Ständig unter Strom

Wie Pflanzen nervenähnliche Signalsysteme zur Reizweiterleitung nutzen

18.12.2009 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

(Quelle: © iStockphoto.com/ bezmaski)

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Dass Tiere und damit auch Menschen ihre Sinnesleistungen, Bewegungen und Reaktionen vor allem der schnellen Signalweiterleitung über die Nerven verdanken, ist lange bekannt. Es mehren sich aber die Erkenntnisse, dass auch Pflanzen auf diese Form elektrischer Signale zurück greifen, obwohl sie ruhig an einer Stelle stehen und nicht vor einem Raubtier davonlaufen müssen.

Elektrische Signale bei Pflanzen sind lange bekannt, einige Anwendungen inzwischen aufgeklärt

Bereits 1873 entdeckte der britische Physiologe Sir John Scott Burdon-Sanderson, dass Venusfliegenfallen den Motor ihres Klappmechanismus mit Hilfe von elektrischen Signalen, sogenannten Aktionspotenzialen, aktivieren. In den 1960er Jahren konnte Dietrich Gradmann spontane Aktionspotentiale bei Algen nachweisen. Nicht zuletzt aufgrund vielfältiger neuer Beispiele streiten sich die Gelehrten darüber, wie weit die Fähigkeit zur Verarbeitung von Informationen bei Pflanzen geht. Sind Pflanzen vielleicht sogar intelligent?

Unter den zuletzt beschriebenen „Pflanzen unter Strom“ sind bekannte Zier- und Nutzpflanzen: Der Hibiskus beispielsweise bereitet mit Hilfe von Aktionspotenzialen kommendem Nachwuchs den Boden. Die Pflanze schickt Signale an das im Inneren der Blüte liegende Ovar mit der Eizelle sobald eine Bestäubung stattgefunden hat. Diese steigert darauf hin die Stoffwechselaktivität. Tabakpflanzen lösen ein Aktionspotenzial aus, wenn sie verletzt werden. Sie kurbeln damit die Produktion von Abwehrstoffen an. Forscher am Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie in Jena haben herausgefunden, dass etwas später noch ein weiteres, in seiner Stärke sehr variables elektrisches Signal folgt. Dieses gibt möglicherweise Auskunft über den Grad der Verletzung, wie der MPI-Forscher Axel Mithöfer spekuliert.

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Der Hibiskus steigert durch Aktionspotenziale die Stoffwechselaktivität.

Der Hibiskus steigert durch Aktionspotenziale die Stoffwechselaktivität.

Bildquelle: © Andreas Hermsdorf / pixelio.de

Maiswurzeln senden per Stromstoß die Info "Wasser!" an den Rest der Pflanze, wenn sie nach einer Durstzeit wieder das kühle Nass zur Verfügung haben. Oberhalb der Maiswurzelspitze wurde außerdem ein Zellkonglomerat nachgewiesen, das permanent elektrische Signale erzeugt, teilweise sogar in einer gehirnähnlichen, synchronisierten Aktivität. 

Mechanismus und Funktion völlig anders als im Tierreich

Von einer „Pflanzen-Neurobiologie“ zu sprechen, halten viele Botaniker aber für übertrieben. Zum Einen sei der Begriff „Neuro“ an Nerven und Synapsen gebunden und somit tabu. Zum Anderen nutzen Pflanzen andere Mechanismen zur Erzeugung ihrer Aktionspotentiale und wurden ursprünglich auch für ganz andere Zwecke verwendet: 

Bei Tieren erfolgt die Änderung des Membranpotentials durch Einstrom positiver Natriumionen und anschließender Ausschleusung von ebenfalls positiven Kaliumionen. Pflanzen lassen negative Chloridionen ausströmen und gleichen die Ladung anschließend durch Nachströmen positiver Kaliumionen aus. In Summe ergibt sich ein Verlust von Ladungsträgern in den Zellen. Pflanzen haben ihre Aktionspotentiale also ursprünglich dazu genutzt, ständig aus dem Meerwasser einströmendes Kalium und Chlorid wieder loszuwerden. Diese ständige Erhöhung der Salzkonzentration in den Zellen wird auf Dauer nämlich zu einem ernsten Problem, da nachströmendes Wasser die Zellen zum Platzen bringen kann. Dass höhere Pflanzen elektrische Signale obendrein noch für manche Informationsweiterleitung nutzen, war eine spätere Entwicklung. Die Entwicklung des tierischen Nervensystems hingegen verlief völlig anders – und mit einem völlig anderen Resultat.


Die Zeitschrift „Bild der Wissenschaft“ hat den Stand der Forschung in ihrer aktuellen Ausgabe zusammengefasst und allgemeinverständlich interessant dargestellt.

Quelle:

  • www.wissenschaft.de, 26.10.2009