Eiskalt erwischt

Eine neue Methode zur Transkriptomanalyse erfasst auch sehr kurzlebige RNAs

23.03.2020 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Keimlinge der Ackerschmalwand: Über ein Nährmedium können spezielle Marker eingeschleust werden, mit denen die Vorgänge bei der Transkription detaillierter beobachtet werden können. (Bildquelle: © iStock.com/HeitiPaves)

Keimlinge der Ackerschmalwand: Über ein Nährmedium können spezielle Marker eingeschleust werden, mit denen die Vorgänge bei der Transkription detaillierter beobachtet werden können. (Bildquelle: © iStock.com/HeitiPaves)

Bei herkömmlichen Transkriptom-Analysen wird die Transkription vollständig gestoppt. Durch die Markierung der RNA-Moleküle in lebenden Pflanzen kann jetzt die gesamte Dynamik von RNA-Synthese, Reifung und Abbau untersucht werden.

Die Transkription ist ein wesentlicher Teil der Genexpression und zeigt die Reaktion einer Pflanze auf ihre Umwelt. Forscher der Universität Oldenburg, der Universität Tübingen, des Max-Planck-Institutes Dortmund und der Humbold-Universität Berlin haben in einer neuen Studie zwei neue Methoden vorgestellt, mit denen sich dieser Vorgang noch genauer analysieren lässt.

Gleichgewichtszustand und Pulsmarkierung
Ein Transkriptom stellt die Gesamtheit aller Gen-Transkripte in einer Zelle dar und umfasst mRNA (Messenger-RNA-Moleküle), tRNA (Transfer-RNA), rRNA (ribosomale RNA) sowie weitere nicht codierende RNA-Moleküle. Die Analyse des Transkriptoms zeigt daher, welche Gene in einer Zelle gerade aktiv sind. Viele bisher angewandte Techniken verwenden dafür Transkriptions-Inhibitoren, wodurch die Abläufe zu einem bestimmten Zeitpunkt gestoppt werden (Steady-state-Transkriptom). Diese Techniken erfassen daher lediglich die RNA-Zusammensetzung für diesen einen Augenblick, aber nicht die dynamischen Vorgänge der Synthese, Reifung und des Abbaus von RNA-Molekülen.

Um einen Einblick in diese Dynamik zu erhalten, nutzen andere Methoden spezielle Stoffe, um RNA-Moleküle zu markieren (naszierende RNA, nascent = im Entstehen begriffen) und so das Geschehen „live“ beobachten zu können. Diese Marker, zum Beispiel Bromouridin (BrU), 4-Thiouridin (4-SU), oder 5-Ethynyl Uridin (5-EU), werden für eine kurze Zeit in die Zelle eingeschleust und ersetzen beim Aufbau der RNA die Base Uridin. Anschließend können die RNA-Moleküle über diese Markierungen aufgespürt werden. Mit diesen als Pulsmarkierung (pulse-labeling) bezeichneten Techniken können neben langlebigen RNA-Molekülen auch instabile, neu entstandene und in der Prozessierung befindliche RNA-Moleküle erfasst werden.

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Ackerschmalwand in Blüte: Sie hat ein relativ kleines, vollständig sequenziertes Genom und eignet sich deshalb als Modellpflanze für die Genforschung.

Ackerschmalwand in Blüte: Sie hat ein relativ kleines, vollständig sequenziertes Genom und eignet sich deshalb als Modellpflanze für die Genforschung.

Bildquelle: © Sui-setz/ wikimedia.org; CC BY-SA 3.0

Bisher wurden diese Methoden in-vitro lediglich an Zellkulturen durchgeführt. Um die Dynamik der Genaktivitäten eines lebenden Organismus  beobachten zu können, entwickelten die Forscher eine Methode für Arabidopsis-Pflanzen. Dazu testeten sie zunächst, welche Markerstoffe bei lebenden Pflanzen RNA markieren können, ohne den Pflanzen zu schaden.

Neue Methode entdeckt mehr RNA-Typen
Als idealer Marker erwies sich 5-Ethynyl Uridin (5-EU). Dem Pflanzennährmedium zugegeben, zeigte es keine negativen Auswirkungen auf das Wachstum der Keimlinge. Für diese neu entwickelte Methode „Neu Seq“ (Nascent 5-EU labeled RNA Sequencing) kamen die Keimlinge eine Stunde lang in ein mit 5-EU versetztes Nährmedium und wurden anschließend in flüssigem Stickstoff schockgefroren.

Bei der Analyse der Transkriptome konnten die Forscher 4058 RNAs identifizieren, die im steady-state-Transkriptom nicht vorkamen, während nur 69 RNAs aus dem steady-state-Transkriptom über Neu Seq nicht gefunden werden konnten. Diese über Neu Seq entdeckten RNAs waren hauptsächlich instabile oder naszierende RNA-Typen. Dazu gehören nicht codierende RNAs wie zum Beispiel kurzlebigen miRNAs (microRNAs), inklusive pri-miRNAs (primary microRNAs) sowie antisense-RNAs, besonders aber die kurzlebigen prä-mRNAs. Diese RNAs sind noch „unbearbeitet“, d. h. das Spleißen zur reifen mRNA hat noch nicht stattgefunden.

Darüber hinaus konnten auch RNA-Moleküle in intakten Chloroplasten markiert werden. Das war bisher nicht möglich, da andere Marker nicht die Chloroplasten-Membran durchdringen konnten. Die Forscher vermuten, dass der Membrantransporter PLUTO (plastidic nucleobase transporter) hierbei eine Rolle spielt, da 5-EU ähnliche Eigenschaften hat wie dessen eigentliches Substrat Uracil.

Untersuchung der Lebensdauer von mRNA-Molekülen
Zur Bestimmung der Halbwertszeit eines mRNA-Moleküls markierten die Forscher mRNA ebenfalls mit 5-EU (5-Ethynyl Uridine IP Chase Sequencing oder kurz ERIC Seq). Die mit dieser Methode, markierten mRNA-Moleküle hatten generell eine kürzere Lebensdauer als bei steady-state-Versuchen. Die Forscher vermuten, dass möglicherweise das Unterbrechen des Transkriptionsvorgangs in die Regulation zwischen Transkription und Abbau eingreift und zu einer höheren Stabilität der RNA-Moleküle führen könnte. Sie schließen aus diesen Ergebnissen, dass mRNAs in Pflanzen tatsächlich kurzlebiger sind als bisher angenommen.

Die neu entwickelten Methoden ermöglichen einen tieferen Einblick in den „Lebenslauf“ von RNA-Molekülen. Durch die einfache Markierung der Moleküle durch einen ungiftigen Stoff können auch Studien unter speziellen Bedingungen wie Temperaturstress oder hormoneller Beeinflussung durchgeführt werden und somit neue Aufschlüsse über den Stoffwechsel in Pflanzen geben.


Quelle:
Szabo, E.X. et al. (2020): Metabolic labeling of RNAs uncovers hidden features and dynamics of the Arabidposis-Transcriptome. In: Plant Cell, (14. Februar 2020), doi: 10.1105/tpc.19.00214.

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Titelbild: Keimlinge der Ackerschmalwand: Über ein Nährmedium können spezielle Marker eingeschleust werden, mit denen die Vorgänge bei der Transkription detaillierter beobachtet werden können. (Bildquelle: © iStock.com/HeitiPaves)