Wie Pflanzen ihre Nachbarn warnen
Bei einer Attacke durch Fressfeinde schlagen Pflanzen mit Duftsignalen Alarm. Mit flüchtigen Substanzen locken sie Feinde ihrer Angreifer an und warnen das Immunsystem der Nachbarn, sich auf den bevorstehenden Angriff vorzubereiten. Diese Strategie der Pflanzenkommunikation könnte langfristig auch in der biologischen Schädlingsbekämpfung zum Einsatz kommen.
Nicht alle Duftstoffe von Pflanzen dienen dazu, Insekten für die Bestäubung anzulocken. Im Gegenteil. Pflanzen produzieren eine ganze Reihe flüchtiger Substanzen, um angreifende Insekten wieder loszuwerden. Aus ihren Wurzeln, Blüten, Blättern und Früchten verflüchtigen sich Naturstoffe, die wissenschaftlich unter dem Begriff „Volatile Organic Compounds“ (engl. VOCs) zusammengefasst werden. Zu ihnen gehören überwiegend Substanzen aus der Stoffklasse der Terpene, deren Gerüche uns als Menthol, Harz oder auch als das aus Zitronenöl gewonnene Limonen bekannt sind.
Mit VOCs ruft die Pflanze um Hilfe
Die VOCs spielen bei der sogenannten indirekten Pflanzenabwehr eine wichtige Rolle. Bei dieser Verteidigungsstrategie locken Pflanzen durch komplexe Duftstoffgemische die Fressfeinde ihrer Schädlinge an. So beobachtete man, dass ein Angriff von Raupen des Nachtschmetterlings Spodoptera littoralis in den Blättern von Maispflanzen zur Bildung von Duftstoffen führt, die die parasitische Brackwespe Cotesia kariyai anlockt. Diese legt ihre Eier in die Schmetterlingsraupen, die durch das Heranwachsen der Wespenlarven absterben.
Besonders für die biologische Schädlingsbekämpfung sind VOCs daher interessant, denn auf diese Weise ließen sich Pflanzenschädlinge ohne den Einsatz von Pestiziden, mit Hilfe ihrer natürlichen Feinde vernichten. Die Wirkungsweise und Bestandteile der pflanzlichen Duftgemische, die aus bis zu 200 unterschiedlichen Substanzen bestehen können, konnten jedoch erst in den vergangenen zwei Jahrzehnten untersucht werden - nachdem empfindliche Methoden zur Sammlung und Analyse, wie beispielsweise die der Gaschromatographie, entwickelt wurden. Über die ökologischen Auswirkungen und molekulare Wirkung von VOCs auf Insekten und benachbarte Pflanzen ist daher bisher noch wenig bekannt.
Transgene Pflanzen geben das Signal zum Aufrüsten
Einem japanischen Wissenschaftlerteam ist es jetzt gelungen, nachzuweisen, dass die Produktion von VOCs eine Art Kettenreaktion auslöst, die auch das Immunsystem benachbarter Pflanzen auf eine Schädlingsinvasion vorbereitet.
Das Team nutzte Methoden der Biotechnologie, um gentechnisch veränderte (gv) Tabakpflanzen zu erzeugen, die im Vergleich zu unveränderten Wildtyppflanzen die 190-fache Menge eines Terpens, dem β-Ocimen, produzierten. Durch einen besonders starken Virus-Genschalter, den die Wissenschaftler vor dem β-Ocimen-Gen in das Pflanzengenom einbauten, stellt die Pflanzen das normalerweise nur bei Abwehrreaktionen aktive Gen in besonders hohen Konzentration her. β-Ocimen wurde kürzlich für die VOC-Forschung interessant, weil es in der Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana unterschiedliche Gene der Immunabwehr aktiviert und zu einer erhöhten Produktion des Hormons Jasmonsäure führt.
Durch VOCs werden Nachbarpflanzen wehrhafter
Um die Wirkung von VOCs auf direkte Nachbarpflanzen zu testen, pflanzten die Forscher Limabohnen der Art Phaseolus lunatus und Maispflanzen (Zea mays) neben den gv-Tabakpflanzen in 40 cm breiten Kunststofftunneln an. Ein Ventilator sorgte für einen konstanten Luftstrom, durch den sich die Duftstoffe der Tabakpflanzen zu ihren Nachbarn ausbreiteten.
