Auskreuzung und Verbreitung von Kulturpflanzengenen

„Genfluss ist ein biologisches Prinzip und kein Schaden“

Anhand mathematischer Modelle haben US-amerikanische Wissenschaftler errechnet, dass Gene aus Kulturpflanzen sich innerhalb weniger Generationen in Wildpopulationen ausbreiten können, auch wenn diese Gene für die Pflanze keinen Überlebensvorteil bringen. Sie liefern damit neuen Zündstoff in der Debatte um eine Risikobewertung transgener Pflanzen. BioSicherheit sprach mit Detlef Bartsch vom Robert Koch Institut in Berlin über die Ergebnisse der Studie.

Dr. Detlef Bartsch ist stellvertretender Leiter des Zentrum Gentechnologie am Robert Koch Institut Berlin (inzwischen Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit; BVL)

Wildrübe beta maritima im Schaugarten des Max-Planck-Insitutes für Züchtungsforschung in Köln.

In der italienischen Poebene, wo Zuckerrübensaatgut vermehrt wird, gibt es Wildverwandte der Zuckerrübe. In der Wildpopulation haben sich auch Gene etabliert, die für die Pflanzen nicht von Vorteil sind, etwa Gene, die dafür verantwortlich sind, dass die Rüben erst im zweiten Jahr blühen. Bislang ist es jedoch zu keinem Einbruch in der Population gekommen

bioSicherheit: Ein oft gehörtes Argument bei der Risikobewertung von vertikalem Gentransfer auf verwandte Wildarten ist ja, dass Gene, die der Pflanze keinen Vorteil verleihen, auf Dauer auch wieder aus dem Genpool verschwinden. Die Autoren der Studie heben nun hervor, dass auch Gene, die den Wildpflanzen keinen Vorteil verschaffen, sich in Wildpopulationen etablieren können. Unter welchen Bedingungen ist das möglich?

Bartsch: Es kommt auf den Umfang des Gen-Flusses an. Wenn es sich um „neutrale“ Gene handelt, also Gene die weder Vor- noch Nachteile für das Überleben bieten, können auch geringe Übertragungsmengen rasch zur dauerhaften Etablierung ausreichen.

Ich benutze gern das „Badewannen-Modell“ zur vereinfachten Darstellung: Setzt man die gesamte Menge der Erbinformation einer Population mit der Menge des Wassers in einer vollen Badewanne gleich, so ändert sich bei einem langsamen Zulauf von - sagen wir - gefärbtem roten Wasser aus einem Wasserhahn langsam die Wasserfarbe. Es gibt aber noch viele andere Zuläufe mit klarem Wasser - also Genfluss von benachbarten Wildpflanzen - so dass es vielleicht zu einem rosa Farbton kommt. Über einen Ablauf läuft gleichzeitig Wasser wieder ab, da die Gesamtmenge (Wasser wie DNA) gleich bleibt. Neutrale wie vorteilhafte Gene werden gleichsam in der Populations-Badewanne fixiert. In dem Modell von Haygood et al. sind die weiteren Zuflüsse - aus Gründen der Vereinfachung - nicht berücksichtigt.

bioSicherheit: Das Ergebnis der Rechenmodelle ist zugespitzt gesagt, dass die Wildpopulationen über kurz oder lang abnehmen und durch Gene aus den Kulturarten „überfremdet“ werden. Wie sieht das in der Realität aus?

Bartsch: „Überfremdung“ ist keine gute Beschreibung. Es kommt erst einmal zu einer Durchmischung und damit zu einer „Bereicherung“ des Erbgutes. Bei einem sehr starken und dominanten Genfluss von Kultur- zu Wildformen ist im Extremfall mit der Verdrängung von seltenen Genen in der Wildpopulation zu rechnen. Es kommt auch sehr stark auf den Fortpflanzungsmechanismus der Pflanze an. Selbstbefruchter sind weitestgehend immun gegen Genfluss durch Pollen, aber sie könnten durch konkurrenzstarke Kulturpflanzen selbst verdrängt werden. Letzterer Fall ist sehr unwahrscheinlich, da Kulturpflanzen wenig an ein wildes Leben angepasst sind. Fremdbefruchter dagegen haben meist einen ausgesprochenen Hang zur Durchmischung des Erbgutes. Wenn der Eintrag von Kulturgenen nicht zu hoch ist, werden die Kulturgene einfach übernommen.

Beim Badewannen-Modell würde die Wasserfarbe langsam rosa werden, ohne dass die Wasserqualität gleich schlecht werden müsste. In der Populationsgenetik wird der zufällige Verlust seltener Gene als „Genetische Drift“ bezeichnet. Kommen noch Gene kontinuierlich von außen hinzu, könnte dieser Effekt zunehmen und im Extremfall tatsächlich zum Aussterben der Wildpopulation führen. Man hat das z.B. beim Genfluss zwischen konventionellem Kultur-Reis zu wildem Reis in einigen Regionen der Erde beobachtet. In der Praxis kennen wir aber auch Beispiele, wo selbst ein extrem starker Genfluss von Zuckerrüben in Wildrüben nicht zu einer Überfremdung, sondern eher zu einer Bereicherung der genetischen Diversität geführt hat. Verallgemeinerungen sind also kaum möglich und Rechenmodelle müssen immer an der Realität überprüft werden.

bioSicherheit: Die Autoren betonen, dass ihre Rechenmodelle sowohl für konventionell gezüchtete als auch gentechnisch veränderte Pflanzen gilt. Ist diese Gleichsetzung zulässig oder gibt es da Unterschiede?

Bartsch: Vieles ist gleich, aber es gibt da einen kleinen aber feinen Unterschied. Bei konventionellen Pflanzen gibt es zu jedem Allel (also Gen-Ort auf den Chromosomen) der Spenderpflanze ein entsprechendes Allel bei der Empfängerpflanze. Vorteilhafte Allele können sich durchsetzen. Es kann damit ein echter Austausch bis hin zur Verdrängung erfolgen. Bei transgenen Organismen dagegen gibt es durch die neu eingefügte Erbinformation kein wirkliches Gegenstück bei der Wildpflanze. Man spricht von „Null-Allel“ bei der Wildpflanze. Es kann demnach bei ausgesprochenen Fremdbestäubern zunächst nichts wirklich verdrängt werden. Etwas anderes ist es allerdings, wenn es unmittelbar um den transgenen Ort auf dem Genom so genannte gekoppelte Gengruppen gibt, die sich nicht von dem Transgen trennen lassen. Es könnten dann u.U. wenige - Wildgene verloren gehen. Es ist eine Frage des Gleichgewichts zwischen genetischer Rekombination und Selektion. Hier wird es sehr kompliziert und wir verlassen das in der Veröffentlichung angesprochene Modell.

bioSicherheit: Wenn es dazu kommt, dass Transgene sich im Genpool etablieren: Wie ist das Ihrer Meinung nach zu bewerten?

Bartsch: Wir hatten im Januar 2003 einen großen internationalen Kongress in Amsterdam zu diesem Thema. Die Redner stimmten überein, dass Transgene sich in vielen Fällen natürlich etablieren werden, weil Genfluss ein grundlegendes biologisches Prinzip und kein Schaden ist. Betrachtet werden müssen für den Einzelfall die jeweiligen Konsequenzen. Meiner Meinung nach spricht dabei nichts für eine pauschal negative Bewertung.