Schon gewusst? Lahme Leitung

Narkosemittel blockiert auch bei der Venusfliegenfalle die Reizübertragung

04.03.2022 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Die Reizübertragung der Sinneshaare der Venusfliegenfalle ähnelt dem menschlichen Nervensystem – und könnte die Testung von einigen medizinischen Wirkstoffen ohne Tierversuche ermöglichen. (Bildquelle: © LynnB / Pixabay)

Die Reizübertragung der Sinneshaare der Venusfliegenfalle ähnelt dem menschlichen Nervensystem – und könnte die Testung von einigen medizinischen Wirkstoffen ohne Tierversuche ermöglichen. (Bildquelle: © LynnB / Pixabay)

Forscher:innen der Julius-Maximilians-Universität Würzburg haben den Wirkmechanismus des Betäubungsmittels Äther bei der Venusfliegenfalle entschlüsselt. Die Narkose blockiert die Glutamat-Rezeptoren der Pflanzen. Der Botenstoff Glutamat ist auch bei Menschen und Tieren für die Reizübertragung verantwortlich. Die Entdeckung hat Potenzial für eine tierversuchsfreie Arzneimittelforschung.

Dass Pflanzen betäubt werden können, ist schon seit 1878 bekannt. So schnappen die Fangblätter der berührungsempfindlichen Venusfliegenfalle (Dionaea muscipula) unter Narkose nicht zu, wenn sich ein Insekt hinein verirrt. Der Mechanismus, der sich dahinter verbirgt, ist auch für die Humanmedizin von Interesse. Denn die Wirkung von Anästhetika ist bisher nicht vollständig entschlüsselt. Grund genug, die Pflanzenwelt genauer unter die Lupe zu nehmen.

Kalzium-Signale steuern Reizübertragung

Die fleischfressende Venusfliegenfalle ist das perfekte Forschungsobjekt. Die feinen Fühlborsten auf ihren Fangblättern, auch Sinneshaare genannt, nehmen kleinste Berührungen wahr. Jeder mechanische Reiz führt dazu, dass das Signalmolekül Kalzium ausgeschüttet wird. Nur zwei Berührungen in 20 Sekunden reichen aus, um ein Kalzium-Signal und elektrische Impulse (Aktionspotentiale) auszulösen. Diese breiten sich über das ganze Blatt aus und lassen die Falle blitzschnell zuschnappen. Interessant ist: Auch das menschliche Nervensystem ist bei der Reizübertragung auf Kalzium angewiesen!

#####1#####
Der Botenstoff Glutamat ist ein wichtiger Bestandteil der Reizübertragung – bei Pflanzen, Tieren und Menschen. Narkotika blockieren die Glutamat-Rezeptoren und verhindern, dass die Venusfliegenfalle auf externe Reize reagiert.

Der Botenstoff Glutamat ist ein wichtiger Bestandteil der Reizübertragung – bei Pflanzen, Tieren und Menschen. Narkotika blockieren die Glutamat-Rezeptoren und verhindern, dass die Venusfliegenfalle auf externe Reize reagiert.

Bildquelle: © iStock.com / cosmin4000

Narkose stoppt Reizübertragung von Sinneshaar zu Fangblatt

Um den Wirkmechanismus von Narkotika zu erforschen, betäubten die Forscher:innen Venusfliegenfallen mit dem Gas Äther und machten zwei erstaunliche Entdeckungen. Erstens beeinträchtigt die Narkose nicht nur die Funktion, sondern auch das Gedächtnis der Fallen. Sie „erinnern“ sich nicht an Reize, die unter Betäubung stattgefunden haben. Und zweitens lösen Berührungen trotz Narkose Kalzium-Signale in den Sinneshaaren aus. Das Signal erreicht die Fangblätter jedoch nicht.

Die Reizübertragung bricht also bereits in den Sinneshaaren ab. Da nur voll entwickelte Pflanzen Beute fangen können, verglich das Forschungsteam Sinneshaare von reifen und unreifen Venusfliegenfallen. Und fanden tatsächlich einen Unterschied: Nur reife Fallen haben ein aktives Gen für den Rezeptor des Botenstoffs Glutamat.

Betäubung legt Glutamat-Rezeptoren lahm

Ein weiterer Versuch zeigt: Stimuliert man die Fallen von außen mit Glutamat, werden Kalzium-Signale ausgelöst – allerdings nur bei ausgewachsenen, nicht narkotisierten Pflanzen. Das legt nahe, dass die Narkose die Glutamat-Rezeptoren lähmt und so die Reizübertragung unterbricht.

Auch bei Menschen und Tieren überträgt Glutamat als Neurotransmitter Informationen an den Synapsen und ermöglicht so die Reizübertragung. Aber wie sehr ähneln sich die Glutamat-Rezeptoren von Tieren und Pflanzen? Das muss nun erforscht werden. Wenn die Gemeinsamkeiten groß genug sind, könnten Wirkmechanismen von Betäubungsmitteln und anderen Wirkstoffen auch an Pflanzen getestet werden – und perspektivisch Tierversuche in einigen Fällen ersetzen.


Quelle:
Scherzer, S. et al. (2022): Ether anesthetics prevents touch-induced trigger hair calcium-electrical signals excite the Venus flytrap. In: Scientific Reports, (18. Februar 2022), doi: 10.1038/s41598-022-06915-z.

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Die Reizübertragung der Sinneshaare der Venusfliegenfalle ähnelt dem menschlichen Nervensystem – und könnte die Testung von einigen medizinischen Wirkstoffen ohne Tierversuche ermöglichen. (Bildquelle: © LynnB / Pixabay)