Fall gelöst

Biosynthese von Strychnin aufgeklärt

12.08.2022 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Der Brechnussbaum wird umgangssprachlich auch Strychninbaum genannt, weil er das giftige Strychnin bildet. (Bildquelle: © Dinesh Valke/wikimedia.org; CC BY-SA 2.0)

Der Brechnussbaum wird umgangssprachlich auch Strychninbaum genannt, weil er das giftige Strychnin bildet. (Bildquelle: © Dinesh Valke/wikimedia.org; CC BY-SA 2.0)

Rund 75 Jahre nach der ersten Strukturaufklärung von Strychnin ist es nun erstmalig gelungen, den vollständigen Biosynthesewegs des giftigen Moleküls im Brechnussbaum zu enträtseln und in Tabakpflanzen nachzubauen.

Es war ein Krimi mit überraschendem Ende: Pflanzenforscher:innen ist es gelungen, die Biosynthese von Strychnin aufzuklären und mittels Metabolic Engineering in der Modellpflanze Nicotiana benthamiana nachzubilden. Doch zuvor galt es, eine ganze Menge biochemischer Indizien zu deuten und diesen Spuren Stück für Stück nachzugehen.

Strychnin ist so manchen Krimi-Fans gut bekannt. Das Gift der Brechnuss kam unter anderem bei der Autorin Agatha Christie mehrfach als Mordwerkzeug zum Einsatz. Legal genutzt wird Strychnin in erster Linie als Rattengift. Die chemische Struktur dieses tödlichen Moleküls ist seit gut 75 Jahren bekannt. Es galt seinerzeit – gemessen an seiner Größe – als die komplexeste bekannte chemische Verbindung. Strychnin hat seitdem viele chemische Synthesen inspiriert – doch seine natürliche Biosynthese blieb bis vor kurzem ein Geheimnis.

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Forscher:innen des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie haben die Strychnin-Biosynthese im Brechnussbaum Strychnos nux-vomica aufgeklärt.

Forscher:innen des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie haben die Strychnin-Biosynthese im Brechnussbaum Strychnos nux-vomica aufgeklärt.

Bildquelle: © Danny Kessler, Max-Planck-Institut für chemische Ökologie

Indiziensuche

Das Team vom Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie in Jena hat sich mit viel Detektivgeist daran gemacht, dieses Rätsel zu lösen. Ein gewisses Vorwissen half beim Start. So war bereits bekannt, dass Strychnin wie alle Monoterpenindolalkaloide seinen Ursprung in Tryptophan und Geranylpyrophosphat hat. Diese werden zunächst zu Geissoschizin und danach über unbekannte Zwischenschritte zu Wieland-Gumlich-Aldehyd umgewandelt. Letzteres könnte dann durch den Einbau von Acetat zu Strychnin reagieren – soweit die Theorie.

Um die Theorie zu beweisen, verglich das Forschungsteam den Stoffwechsel zweier Mitglieder der Pflanzengattung Strychnos: den Brechnussbaum S. nux-vomica, der Strychnin vor allem in seinen Wurzeln bildet, und Strychnos sp., der gar kein Strychnin produziert, wohl aber das verwandte Alkaloid Diabolin. Anhand von RNA-Sequenzierungsdaten suchten die Fachleute dann nach den Genen für jene Enzyme, die an der Bildung von Strychnin beteiligt sein könnten.

Spurensuche in verwandten Arten

Die enzymatischen Schritte bis zum Geissoschizin waren bereits aus der phylogenetisch verwandten Heilpflanze Catharanthus roseus (Madagaskar-Immergrün) bekannt. Für jeden Schritt dieser Biosynthese fanden sich in der Brechnuss homologe Gene, die auch bevorzugt in den Wurzeln exprimiert wurden – ein Hinweis darauf, dass dieser Syntheseweg zwischen beiden Arten konserviert ist.

Für die weiteren Reaktionsschritte suchten die Pflanzenforscher:innen speziell nach Genen, die bei der Brechnuss in der Wurzel exprimiert werden, mit bekannten Genen des Synthesewegs koexprimiert werden und die für Gene kodieren, deren katalytische Funktion zur chemischen Logik des mutmaßlichen Synthesewegs passt.

