Flache Hierarchien für exzellente Pflanzenforschung
Das Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen (ZMBP)
Fünf Top-Publikationen in drei Jahren, 2,5 Millionen Euro Drittmittel jährlich und ab 2012 ein eigenständiger Neubau: das ist die Bilanz des Zentrums für Molekularbiologie der Pflanzen in Tübingen, von dem auch Studenten profitieren.
In loser Folge stellen wir in einer Serie Pflanzenforschungsnetzwerke vor. Dabei gehen wir den Fragen nach, was diese Cluster ausmacht und warum sich diese gebildet haben. Darüber hinaus hoffen wir Anregungen für Kooperationen zu bieten. Schüler und Studierende wollen wir motivieren, sich das eine oder andere Zentrum etwas genauer anzusehen.
Im Mai 1999 gründete die Universität Tübingen das Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen (ZMBP) als interfakultäres und interdisziplinäres Forschungszentrum. Es sollte internationale Spitzenforschung auf den Gebieten der Molekular- und der Zellbiologie bündeln. Etwas mehr als ein Jahrzehnt später kann dieses Ziel als erreicht gelten: Das ZMBP hat sich in der internationalen Gemeinschaft der Pflanzenforscher breite Anerkennung verdient.
Allgemeine Genetik
ZMBP, das sind mehr als 100 Forscher und rund 50 technische Mitarbeiter, verteilt auf vier Bereiche und zahlreiche Arbeitsgruppen: In der Allgemeinen Genetik befassen sich die Wissenschaftler um Friedrich Schöffl mit der pflanzlichen Reaktion auf Hitzestress., speziell mit der Frage, wie die bei einem Hitzeschock relevanten Gene reguliert sind. Die Gruppe um Stephan Wenkel untersucht die Etablierung der Blattanlagen, der sogenannten Blattprimordien. Die Forscher wollen wissen, wie Umwelteinflüsse diese Entwicklung beeinflussen. Um Riboswitches und Splicing geht es beim Team um Andreas Wachter, also um die Frage, wie bestimmte Teile der mRNA regulierend in die Genexpression eingreifen.
Biochemie
Bei der Biochemie der Pflanzen geht es in der Gruppe um Thorsten Nürnberger um angeborene Immunitäten. Ein weiteres Feld der Gruppe ist die molekulare Grundlage der Immunreaktion der Pflanze auf Verletzungen. Mit der Erkennung mikrobieller Pathogene befassen sich Forscher um Georg Felix. Die Gruppe ergründet, welche Rezeptoren der Pflanze es sind, die typische molekulare Muster von Pathogenen identifizieren. Das Team um Frank Schleifenbaum entwickelt Methoden der hoch auflösenden Mikroskopie und Spektroskopie. Die Forscher suchen nach hoch sensitiven und spezifischen Werkzeugen, um Prozesse in lebenden Zellen zu beobachten. Frederic Brunner und seine Gruppe studieren Effektoren und Pathogen-assoziierte molekulare Muster (PAMPs) von Oomyceten, befassen sich also damit, woran Eipilze einen Krankheitserreger erkennen.
Entwicklungsgenetik
Auf dem Feld der Entwicklungsgenetik untersucht die Gruppe um Gerd Jürgens, wie das Protein GNOM und GNOM-ähnliche Proteine den Transport von Vesikeln regulieren. Zellen müssen mit anderen Zellen aber auch innerhalb ihrer eigenen Teilbereiche Stoffe austauschen. Oft werden diese Stoffe dazu in Vesikel eingeschlossen. Spannend ist dabei die Frage, wie diese Vesikel an den Membranen entstehen und fusionieren. Wie die dynamische Beziehung zwischen einzelnen Zellbestandteilen hinsichtlich des Vesikeltransports aussieht, untersucht eine zweite Gruppe um Peter Pimpl.
Die Zellspezifizierung im weiblichen Gametophyten ist des Thema der Gruppe um Rita Groß-Hardt. Die Forscher untersuchen, wie die Strukturen des Gametophyten entstehen, und wie ihre Entstehung reguliert ist. Sabine Müller und ihre Gruppe beschäftigen sich mit der Polarität bei der Zellteilung. Welche Mechanismen führen dazu, dass sich die Bestandteile der Zelle richtig anordnen? Speziell interessiert die Forscher die Rolle des Kinesin, sogenannter Motorproteine, die Vesikel und andere Moleküle transportieren.
Pflanzenphysiologie
Der vierte Themenbereich ist die Pflanzenphysiologie. Hier analysieren die Pflanzenforscher um Klaus Harter die Wahrnehmung abiotischer (Stress-)Signale und deren Weiterleitung. Die Wahrnehmung von Licht beschäftigt die Gruppe um Andreas Hiltbrunner. Sie untersucht die lichtabhängige Anhäufung bestimmter Photorezeptoren im Zellkern. Claudia Oecking und ihre Gruppe untersucht die sogenannten 14-3-3-Proteine. Darunter versteht man bestimmte Eiweiße, die in fast identischer Form bei Tieren und Pflanzen vorkommen. Die genaue Funktion in der Pflanze wollen die Forscher ermitteln.
