Der Nachwuchs darf die eigene Trommel schlagen
Professor Gerd Jürgens untersucht am Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen in Tübingen (ZMBP) den Proteintransport. Die Stärke des Forschungszentrums sieht er in den kleinen Gruppen und hervorragenden zentralen Einrichtungen.
Pflanzenforschung.de: Professor Jürgens, Ihre Arbeitsgruppe gehört zum Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen. Welche Rolle spielt diese Struktur für ihre Arbeit?
Prof. Jürgens: Wir haben eine Departmentstruktur: Jede Gruppenleiterin, jeder Gruppenleiter muss die eigene Trommel schlagen, um berühmt zu werden. Ich finde das sehr angenehm. Traditionell kann man als Lehrstuhlinhaber Nachwuchsforscher auf Stellen setzen und sagen: Beschäftige Dich mit diesem Thema. Bei uns am ZMBP ist die Motivation bei den jungen Leuten völlig anders, weil sie sagen können: Ich will diese Fragestellung bearbeiten. Dann sagen wir: Prima, da hast Du das Labor, da hast Du die Grundausrüstung. Nun besorg‘ Dir Geld für zusätzliche Mitarbeiter, und dann mach‘ das. Dadurch gibt es eine kritische Masse von unabhängig denkenden Leuten, die an Fragestellungen arbeiten, die einerseits ein bisschen verwandt sind, so dass man wirklich Interaktionen haben kann, aber andererseits doch so unterschiedlich sind, dass die jeweiligen Projekte ein eigenes Profil haben.
Pflanzenforschung.de: Gibt es weitere wichtige Punkte?
Prof. Jürgens: Ein weiterer Punkt, der für die Struktur sehr wichtig ist: Dadurch, dass wir die traditionellen Lehrstühle zerlegt haben, haben wir ja nur kleine Gruppen. Der Unterschied zwischen Seniors (Professoren) und Juniors (Gruppenleiter/innen auf Zeit) ist in der Ausstattung nicht groß. Dadurch gewinnen die so genannten zentralen Einrichtungen an Bedeutung, die wir am ZMBP aufgebaut haben.
Für uns z. B. ist es sehr wichtig, dass wir eine exzellente Elektronenmikroskopie haben, die Proteine in den Zellen ultrastrukturell lokalisieren kann. Dies gelingt nur sehr wenige Spezialisten an Pflanzen, vielleicht eine Handvoll auf der Welt. Hierin liegt für uns ein klarer Standortvorteil. Ein anderes Beispiel ist die Massenspektrometrie, mit der Interaktoren von bekannten Proteinen identifiziert werden können. Ein weiteres Beispiel ist die Transformation von Protoplasten. Damit kann man u.a. die Regulation der Genexpression quantitativ analysieren, was in dem komplexen Gebilde einer Pflanze nicht so gut durchzuführen ist. Am ZMBP gibt auch ein FACS-Gerät, mit dem fluoreszierende von nicht-fluoreszierenden Zellen getrennt werden können. Bei Pflanzen wird diese zukunftsträchtige Methode zur Untersuchung der Genexpression noch wenig angewendet.
Pflanzenforschung.de: Bräuchten wir in Deutschland mehr Zentren wie das ZMBP?
Prof. Jürgens: Wir haben ja die klassischen Forschungsinstitute, und auch an verschiedenen Hochschulen international durchaus wahrnehmbare Gruppen. Der wesentliche Punkt am ZMBP ist, dass die Leute in einem relativ guten Umfeld die Möglichkeit haben, ihre eigene Forschung zu machen, ohne von traditionellen Strukturen behindert zu sein. Das ZMBP wird dafür immer wieder gelobt. Jedoch wird es nicht kopiert, weil mit der Einrichtung dieser neuen Struktur auch Einbußen für die Etablierten verbunden sind, wie z. B. ein gemeinsam verwalteter Etat und die gemeinsame Entscheidung über die Besetzung von Gruppenleiterstellen.
