Live-Sequenzierung von RNA

Testen ohne zu töten

01.09.2022 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Jede Zelle ist ein Unikat – und zwar nicht nur bei unterschiedlichen Organismen, auch innerhalb des gleichen Gewebes einer Pflanze treten in jeder Zelle andere DNA-Mutationen auf, die ihr Verhalten gegenüber äußeren Reizen beeinflussen. (Bildquelle: © Pio

Jede Zelle ist ein Unikat – und zwar nicht nur bei unterschiedlichen Organismen, auch innerhalb des gleichen Gewebes einer Pflanze treten in jeder Zelle andere DNA-Mutationen auf, die ihr Verhalten gegenüber äußeren Reizen beeinflussen. (Bildquelle: © Pio

Um herauszufinden, welche metabolischen Prozesse in einer einzelnen Zelle ablaufen, wird die sogenannte „Einzel-Zell-RNA-Sequenzierung“ genutzt. Das Problem dabei: Die zu untersuchende Zelle muss dabei aufgelöst, also getötet, werden. Mit Hilfe einer neuen Technik namens Live-Seq wird dieses Problem umgangen. Sie ermöglicht es, minimalinvasiv RNA aus den Zellen zu entnehmen, ohne diese dabei zu schädigen. Dadurch wird es möglich, die gleiche Zelle mehrmals nacheinander zu beproben, um ihre Entwicklung zu verfolgen.

Jede Zelle ist einzigartig. Selbst wenn sie im gleichen Gewebe vorkommen, unterscheiden sie sich voneinander durch zahlreiche spontan auftretende Mutationen. So kommt es beispielsweise, dass in einem Tumor nicht alle Zellen gleichermaßen auf ein Medikament anschlagen.

Bisher ist es jedoch unmöglich gewesen, die molekularen Ursachen für solche Unterschiede genauer zu ergründen. Zwar ist es seit ein paar Jahren möglich, das Transkriptome, also die RNA, einer einzelnen Zelle zu analysieren. Doch dafür war es bisher notwendig, die Zelle aufzulösen, sie also abzutöten. Mehrere Analysen zu unterschiedlichen Zeitpunkten an der gleichen Zelle waren daher unmöglich.

Was geht in lebenden Zellen vor?

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Lichtmikroskope gibt es schon sehr lange. Die Technologie namens Live-Seq hingegen ist brandneu. Damit lässt sich beobachten, welche Gene in einzelnen Zellen zu unterschiedlichen Zeitpunkten aktiviert werden.

Lichtmikroskope gibt es schon sehr lange. Die Technologie namens Live-Seq hingegen ist brandneu. Damit lässt sich beobachten, welche Gene in einzelnen Zellen zu unterschiedlichen Zeitpunkten aktiviert werden.

Bildquelle: © Chokniti Khongchum / Pixabay

Jetzt stellt ein Team von Wissenschaftlern um Julia Vorholt von der ETH Zürich und Bart Deplancke von der EPFL eine Methode vor, mit der genau dies möglich wird: Live-Seq. Kernstück ist die Technik FluidFM, auch „fluidic force microscopy“ genannt. Dabei können durch winzige Kanäle Flüssigkeit in Zellen injiziert oder wenige Pikoliter Zytoplasma mitsamt der darin enthaltenen mRNA aus ihnen herausgesaugt werden. Die zweite wichtige Neuerung betrifft die Fähigkeit, aus diesen geringen Mengen Zytoplasma die mRNA zu extrahieren und abzulesen.

„Mit Live-Seq können wir jetzt hoch interessante und biomedizinisch relevante Fragestellungen angehen, wie zum Beispiel warum sich manche Zellen differenzieren und ihre Schwesterzellen nicht. Oder warum manche Zellen resistent sind gegen Krebsmedikamente, aber ihre Schwesterzellen nicht“, sagt Bart Deplancke.

Mehrere Messungen zu verschiedenen Zeitpunkten möglich

Die Wissenschaftler haben mehrere Experimente unternommen, um zu beweisen, dass ihre Methode funktioniert. Zunächst haben sie gezeigt, dass sie Zellen mit Hilfe von Live-Seq richtig identifizieren (in die richtige Reihenfolge bringen) können. Dafür erfassten sie den Lebensweg von einzelnen Makrophagen, also Zellen des Immunsystems, vor und nach einer Aktivierung. Außerdem beobachteten sie Stammzellen des Fettgewebes, bevor und nachdem sie sich zu Fettgewebszellen differenziert hatten. Sie konnten zeigen, dass Live-Seq wirklich minimalinvasiv ist und die Zellbiologie nicht nachhaltig stört.

Doch könnte diese revolutionäre Technik auch Einzug in die Pflanzenforschung finden? Schließlich sind Pflanzenzellen nicht nur von einer dünnen Membran, sondern auch noch von einer stabilen Zellwand umgeben. „Prinzipiell ist es denkbar, die Methode in Zukunft auch auf Zellen mit Zellwand auszuweiten“, erklärt Prof. Julia Vorholt von der ETH Zürich. „Wir konnten kürzlich zeigen, dass wir mit der ‚fluidic force microscopy‘ grundsätzlich auch durch Pilzzellwände hindurchkommen, wenn wir die Spitzen anpassen.“


Quelle:
Chen, W. et al. (2022): Live-seq enables temporal transcriptomic recording of single cells. In: Nature, (17. August 2022), doi: 10.1038/s41586-022-05046-9.

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Titelbild: Jede Zelle ist ein Unikat – und zwar nicht nur bei unterschiedlichen Organismen, auch innerhalb des gleichen Gewebes einer Pflanze treten in jeder Zelle andere DNA-Mutationen auf, die ihr Verhalten gegenüber äußeren Reizen beeinflussen. (Bildquelle: © Piotr Zakrzewski / Pixabay)