Der Arbeitsschwerpunkt der Gruppe um Gabriel Schaaf sind die Sekretionssysteme. Dabei untersuchen die Forscher Proteine des Membrantransports, die unter den dort herrschenden chemischen Bedingungen eigentlich weit ineffizienter sein müssten, als sie es sind.
Sascha Laubinger und sein Team analysieren die Prozessierung und Funktion von Mikro-RNAs (miRNA). Speziell beschäftigt die Forscher die Frage, wie die Zelle zwischen mRNA und primärer, längerer miRNA unterscheidet, aus denen sich die miRNA ableitet.
Internationales Renommee
Fünf Paper in Nature, Science und Cell sind in den letzten drei Jahren aus diesen Themenbereichen hervorgegangen, weitere 20 Publikationen in Zeitschriften mit einem Impact Factor größer als zehn erschienen. Viele davon wären ohne die Strukturen des ZMBP unmöglich gewesen. Mal spielten zentrale Einrichtungen wie die Mikroskopie oder die Analytik entscheidende Rollen, mal die interdisziplinäre Zusammenarbeit der Arbeitsgruppen.
Kooperationen gibt es aber nicht nur innerhalb des Tübinger Zentrums, sondern beispielsweise auch mit den Nachbarn der Tübinger Max-Planck-Institute sowie Arbeitsgruppen in Heidelberg und Würzburg. International konzentriert sich die Zusammenarbeit auf die europäischen Nachbarn Großbritannien, Niederlande, Frankreich und Italien, reicht aber auch bis nach Japan. In manchen Fällen entstanden Kooperationen aus Verbundprojekten. In anderen Fällen waren schlicht gemeinsame Forschungsinteressen der Auslöser.
Dass so viel erfolgreiche Aktivität nicht unbemerkt bleibt, zeigt die Finanzierung der Einrichtung: Etwa 2,5 Millionen Euro Drittmittel ergänzen jährlich den Forschungsetat von 350.000 Euro – plus Personalmittel. Die Leistung lässt sich aber auch daran ablesen, dass die Tübinger Pflanzenforscher in ihrer Disziplin das Forscher-Ranking der Deutschen Forschungsgemeinschaft anführen. Dazu passt, dass sich 2009 gleich zwei Emmy-Noether-Stipendiaten mit ihren Projekten am ZMBP angesiedelt haben.
Nachwuchsförderung
Von den Möglichkeiten des Zentrums für Molekularbiologie der Pflanzen profitieren auch Studenten. Den wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern, ist ein zentraler Pfeiler der Philosophie des Pflanzenforschungszentrums. So gibt es am ZMBP unter anderem einen eigenständigen Masterstudiengang. Darin werden die Studenten an ein breites Methodenspektrum herangeführt und können an aktuellen Forschungsprojekten mitarbeiten. Mit Abschluss der Masterarbeit qualifizieren sich die Studenten für eine Doktorarbeit am ZMBP oder an einer anderen Forschungseinrichtung.
Die 65 Doktoranden der verschiedenen Forschungsgruppen stellen fast zwei Drittel der Wissenschaftler am ZMBP. Sie stehen in engem wissenschaftlichen Austausch und diskutieren ihre Ergebnisse regelmäßig in einer selbst verantworteten Seminarreihe. 30 Postdoktoranden verfolgen den Beginn ihrer Karriere in Tübingen weiter. Die Perspektive ist gut: Gleich zwölf ehemalige ZMBP-Forscher wurden in den vergangenen zehn Jahren auf Professuren berufen.
Zukunftspläne
Apropos Perspektive – die ist auch für das Zentrum selbst derzeit sehr positiv: Ende 2012 soll ein Neubau fertiggestellt sein, der erstmals alle Teile des ZMBP unter einem Dach vereinen wird. Bislang waren die verschiedenen Gruppen auf vier Gebäude verteilt. Dank einer gemeinsamen Förderinitiative von Bund und Land wurde 2010 mit dem Neubau begonnen. Die räumliche Nähe soll den wissenschaftlichen Austausch, Kollaborationen und die Bündelung von Ressourcen weiter fördern.
Darüber hinaus strebt das ZMBP an, neue Forschungsfelder und Kollaborationen sowie neue Förderwege zu erschließen. Auch die Attraktivität des Zentrums für Studierende und Forscher soll weiter gesteigert werden. Langfristig möchte das ZMBP zudem als Informationsschnittstelle zwischen Wissenschaft einerseits und Öffentlichkeit und Politik andererseits fungieren. Bezüglich der inhaltlichen Ausrichtung liegt der Fokus darauf, die pflanzlichen Adaptionsleistungen die zugrunde liegenden molekularen und zellulären Mechanismen zu erforschen.
Ein Interview mit Professor Gerd Jürgens, der am Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen in Heidelberg (ZMBP) den Proteintransport erforscht, finden Sie hier.
Weitere Forschungsnetzwerke im Portrait:
Forschungsnetzwerk: Bioökonomie Science Center - Die Ökonomie der Pflanzenforschung
Forschungsnetzwerk: Swiss Plant Science Web - Komplettservice für Pflanzenforschung in der Schweiz