Der heiße Draht

Angefressene Tomatenfrüchte senden elektrische Warnsignale

02.08.2021 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Die Raupe der Baumwoll-Kapseleule knabbert an einer unreifen Tomate. (Bildquelle: © iStock.com/ajcespedes)

Die Raupe der Baumwoll-Kapseleule knabbert an einer unreifen Tomate. (Bildquelle: © iStock.com/ajcespedes)

Können Pflanzen auch elektrische Signale senden? Forscher:innen untersuchen, ob auf diese Weise unterschiedliche Pflanzenteile miteinander kommunizieren können.

Wie reagieren Pflanzen auf einen Schädlingsangriff? Diese Frage wurde schon aus verschiedenen Blickwinkeln untersucht. Die bisherigen Erkenntnisse: Pflanzen haben eine große Bandbreite an biochemischen Warnmöglichkeiten, die die gesamte Pflanze in Alarmbereitschaft versetzten können. Neuere Untersuchungen legen nahe, dass auch elektrische Signale dabei eine Rolle spielen. Allerdings gab es bisher hauptsächlich Untersuchungen, die sich auf benachbarte Zellen bezogen. Ob elektrische Signale auch größere Distanzen überbrücken können – etwa zwischen Früchten und dem Rest der Pflanze – war bislang unklar. In einer neuen Studie haben sich Forscher:innen jetzt mit diesem Thema befasst.

Angriff und Abwehr

Greift ein Schädling eine Pflanze an, „informiert“ der betroffene Pflanzenteil den Rest der Pflanze. Das Signal dazu sind beispielsweise Phytohormone, die durch den Assimilatstrom im Phloem transportiert werden. In der Folge kommt es auch in entfernteren Teilen der Pflanze zu „Gegenmaßnahmen“, so werden beispielsweise Reaktiven Sauerstoffspezies (Reactive Oxigen Species, ROS) ausgeschüttet. ROS lösen zur Pathogenabwehr einen sogenannten Oxidative Burst aus. Neuere Forschungsarbeiten haben zudem ergeben, dass Pflanzenteile auch elektrische Signale weiterleiten können, obwohl sie keine Nerven besitzen. Dafür haben Forscher:innen den Begriff „Elektrom“ geprägt. Er umfasst die Gesamtheit der elektrischen Signale bzw. Ionenflüsse, mit der eine Pflanze auf äußere Reize reagieren kann. Die Weiterleitung dieser elektrischen Signale findet über das Phloem statt.

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Früchte der Tomate (Solanum lycopersicum) können wahrscheinlich mit der restlichen Pflanze über elektrische Signale kommunizieren.

Früchte der Tomate (Solanum lycopersicum) können wahrscheinlich mit der restlichen Pflanze über elektrische Signale kommunizieren.

Bildquelle: ©  Kie-ker/Pixabay

Bisher ist allerdings kaum geklärt, ob diese elektrischen Signale auch über größere Distanzen in der Pflanze geleitet werden können. Daher untersuchten die Forscher:innen was passiert, wenn eine Frucht von Herbivoren angefressen wird. Ein Stofftransport durch das Phloem zur Signalübermittlung scheidet hier eher aus, da der Assimilatstrom zu den Früchten eine Einbahnstraße ist.

„Frucht an Pflanze: Achtung Angriff!“

Zunächst hat das Team Tomatenpflanzen in Faraday'schen Käfigen eingeschlossen. Damit werden die Versuchspflanzen vor äußeren elektrischen Einflüssen abgeschirmt. Mit Elektroden an den Stielen einiger Früchte konnten die Forscher:innen dann die auftretenden Ströme messen, die vor, während und nach einem Herbivorenangriff durch Raupen der Baumwoll-Kapseleule (Helicoverpa armigera) auftraten. Die so gewonnenen Daten werteten sie über Maschinelles Lernen aus, um charakteristische Signalmuster zu identifizieren.

Die elektrischen Signale vor und während des Angriffs unterschieden sich signifikant. Ebenso waren Unterschiede bei reifen und unreifen Früchten feststellbar, die sich aber während eines Angriffs wieder anglichen. Die Forscher:innen vermuten daher, dass das elektrische Signal für „Achtung Angriff!“ alle anderen elektrischen Signale überlagert. Parallel dazu registrierten sie 24 bis 48 Stunden nach dem Raupenangriff einen erhöhten Gehalt von Reaktiven Sauerstoffspezies, insbesondere von Wasserstoffperoxid (H2O2), in benachbarten und weiter entfernten unbeschädigten Früchten und Blättern. Das werteten die Forscher:innen als Indiz für die durch die elektrischen Signale induzierte Abwehr der Pflanze.

Erste Einsichten

Die Forscher:innen betonen, dass diese Ergebnisse lediglich erste Hinweise in die Funktionsweise elektrischer Kommunikation von Pflanzen liefern. Weitere Arbeiten müssen zeigen, ob auch andere Pflanzenarten ähnliche Reaktionen zeigen und ob es möglich ist, charakteristische Signale und die spezifischen Reaktionen darauf zu unterscheiden. Die Auswertung dieser Signale über Maschinelles Lernen eröffnet nach Meinung der Forscher:innen eine neue Möglichkeit für die Früherkennung von Herbivorenangriffen bei Nutzpflanzen. So könnte es zukünftig möglich sein, eine frühzeitige und damit umweltfreundlichere Bekämpfung einzuleiten.


Quelle:
Niemeyer Reissig, G. et al. (2021): Fruit herbivory alters plant elektrome: Evidence for fruit-shoot long-distance electrical signaling in tomato plants. In: Frontiers In Sustainable Food Systems, Vol 5, (20. Juli 2021), doi: 10.3389/fsufs.2021.657401.

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Die Raupe der Baumwoll-Kapseleule knabbert an einer unreifen Tomate. (Bildquelle: © iStock.com/ajcespedes)