Tatsächlich waren sowohl Mais- als auch Bohnenpflanzen „wehrhafter“, wenn sie im Windschatten von β-Ocimen überproduzierten Tabakpflanzen standen, als wenn sie neben gentechnisch unveränderte Tabakpflanzen wuchsen. Sowohl ein Schädling der Limabohne, die Spinnenmilbe Tetranychus urticae, als auch der den Mais befallende Eulenfalter Mythimna separata konnten auf diesen Pflanzen weniger Eier ablegen. Dabei produzierten die Pflanzen selbst keine erhöhten Konzentrationen der VOCs, wie eine Auftrennung der Duftstoffe mittels Gaschromatographie und anschließender Massenspektrometrie ergab.
Wurden diese Pflanzen allerdings von den Schädlingen befallen, reagierte deren Immunabwehr besonders heftig. Im Vergleich zu Pflanzen, die neben genetisch unveränderten Tabakpflanzen wuchsen, gaben sie eine höhere VOC-Dosis in den Luftraum ab. Dazu gehörten auch flüchtige Stoffe wie beispielsweise die methylierte Form der Salicylsäure, ein dem Aspirin verwandter Signalstoff (Methylsalicylat), der in der Ackerschmalwand fleischfressende Insekten anlockt.
Flüchtige Stoffe machen das Immunsystem „scharf“
Auch in den Mais- und Limabohnenpflanzen lockte die Zunahme an Methylsalicylat und anderer VOCs Feinde der Schädlinge an. Sowohl die Raubmilbe Phytoseiulus persimilis, die sich von Spinnenmilben ernährt, als auch die Brackwespen bevorzugten Pflanzen, die zuvor den VOCs der transgenen Tabakpflanzen ausgesetzt waren und befreiten diese von Raupen und Spinnmilben. Die Wissenschaftler folgern daraus, dass VOCs nur Immunantworten in Nachbarpflanzen auslösen, wenn der Schädling auch tatsächlich angreift. Sie machen deren Immunsysteme gewissermaßen „scharf“ für die bevorstehende Invasion, sollte der Fressfeind die Pflanze wechseln.
Wind und Belüftung können die Wirkung von VOCs beeinflussen
Freilandversuche mit gv-Pflanzen sind derzeit in Japan nicht erlaubt. Um die ökologischen Auswirkungen und das Potential von VOCs als biologische Schädlingsbekämpfungsmethode dennoch in möglichst naturnaher Umgebung zu testen, verlagerten die Pflanzenforscher ihre Experimente ins Treibhaus. Dort zeigten Mais- und Bohnenpflanzen, die neben den β-Ocimen produzierenden gv-Tabakpflanzen wuchsen, jedoch zunächst keine erhöhte Widerstandskraft im Vergleich zu den Nachbarn der Wildtyp-Tabakpflanzen. Die unterschiedlichen Ergebnisse erklären die Wissenschaftler mit dem fehlenden Luftstrom im Treibhaus, ohne den sich die flüchtigen Stoffe vermutlich schlechter als in den belüfteten Tunneln ausbreiteten. Denn auch in den belüfteten Experimenten zeigten die flüchtigen Substanzen nur eine Wirkung, wenn die Nachbarpflanzen nicht mehr als 60 cm entfernt wuchsen.
Die indirekte Immunabwehr funktionierte jedoch auch unter Treibhausbedingungen. Wurden Limabohnenpflanzen neben gv-Tabakpflanzen von Spinnmilben attackiert, produzierten sie mehr Methylsalicylat und andere VOCs als die Nachbarn der Wildtyp-Tabakpflanzen und lockten somit vermehrt Brackwespen und Raubmilben an.
