer fast senkrecht aufragenden Felswand rund vier Meter oberhalb eines schmalen Pfades. Die Yoram Höhle wurde mutmaßlich nur für kurze Zeit von Menschen genutzt, vermutlich als Zufluchtsort. Dort haben Wissenschaftler nun bei einer systematischen archäologischen Ausgrabung neben zehntausenden anderen pflanzlichen Überresten auch uralte Gerstenkörner gefunden.

Vergleich von alten und neuen Genomen

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Der Eingang zur Yoram Höhle liegt in einer fast senkrecht aufragenden Felswand rund vier Meter oberhalb eines schmalen Pfades

Der Eingang zur Yoram Höhle liegt in einer fast senkrecht aufragenden Felswand rund vier Meter oberhalb eines schmalen Pfades

Bildquelle: © Ehud Weiss/ Credit: Nature genetics, DOI: 10.1038/ng.3611

Das Alter der alten Samen bestimmten die Forscher mit Hilfe der Radiokarbonmethode. Trotz des stolzen Alters von 6.000 Jahren gelang es ihnen, das komplette Genom der Gerstensamen zu rekonstruieren und mit den Genomen heutiger Gerstensorten zu vergleichen. „Dieser Fund bot uns eine einmalige Gelegenheit, ein steinzeitliches Pflanzengenom zu entschlüsseln. Aufgrund der Trockenheit in der Region konnte sich das Erbmaterial über Jahrtausende erhalten", erklärt Ehud Weiss von der Bar-Ilan Universität in Ramat Gan, Israel. Das jetzt rekonstruierte Gerstengenom ist das älteste bislang jemals rekonstruierte Pflanzengenom. „Alte DNA ist für uns wie eine Zeitmaschine, mit der wir an einzelne Zeitpunkte in der Domestikationsgeschichte von Kulturpflanzen zurückreisen können“, sagt Johannes Krause, Leiter der Abteilung Archäogenetik am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena. Der Ansatz ist neu, denn die Analysen archäo-botanischer Funde waren bislang meist auf morphologische Vergleiche mit den heute existierenden Sorten begrenzt. Nur für Mais konnte bisher das prähistorische Genom entschlüsselt werden.

Domestikation bereits in der Steinzeit abgeschlossen

Weizen und Gerste wurden im Fruchtbaren Halbmond, einem sichelförmigen Gebiet, das sich heute vom Irak bis nach Jordanien erstreckt, schon vor 10.000 Jahren angebaut. Hier kommen auch heute noch die Wildformen dieser Getreidearten vor. „In dieser Region hat der Getreideanbau seinen Ursprung und von hier breitete er sich später nach Europa, Asien und Nord-Afrika aus“, erklärt Tzion Fahima von der Universität Haifa, Israel.

„Unsere Analyse ergab, dass die vor 6.000 Jahren angebauten Sorten sich genetisch bereits sehr deutlich von den Wildformen unterscheiden. Dagegen weisen sie mit den heutigen domestizierten Sorten große Ähnlichkeiten auf“, erläutert Nils Stein, der den Vergleich mit den heutigen Genomen am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben, leitete. „Das zeigt, dass die Domestikation der Gerste bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt abgeschlossen war.“

Ausgangspunkt der Domestikation genauer lokalisiert

Der Vergleich von steinzeitlichen Samen, Wildformen aus der Region und sogenannten Landrassen, d. h. lokal von Bauern im Nahen Osten angebauten Gerstensorten, ermöglicht es auch, den Ausgangspunkt der Domestikation genauer als bisher zu lokalisieren. „Die Domestikation der Gerste begann im oberen Jordantal“, so Tzion Fahima von der Universität Haifa. Eine Hypothese, die auch durch die Archäologie gestützt wird, denn an zwei Ausgrabungsstätten in der Nähe fand man die bislang ältesten Belege für Gerstenanbau.

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Dank der extremen Trockenheit der judäischen Wüste ist pflanzliches Material außerordentlich gut erhalten | Rechts: Aufnahme eines in der Yoram-Höhle gefundenen Gerstenkorns.

Dank der extremen Trockenheit der judäischen Wüste ist pflanzliches Material außerordentlich gut erhalten | Rechts: Aufnahme eines in der Yoram-Höhle gefundenen Gerstenkorns.

Bildquelle: © Ehud Weiss/ Credit: Nature genetics, DOI: 10.1038/ng.3611

Große Ähnlichkeit trotz massiv veränderter Umweltparameter

Auch die Ähnlichkeit zwischen prähistorischen Samen und heutigen Landrassen aus der sogenannten Levante, den Ländern am östlichen Mittelmeer, ist für die Wissenschaftler aufschlussreich. "Diese Ähnlichkeit ist erstaunlich, wenn man bedenkt, dass sich in diesem langen Zeitraum das Klima stark verändert hat, Flora und Fauna durch den Menschen beeinflusst wurden und sich die landwirtschaftlichen Methoden veränderten“, sagt Martin Mascher vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung, Gatersleben. Die Forscher vermuten deshalb, dass zwar durch Eroberung und Migration neue Menschen in die Region einwanderten, dass diese jedoch nicht ihre eigenen Samen mitbrachten, sondern auf die bereits domestizierten Nutzpflanzen vor Ort vertrauten.

Neue Einblicke in den Ursprung unserer Kulturpflanzen

Durch die Verbindung von Archäobotanik und Genetik eröffnet die aktuelle Studie ganz neue Einblicke in den Ursprung unserer Kulturpflanzen. „Wir stehen erst am Anfang eines neuen Forschungszweigs. Zukünftig wird die Analyse von DNA-Sequenzen aus archäologischen Überresten prähistorischer Pflanzenarten ganz neue Erkenntnisse zu Ursprung, früher Domestikation und anschließender Verbreitung von Kulturpflanzen bieten“, prognostiziert Verena Schuenemann von der Universität Tübingen.

Verlorengegangene, innerartliche Variationen können wieder zum Leben erweckt werden

Martin Mascher vom IPK Gatersleben erklärt weiter, wie Züchter auch heute schon von den gewonnenen Daten profitieren: „Züchter versuchen die genetische Diversität in ihrem Zuchtmaterial zu erhalten und möglichst zu vergrößern. Die genetische Information, die in den 6.000 Jahre alten Samen enthalten sind, könnte möglicherweise entscheidend sein, um verlorengegangene, innerartliche Variationen wieder zum Leben zu erwecken und für die Züchtung heutiger Sorten nutzbar zu machen. Wir können nun in Genbanken und Samensortiments nach seltenen Landrassen suchen, die dieselben Gene oder Allele wie die Gerste von vor 6.000 Jahren tragen, und versuchen, diese wieder in Elitesorten einzukreuzen.“


Quelle:
Mascher, M. et al. (2016): Genomic analysis of 6,000-year-old cultivated grain illuminates the domestication history of barley. Nat Genet. 2016 Jul 18. doi: 10.1038/ng.3611.

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Titelbild: Die in den Samen enthaltene genetische Information könnte entscheidend sein, um verloren gegangene Variationen wieder zum Leben zu erwecken und nutzbar zu machen. (Bildquelle: © Johannes D. / wikimedia.org; CC BY 3.0)