Den Spieß einfach umgedreht

Raupen machen Pflanzengift durch den Umbau eines Moleküls unschädlich

02.10.2014 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Der Heerwurm Spodoptera frugiperda ist einer der wichtigsten Maisschädlinge in Nord- und Südamerika. (Bildquelle: © Anna Schroll)

Der Heerwurm Spodoptera frugiperda ist einer der wichtigsten Maisschädlinge in Nord- und Südamerika. (Bildquelle: © Anna Schroll)

Forscher entdecken, wie Eulenfalterraupen einfach und effektiv Abwehrstoffe der Maispflanze entgiften können.

Pflanzen wehren sich gegen Fressfeinde mit ausgeklügelten Tricks, die sie über Jahrmillionen entwickelt haben, um ihre Widersacher loszuwerden. Allerdings war die gegnerische Seite nicht untätig. Sie hat ihrerseits verschiedene Mechanismen entwickelt, wie sie die Verteidigung der Pflanzen umgehen kann. Diese Wechselwirkung bezeichnet man als Pflanzen-Pathogen-Interaktion. Eine wirkungsvolle pflanzlichen Strategie gegen Feinde ist die Produktion von Giften. Insekten umgehen diese chemischen Keulen, indem sie verschiedene Schutzmechanismen entwickeln, wie schnelle Ausscheidung, Einlagerung in Gewebeteile oder Entgiftung.

Dieser Liste kann jetzt ein weiteres Kapitel hinzugefügt werden: Forscher des Max-Planck-Institutes für chemische Ökologie haben entdeckt, wie Larven verschiedener Eulenfalterraupen der Gattung Spodoptera, allesamt Pflanzenschädlinge, die natürliche chemische Verteidigung der Maispflanze (Zea mays) scheinbar mühelos aushebeln.

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Die Max-Planck-Wissenschaftler Jonathan Gershenzon, Felipe Wouters, Daniel Giddings Vassão und Michael Reichelt untersuchen Maissetzlinge.

Die Max-Planck-Wissenschaftler Jonathan Gershenzon, Felipe Wouters, Daniel Giddings Vassão und Michael Reichelt untersuchen Maissetzlinge.

Bildquelle: © Anna Schroll

Selbstverteidigung beim Mais

Wie viele andere Pflanzenfamilien haben Süßgräser ihre ganz persönliche Verteidigungsstrategie gegen gefräßige Insekten. Sie produzieren unter anderem das Gift DIMBOA (2,4-Dihydroxy-7-Methoxy-2H-1,4-Benzoxazin-3(4H)-one), einen sekundären Pflanzenstoff, der besonders in Mais und Weizen gegen verschiedene Pilze, Bakterien und auch gegen Insektenfraß schützen soll.

Dieses Gift, das zu der Gruppe der Benzoxazinoide gehört, wird durch Anlagerung von Zuckermolekülen als Glykosid ((2R)-DIMBOA-Glc) gespeichert und ist in dieser Form ungiftig. Das ist für die Pflanze wichtig, damit sie sich nicht selbst mit ihrem eigenen Gift erledigt. Frisst nun ein Schadinsekt an der Pflanze, werden Enzyme, sogenannte ß-Glucosidasen, aktiviert und von der Larve aufgenommen. Im Verdauungstrakt der Raupen spalten sie die Zuckermoleküle vom Glycosid ab und setzen so das giftige DIMBOA frei, was dem Insekt in der Regel den Garaus macht.

Elegant ausgetrickst

Die Forscher interessierte nun, warum diese Strategie bei einigen Eulenfalterarten offenbar versagt. Diese Arten fressen unter anderem an Mais und verursachen jedes Jahr hohe Schäden, die chemische Abwehr der Pflanze scheint sie nicht zu beeindrucken. Daher untersuchten die Forscher die Exkremente von Larven der Arten Spodoptera frugiperda, Spodoptera littoralis und Spodoptera exigua. Dort fanden sie das Maisgift, gebunden an die Zuckermoleküle, also in seiner ungiftigen Form. Doch damit nicht genug, die Zuckermoleküle waren offenbar verkehrt herum an das DIMBOA angebaut worden.

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Ein winziger Unterschied mit großer Wirkung: Die Epimere des DIMBOA-Glycosids, räumlich dargestellt. Als Insektengift wirkt nur das (2R)-DIMBOA-Glycosid (links). Das Sternchen * markiert das chirale Zentrum, an dem sich die dreidimensionale Ausrichtung ändert. (Animation: © Felipe Wouters, MPI für chemische Ökologie)

Ein winziger Unterschied mit großer Wirkung: Die Epimere des DIMBOA-Glycosids, räumlich dargestellt. Als Insektengift wirkt nur das (2R)-DIMBOA-Glycosid (links). Das Sternchen * markiert das chirale Zentrum, an dem sich die dreidimensionale Ausrichtung ändert. (Animation: © Felipe Wouters, MPI für chemische Ökologie)

Um dieses neue Rätsel zu lösen, untersuchten die  Forscher daraufhin den Darminhalt von Raupen der drei Eulenfalterarten. Hier fanden sie ein Enzym, eine spezielle Glycosyltransferase, die in der Lage ist, den Zucker wieder an das DIMBOA anzubauen, und zwar in umgedrehter Weise. Dieser simple „Dreh“ hilft den Insekten auf zweierlei Weise: Zum einen ist das Gift wieder unwirksam. Zum anderen können die pflanzlichen Enzyme, deren Job es ist, den Zucker abzuspalten und somit das Gift freizusetzen, ihre Arbeit nicht mehr verrichten, weil sie mit der neuen Molekülstruktur, also dem „falsch“ angebauten Zucker, nichts anfangen können.

1:0 für die Eulenfalter

Das heißt, diese Eulenfalterarten können ungestört weiter fressen, weil das Maisgift bei ihnen ohne weitere Folgen ausgeschieden wird. Die Entdeckung dieser ebenso einfachen wie eleganten Umgehung der chemischen Verteidigung einer Pflanze ist ein wichtiger Schritt bei der Erforschung und Bekämpfung von Pflanzenschädlingen, betonen die Forscher. Denn eine einfache Veränderung der räumlichen Struktur eines Moleküls kann die Wirkung eines Stoffes erheblich verändern, obwohl das Molekül nach wie vor aus den gleichen Einzelbestandteilen zusammen gesetzt ist. Dies wurde bisher bei Untersuchungen oftmals nicht genügend beachtet. Die Forscher gehen davon aus, dass sie durch diese Erkenntnisse einen weiteren wichtigen Einblick in die Wechselwirkungen zwischen Pflanzen und Schädlingen gewonnen haben. Wenn dieser Mechanismus voll erforscht ist, könnten hieraus verbesserte Strategien entwickelt werden, um Schadinsekten zukünftig besser zu kontrollieren und Ernteausfälle zu verringern.


Quelle:
Wouters, F. C. et al. (2014): Reglucolysation of the Benzoxazinoid DIMBOA with inversion of stereochemical configuration is a detoxification strategy in lepidopteran herbivores. In: Angewandte Chemie, (September 2014), DOI: 10.1002/ange.201406643.

Zum Weiterlesen: 

Titelbild: Der Heerwurm* Spodoptera frugiperda ist einer der wichtigsten Maisschädlinge in Nord- und Südamerika. (Bildquelle: © Anna Schroll) * Die Bezeichnung Heerwurm bezieht sich auf das plötzliche, massenhafte Auftreten der Schädlinge, die wie eine Armee über neue Futterpflanzen herfallen, sobald sich ihr bisheriger Nahrungsvorrat erschöpft hat.