Pflanzenforschung.de: Herr Professor Jürgens, nun zur Forschung Ihrer kleinen Gruppe. Sie beschäftigen sich mit dem Stofftransport in der Zelle. Was genau interessiert daran?
Prof. Jürgens: Zellen sind relativ komplexe Gebilde. Es gibt Tausende von Proteinen, die an verschiedene Stellen gebracht werden müssen, wo sie dann ihre Funktionen ausüben. Davon hängen viele Prozesse ab, z. B. das Reden mit Nachbarzellen, die Zellteilung, Stoffaufnahme und -abgabe, Wechselwirkungen zwischen Mitochondrien und dem übrigen Stoffwechsel. Die Komplexität dieses logistischen Problems ist vergleichbar mit der funktionellen Organisation einer Großstadt. Wie koordiniert es eine Zelle, gleichzeitig sehr verschiedene Proteine mit bestimmten Funktionen an die jeweils richtige Stelle zu transportieren und sie auch wieder zu entfernen, wenn sie nicht mehr gebraucht werden, weil sie z. B. stören könnten?
Pflanzenforschung.de: Sie schauen speziell auf das Protein GNOM. Wie kommt es dazu?
Prof. Jürgens: Wir hatten nach bestimmten Entwicklungsmutanten bei Arabidopsis gesucht und viele gefunden, die einander sehr ähnlich aussahen, indem sie Defekte in der Spross/Wurzel-Polarität des Embryos zeigten. Diese Mutanten haben sich als verschiedene Mutationen des gleichen Gens herausgestellt, dass wir jetzt GNOM nennen. Die molekulare Sequenzanalyse des Gens ergab zunächst keinen biologischen „Sinn“. Man denkt bei Entwicklungsregulatoren immer zuerst an Transkriptionsfaktoren oder Signaltransduktionselemente. Es stellte sich jedoch heraus, dass GNOM möglicherweise etwas mit dem Proteintransport zu tun haben könnte, da es entfernte Ähnlichkeit zu einer Komponente im sekretorischen Weg von Hefezellen aufwies.
Pflanzenforschung.de: Was haben Sie über GNOM herausgefunden?
Prof. Jürgens: Wir hatten Hinweise darauf, dass bei Ausfall von GNOM die Polarität im Embryo gestört ist; aber wir wussten nicht, ob auch die Zellpolarität betroffen ist, weil uns ein Marker dafür fehlte. Dann hatten wir das Glück, einen Marker für Zellpolarität in die Hände zu bekommen. Klaus Palme vom MPI Köln hatte gerade gezeigt, dass Antikörper gegen den Auxintransporter PIN1, der Auxin aus der Zelle heraus pumpt, die Unterseite der Zellen im Leitgewebe von Pflanzen markieren. Zunächst waren wir überrascht festzustellen, dass PIN1 ganz früh im Embryo zwar exprimiert wird, aber in den Zellen gar nicht polar lokalisiert. Erst zu einem bestimmten Zeitpunkt (immer noch früh in der Embryogenese) erfolgt unter Normalbedingungen die polare Lokalisierung, jedoch nicht, wenn GNOM fehlt. Dadurch hatten wir einen Einstieg, wir wussten nun, dass das GNOM-Protein eine Rolle dabei spielt, PIN1 an die richtige Stelle zu transportieren.
Viele weitere Experimente führten dazu, dass man wahrscheinlich zum ersten Mal überhaupt bei Pflanzen einen zellulären Prozess des gerichteten Proteintransports identifiziert hat, der mit der räumlichen Verteilung eines Auxintransporters in den Zellen zu tun hat. Und dieser GNOM-abhängige Prozess ist essentiell dafür, dass die Pflanzen ihre Spross/Wurzel-Polarität aufbauen können und dass der Auxinfluss gerichtet läuft.
Pflanzenforschung.de: Sie haben dabei auch zwei GNOM-ähnliche Proteine entdeckt. Was hat es damit auf sich?