Chemische Logik für biologische Rätsel

Denkbar war beispielsweise, dass das Wieland-Gumlich-Aldehyd durch Hydrolyse, Decarboxylierung, Oxidation und Reduktion aus dem Intermediat Dehydropreakuammicin entsteht. In diesem Fall sollte es in der Brechnuss das Enzym Geissoschizin-Oxidase geben, wie es aus C. roseus bereits isoliert worden ist. Tatsächlich fand das Forschungsteam ein potenzielles Homolog. Als die Fachleute das Gen im Modellorganismus N. benthamiana exprimierten und Geissoschizin hinzu gaben, konnten sie in den Blattextrakten Akuammicin nachweisen, das durch Deformylierung von Dehydropreakuammicin entsteht.

Damit es zu dieser Deformylierung kommen kann, ist eine α/β-Hydrolase erforderlich. Von fünf wahrscheinlichen Kandidaten zeigten zwei in N. benthamiana die erhoffte Reaktion, die letztlich zur Bildung des Alkaloids Norfluorocurarin führt.

Um daraus ein Wieland-Gumlich-Aldehyd zu bilden, sind eine Hydroxylase und eine Reduktase erforderlich. Auch für diese beiden Fälle fanden die Forscher:innen Kandidatengene, von denen eine bestimmte Kombination in N. benthamiana tatsächlich zur Anhäufung von Wieland-Gumlich-Aldehyd führte.

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Die chemische Struktur von Strychnin. Krimi-Fans dürften das Alkaloid gut kennen, denn es ist hochgiftig.

Die chemische Struktur von Strychnin. Krimi-Fans dürften das Alkaloid gut kennen, denn es ist hochgiftig.

Bildquelle: © Calvero /wikimedia.org; gemeinfrei

Überraschender letzter Biosyntheseschritt

Für die letzten Umwandlungsschritte zu Strychnin mussten die Fachleute wieder einige Indizien kombinieren. So erfordert die Chemie zwei zusätzliche Kohlenstoffatome, die wahrscheinlich von einer Acetatverbindung stammen. Außerdem existiert in Strychnos-Arten, die kein Strychnin bilden, das verwandte Molekül Diabolin, das durch eine N-Acetylierung des Wieland-Gumlich-Aldehyds entsteht. Der Syntheseschritt in der Brechnuss könnte also ähnlich aussehen. Tatsächlich fand sich auch hier das entsprechende Homolog, das jedoch trotz großer Übereinstimmung nicht in der Lage war, Diabolin zu bilden. Stattdessen fand das Forschungsteam N-Malonyl-Wieland-Gumlich-Aldehyd, das sich im Folgenden als Prestrychnin erwies.

Und noch etwas wiesen die Fachleute in den Blätterextrakten nach: Spuren von Strychnin und Isostrychnin. Das war zugleich der spannendste Punkt des ganzen Krimis: Denn unklar blieb zunächst, wie dieser letzte Umwandlungsschritt erfolgte. Keines der getesteten Enzyme hatte darauf Einfluss. Viel mehr stellte sich überraschend heraus, dass die Umformung von Prestrychnin zu Strychnin spontan stattfindet. Vier Wochen nach dem Experiment geerntete Blätter enthielten großen Mengen Strychnin und Isostrychnin und kaum noch Prestrychnin. Weitere Experimente bestätigten, dass der letzte Umwandlungsschritt langsam und ohne enzymatische Beteiligung im Brechnussbaum abläuft – auch wenn sich nicht gänzlich ausschließen lässt, dass ein unbekanntes sehr langsam wirkendes Enzym involviert sein könnte.

Potenzial für Naturstoffproduktion im großen Stil

Die Aufdeckung des natürlichen Biosyntheseweges von Strychnin ist an sich schon ein schöner Forschungserfolg. Aber darüber hinaus hat diese Arbeit erneut bestätigt, dass selbst komplexe Biosynthesewege aufgeklärt und die Synthesewege in einfacher zu handhabenden Organismen mittels Metabolic Engineering nachgebildet werden können. Das eröffnet große Potenziale für die Produktion beliebiger Naturstoffe in effizienten Produktionsorganismen wie Nutzpflanzen oder Hefen.


Quelle:
Hong, B. et al. (2022): Biosynthesis of strychnine. In: Nature, 607, 617-622, (6. Juli 2022), doi: 10.1038/s41586-022-04950-4.

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Titelbild: Der Brechnussbaum wird umgangssprachlich auch Strychninbaum genannt, weil er das giftige Strychnin bildet. (Bildquelle: © Dinesh Valke/wikimedia.org; CC BY-SA 2.0)