Flüchtige Substanzen lösen im Treibhaus einen Domino-Effekt aus
Darüber hinaus konnten die Wissenschaftler erstmals zeigen, dass sich diese Abwehrreaktion auch auf dritte Pflanzen übertragen lässt. Die erhöhte VOC-Produktion der gv-Tabak-Nachbarn löste auch in deren direkten Nachbarn eine ähnlich gesteigerte Abwehrreaktion aus. Demnach könnte das Duftgemisch einer befallenen Pflanzen in einem Feld eine ganze Kettenreaktion weiterer Immunantworten auslösen. Ob eine VOC-gesteuerte Kommunikation unter Pflanzen funktioniert, hängt dabei vermutlich auch von den entsprechenden Wind- und Klimabedingungen ab. Die Forscher betonen daher, dass die ökologischen und biochemischen Wechselwirkungen zwischen Pflanzen, Nachbarpflanzen und Insekten unter unterschiedlichen Freiland- und Laborbedingungen erforscht werden sollten.
VOCs in der biologischen Schädlingsbekämpfung
Erste Versuche, VOCs zu synthetisieren, um sie für den biologischen Pflanzenschutz einzusetzen, wurden bereits in den 90er Jahren unternommen. Das Pflanzenstärkungsmittel Bion ahmt beispielsweise den Wirkstoff Methylsalicylat nach, um die Abwehr unterschiedlicher Kulturpflanzen zu stärken. Allerdings kamen bisher nur einzelne isolierte Wirkstoffe zum Einsatz, die vermutlich anders als die komplexen Gemische natürlicher Duftstoffe wirken. Darüber hinaus ist die Synthese vieler Terpene, wie sie in ihrer natürlichen Form in Pflanzen vorkommen, bisher noch nicht möglich.
Dennoch gibt es erste praktische Belege für die Nutzbarkeit flüchtiger Signalstoffe. In Kenia wird das Elefantengras Pennisetum purpureum an den Rändern von Maisäckern angepflanzt. Sein Duft zieht Schädlinge wie beispielsweise den Stängelbohrer an, ein Verwandter des europäischen Maiszünslers Ostrinia nubilalis. Gleichzeitig produziert das Elefantengras einen klebrigen Stoff, der etwa 90 Prozent der Schädlingslarven vernichtet. Ein weiteres Gras, das Molassegras Melinis minutiflora, wird in das Maisfeld zwischen die Maisreihen gepflanzt. Es lockt parasitische Wespen an, die die Schädlinge aus dem Maisfeld vertreiben. Obwohl die biochemischen Hintergründe dieser sogenannten „Push and Pull“-Strategie noch unverstanden sind, lassen sich die Maiserträge auf diese Weise vervierfachen.
Warum Pflanzen eine so große Vielfalt an flüchtigen Verteidigungsstoffen entwickelt haben, und wie Pflanzen und Insekten diese als Kommunikationssignale aufnehmen und weiterverarbeiten, ist bislang ein Rätsel. In einem Forschungsbericht des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena aus dem Jahr 2007 schlussfolgerten Wissenschaftler, dass die indirekte Verteidigung bei Pflanzen zunächst ausreichend untersucht werden müsse, bevor man überhaupt in der Lage sei, das Potenzial von VOCs im Pflanzenschutz eindeutig abschätzen zu können.
Quelle:
Muroi, A. et al. (2011). The Composite Effect of Trangenic Plant Volatiles for Acquired Immunity to Herbivory Caused by Inter-Plant Communication. In: PLoS ONE 6(10): e24594. doi:10.1371/journal.pone.0024594 (Link).
Anregungen zum Weiterlesen:
- Max-Planck-Institut für chemische Ökologie: Die Funktion flüchtiger Signalstoffe bei der Verteidigung von Pflanzen gegen Schädlinge
- Filme der Max-Planck Gesellschaft über pflanzliche Abwehrstrategien
Anregungen zum Weiterlesen auf Pflanzenforschung.de:
- Pflanzen kopieren Insektenduftstoffe
- Senföl-Bomben gegen Raupen
- Exoten brachten die Würze
- Pflanzen-Pathogen Interaktion
Titelbild: Tabakpflanzen produzieren flüchtige Stoffe, mit denen sie auch ihre Nachbarn vor Fraßfeinden warnen. (Quelle: © Annamartha / www.pixelio.de)