Mut zu innovativen Züchtungstechniken

Sonst drohen Ertragsverluste durch den „Green Deal“ der EU

08.02.2022 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Farm-to-Fork- und Biodiversitätsstrategie verändern die Landwirtschaft: Unter anderem sollen Einsatz und Risiko chemischer Pflanzenschutzmittel bis 2030 reduziert werden. (Bildquelle: © Erich Westendarp/Pixabay)

Farm-to-Fork- und Biodiversitätsstrategie verändern die Landwirtschaft: Unter anderem sollen Einsatz und Risiko chemischer Pflanzenschutzmittel bis 2030 reduziert werden. (Bildquelle: © Erich Westendarp/Pixabay)

Der europäische Grüne Deal soll die Landwirtschaft in der EU nachhaltiger machen – durch weniger chemischen Pflanzenschutz und Düngung. Das hat aber auch Nebeneffekte: Eine Studie der Universität Wageningen zeigt, dass solche Maßnahmen ohne Gegensteuerung zu signifikanten Produktionsrückgängen und Preissteigerungen führen werden. Der Rat der Wissenschaftler:innen: mehr Mut zu innovativen Züchtungsmethoden!

Seit 2014 steigt die Zahl der Menschen, die unter Hunger oder Mangelernährung leiden. 2020 war die Nahrungsmittelversorgung für ein Drittel der Weltbevölkerung nicht mehr gesichert. Wie drastisch die Auswirkungen der Corona-Pandemie sein werden, lässt sich bisher nur erahnen. Sicher ist: Das „Zero Hunger“-Ziel der Vereinten Nationen liegt aktuell in weiter Ferne.

Grüner Deal und Ernährungssicherheit: (k)ein Widerspruch?

Die Landwirtschaft steht vor der gewaltigen Herausforderung, in Zeiten des Klimawandels weiterhin genügend Nahrungsmittel für die wachsende Weltbevölkerung zu erzeugen. In Nord- und Westeuropa ist die Nahrungsversorgung noch nicht in ernster Gefahr. Aber welchen Beitrag leistet Europa für die weltweite Ernährungssicherheit?

Der Grüne Deal der Europäischen Kommission soll nicht nur neue Standards in puncto Nachhaltigkeit und Biodiversitätsschutz für die Landwirtschaft setzen, sondern auch die Ernährungssicherheit stärken. Die EU-Farm to Fork- und Biodiversitätsstrategien geben die Ziele vor: weniger chemischer Pflanzenschutz, weniger mineralische Düngung und stattdessen mehr Ökolandbau. Das stößt nicht überall auf Begeisterung, da eine „Ökologisierung“ der Landwirtschaft die Produktivität und die internationale Wettbewerbsfähigkeit negativ beeinflussen könnte. Die Agrarwirtschaft fordert daher eine Folgenabschätzung von der EU-Kommission.

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Die Umsetzung der europäischen Strategien trifft verschiedene Kulturpflanzen unterschiedlich stark. Während die erwarteten Produktionsrückgänge im Schnitt bei 10 bis 20 Prozent liegen, sind Äpfel, laut Studie, von Produktionsrückgängen von bis zu 30 Prozent bedroht.

Die Umsetzung der europäischen Strategien trifft verschiedene Kulturpflanzen unterschiedlich stark. Während die erwarteten Produktionsrückgänge im Schnitt bei 10 bis 20 Prozent liegen, sind Äpfel, laut Studie, von Produktionsrückgängen von bis zu 30 Prozent bedroht.

Bildquelle: © lumix2004/Pixabay

Grüner Deal kann zu Produktionsrückgängen führen

Ein Forschungsteam der niederländischen Universität Wageningen hat nun die Auswirkungen des zukünftigen Kurses auf die Lebensmittelproduktion in Europa untersucht. Ihr Fazit: Durch die geplanten Maßnahmen sinken die Erträge. Mehrjährige Pflanzen wie Obstbäume sind stärker betroffen als einjährige Pflanzen wie Weizen oder Mais.

Die Studie betrachtet zunächst den Effekt von drei einzelnen Maßnahmen. Reduziert man den chemischen Pflanzenschutzmitteleinsatz um 50 Prozent, werden die Ernten laut der Prognose um bis zu 30 Prozent einbrechen. Die Reduktion der mineralischen Düngung um 20 Prozent führe wahrscheinlich zu Ertragsverlusten um 25 Prozent. Eine Ausdehnung der ökologisch bewirtschafteten Flächen auf einen Anteil von 25 Prozent würde die Produktivität der Landwirtschaft um 10 Prozent herabsetzen.

Eine realistische Folgenabschätzung darf die Maßnahmen jedoch nicht isoliert betrachten. Ein viertes Szenario kombiniert daher die Pflanzenschutz- und Düngemittelreduktion mit dem Ziel, auf 10 Prozent der Agrarfläche Landschaftselemente mit hoher Diversität zu etablieren. Dann sinkt die Produktion im Schnitt um 10 bis 20 Prozent, in Extremfällen sogar um 30 Prozent. Neben den Ertragsrückgängen zeigen sich in allen Szenarien auch sekundäre Effekte wie Preisanstiege sowie steigende Importe. Studien des USDA und der Universität Kiel ziehen ähnliche Schlüsse.

Pflanzenzüchtung kann Ernährungssicherheit stärken

Die Produktionsrückgänge, die durch den Grünen Deal in Europa entstehen werden, müssen irgendwie ausgeglichen werden. Ein Szenario ist, dass Europa mehr Agrarrohstoffe und Lebensmittel importieren wird, für die in anderen Regionen der Welt mehr Acker- und Weideflächen bereitgestellt werden müssten. Eine mit Blick auf die globalen Nachhaltigkeitsziele fragwürdige Entwicklung, da die Standards in diesen Produktionsländern tendenziell schlechter sind als in Europa.

Gibt es Alternativen? Mit Sicherheit ja. Wir Europäer könnten unser Ernährungsverhalten anpassen, weniger Fleisch konsumieren und weniger Nahrungsmittel verschwenden. Doch auch die Pflanzenforschung bietet Lösungsansätze. Die Autor:innen der Studie betonen, dass gerade neue Züchtungstechniken wie die Genomeditierung den Züchtungsprozess von widerstandsfähigen und nährstoffeffizienten Nutzpflanzen deutlich verkürzen können. Diese Pflanzen wären dann in der Lage, auch mit reduzierten Pflanzenschutz- und Düngemitteleinsatz die erforderlichen Erträge zu liefern. Doch das muss man wollen. Bisher machen regulatorische Hürden den Anbau von genomeditierten Pflanzen in der EU praktisch unmöglich. Durch den Abbau dieser Hürden und die gezielte Förderung dieser Techniken könnte Europa weiterhin zur weltweiten Ernährungssicherheit und zum Erreichen des „Zero Hunger“-Ziels beitragen.


Quellen:

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Farm-to-Fork- und Biodiversitätsstrategie verändern die Landwirtschaft: Unter anderem sollen Einsatz und Risiko chemischer Pflanzenschutzmittel bis 2030 reduziert werden. (Bildquelle: © Erich Westendarp/Pixabay)