Prof. Jürgens: Ähnliche Regulatoren für den Proteintransport wie GNOM gibt es im Prinzip bei allen eukaryotischen Organismen, ob es Einzeller oder Mehrzeller sind. Das zu GNOM nächst verwandte Protein – das ist reiner Zufall – ist ein menschliches Protein, das am Transport vom Golgi-Apparat zum Endoplasmatischen Reticulum (ER) beteiligt ist. GNOM selbst jedoch ist nur bei Pflanzen vorhanden und wirkt in der Zelle ganz woanders. Es vermittelt an Endosomen den gerichteten Transport von PIN1 zur Plasmamembran. GNOM scheint aber im Prinzip von dem evolutionär gesehen ursprünglichen Typ, der in der Zelle den Transport zwischen Golgi und ER reguliert, abgeleitet zu sein.
GNOM lässt sich - im Gegensatz zum nah verwandten Protein GNOM-LIKE 1 (GNL1) - durch ein Pilztoxin (Brefeldin A, BFA) hemmen. Ironischerweise ist GNL1 nur bei Arabidopsis und wenigen anderen Pflanzenarten resistent gegen BFA. Dadurch haben wir bei unseren Experimenten immer die Wirkung von BFA auf GNOM gesehen und auf das Recycling des Auxintransporters – und nicht die Effekte, die man bei Tieren beschreibt oder auch bei Tabakzellen: Dort ist als frühester BFA-Effekt zu beobachten, dass der Transport zwischen ER und Golgi zusammenbricht. Das passiert bei Arabidopsis nicht, weil GNL1 als Regulator für diesen Transport BFA-resistent ist.
GNOM kann diese ursprüngliche Funktion von GNL1 auch ausüben. Es hat zwei Funktionen, und das macht die Situation natürlich komplizierter. Wir versuchen jetzt herauszufinden, worin die beiden Proteine sich molekular unterscheiden – ob es irgendwelche Sequenzen gibt, die das Verhalten dieser Proteine in den Zellen festlegen. Das kann man machen, indem man homologe Teile zwischen diesen Proteinen austauscht und die Aktivität der chimären Proteine misst, d.h. die Proteine lokalisiert und untersucht, welche Transportwege sie vermitteln.
Das zweite zu GNOM verwandte Protein, GNOM-LIKE 2 (GNL2), ist eine ganz andere Baustelle. Obwohl GNL2 in der Sequenzähnlichkeit zu GNOM weiter entfernt ist als GNL1, ist es funktionell viel ähnlicher. Und hinzu kommt, dass es nur in einem ganz speziellen Zelltyp arbeitet: im Pollen, wo es die Polarität von Pollenkorn und Pollenschlauch vermittelt. Wir nehmen an, dass die Funktion von GNL2 etwas mit der evolutionären Entstehung von Pollen zu tun hat, so wie wir sie von den Samenpflanzen kennen. Deshalb versuchen wir genauer herauszufinden, was dort im Detail passiert und wie in der Evolution solch eine neue Funktion entstehen kann.
Pflanzenforschung.de: Wie lässt sich denn dieses Wissen nutzen?
Prof. Jürgens: Unser Ziel ist es zunächst, Wissen zu mehren. Anwendung ergibt sich eher indirekt oder dadurch, dass andere Leute dieses Wissen gezielt anwenden auf Nutzpflanzen. Ich kann Ihnen ein Beispiel geben: Vor ein paar Jahren haben wir herausgefunden, wie wir die Empfindlichkeit von Regulatoren wie GNOM gegenüber dem Pilztoxin BFA verändern können. Damals haben wir einen Moment überlegt, ob wir das patentieren lassen sollen, weil zum Beispiel die Safranindustrie in Frankreich jährlich große Einbußen hat durch Pilzpathogene, die BFA als „Waffe“ verwenden. Wenn man transgene Safranpflanzen erhalten könnte, bei denen GNOM-verwandte Regulatoren BFA-resistent sind, könnten diese Safranpflanzen trotz Pilzbefall weiter wachsen.
Pflanzenforschung.de: Vielen Dank für das Gespräch!
Ein Portrait des Zentrums für Molekularbiologie der Pflanzen in Tübingen finden Sie hier.
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