SiFo-Projekt: Gentechnisch veränderte pilzresistente Weinreben - Mögliche Folgen für Nicht-Zielorganismen?

Riesling für die Raubmilbe

Über der Pfalz hängt ein grauer Winterhimmel. Die Traubenlese ist abgeschlossen. In den Kellern der Winzer reift der Wein. Doch für Dr. Johannes Jehle und seine Mitarbeiter an der Staatlichen Lehr- und Forschungsanstalt (SLFA) in Neustadt an der Weinstraße bedeutet das noch längst keine Ruhepause. Die Arbeiten zur Untersuchung von gentechnisch veränderten Reben gehen auch im Winter weiter.

Hugo Arends von der Staatlichen Lehr- und Forschungsanstalt (SLFA) prüft die Entwicklung der Reben.

Junge gentechnisch veränderte Reben im Gewächshaus Die gentechnisch veränderten Reben produzieren Enzyme, die die Zellwände von Pilzen angreifen. Auf diese Weise sollen sich die Pflanzen besser vor Pilzerkrankungen wie etwa dem weit verbreitete

Junge, gentechnisch veränderte Reben im Gewächshaus

Insektenanzucht. Traubenwickler legen ihre Eier auf Folie ab. Für die umfangreichen Laboruntersuchungen ist die Anzucht von Insekten erforderlich.

Die Insektenanzucht: Traubenwickler legen ihre Eier auf Folie ab.

Eier des Traubenwicklers sind als weiße Punkte auf der Folie zu erkennen - hier über einem Nährmedium für die geschlüpften Larven.

Traubenwicklerlarven werden nach dem Schlupf in Einzelzellen herangezogen.

Nach dem Schlupf werden die Larven in „Einzelhaft“ herangezogen.

Eine ausgewachsene Larve des Traubenwicklers Der Traubenwickler ist ein Schädling der Weinrebe. Die Sicherheitsforschung untersucht die Wirkungen der gentechnischen Veränderung auf das Insekt.

Eine ausgewachsene Larve des Traubenwicklers

Fütterungsversuche. Die gentechnisch veränderten Weinreben produzieren u.a. Chitinase, das ist ein Enzym, das die Zellwand von Pilzen auflösen kann. Um zu testen in welchem Maße das Enzym auch die Darmhülle von Insekten angreift, werden Larven des

Larven des Traubenwicklers werden mit dosierten Mengen von Chitinase in Tröpfchenform gefüttert.

Raubmilben werden auf Glasplatten herangezogen und mit herkömmlichem Pollen gefüttert (gelb).

Raubmilben werden auf Glasplatten herangezogen und mit herkömmlichem Pollen gefüttert (gelb).

Eine Raubmilbe ist mit bloßem Auge schwer zu erkennen…

Raubmilbe unter dem Rasterelektronen-Mikroskop. Auch mögliche Wirkungen der transgenen Weinreben auf die nützliche Raubmilbe werden untersucht.

…beeindruckt aber unter dem Rasterelektronen- Mikroskop. Quelle: FB Phytomedizin, SLFA Neustadt/Wstr.

In Zellkulturen werden die gewünschten Enzyme produziert.

Der Besuch bei den Forschern der SLFA beginnt mit einer Überraschung: Hugo Arends grüßt mit unverkennbar holländischem Akzent. Ein Niederländer im Weinbau? Arends lacht. Das Rätsel ist schnell gelöst. Der junge Wissenschaftler aus dem so gar nicht für seinen - tatsächlich existierenden - Weinbau bekannten Nachbarland ist Biologe. Sein Spezialgebiet sind biochemische Verfahren, und die spielen in diesem Projekt eine wichtige Rolle. Denn um die Auswirkungen von gentechnisch veränderten pilzresistenten Reben auf Insekten zu untersuchen, ist ein aufwändiges mehrgliedriges Verfahren notwendig.

Selbstschutz vor dem Mehltau

Der erste Schritt beginnt mit den gentechnisch veränderten Reben. Seit 1999 testet das zur Bundesanstalt für Züchtungsforschung gehörende Institut für Rebenzüchtung (Geilweilerhof) im nahen Siebeldingen transgene Reben der Sorten Dornfelder, Riesling und Seyval blanc. Die Pflanzenzüchter setzten den Reben ein Gen aus der Gerste ein und verstärkten es in seiner Wirkung. Mit dessen Hilfe produzieren die Reben die Substanzen Chitinase (CHI) und Glukanase (GLU) sowie ein Ribosomen hemmendes Protein (RIP). Die drei Enzyme können die Zellwände von Pilzen auflösen beziehungsweise deren Wachstum hemmen. Auf diese Weise sollen sich die Reben vor Pilzkrankheiten wie zum Beispiel dem weit verbreiteten Echten Mehltau schützen. Ähnliche Enzyme sind bekannt dafür, dass sie - in ausreichender Konzentration - die chitinhaltige Darmhülle von Insekten angreifen. Damit könnten sich die pilzresistenten Reben zwar einerseits eventuell gegen Schädlinge wie den Traubenwickler (Lobesia botrana) verteidigen, andererseits könnte zum Beispiel die nützliche Raubmilbe (Typhlodromus pyri) gefährdet sein. Die Wirkung der Pflanzenenzyme könnte noch verstärkt werden, wenn gleichzeitig Bt-Präparate als biologische Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden, denn dieser Wirkstoff greift ebenfalls die Darmwand bestimmter Insekten an.

In Einzelhaft

Um diese Effekte zu klären, kultivieren Jehle und Arends einige transgene Reben, die ihnen von ihren Kollegen aus Siebeldingen überlassen wurden, im Gewächshaus. Sie untersuchen an diesen Pflanzen ebenso wie an gentechnisch veränderten Reben im Freiland, in welchen Mengen die Reben die Enzyme Chitinase, Glukanase und RIP produzieren. Parallel messen sie, welche Dosis der Enzyme für die Larven des Traubenwicklers und die Raubmilbe tödlich ist. Dazu ist zunächst ein weiterer Verfahrensschritt notwendig, nämlich die Zucht dieser Insekten in ausreichender Zahl. Schließlich werden für jede Versuchsreihe allein rund 300 Traubenwickler-Larven benötigt.

In Plexiglas-Behältern werden jeweils rund 20 männliche und weibliche Traubenwickler gehalten. Nach der Paarung legen die Weibchen auf Kunststoff-Folien die befruchteten Eier ab. Die Folien mit den daran anhaftenden Eiern schneiden die Forscher in kleine Stücke und legen sie in Plastikschalen mit einer Nährsubstanz aus Maisgrieß, Bierhefe und weiteren Stoffen. Wenn die Larven geschlüpft sind, kommen sie in „Einzelhaft“: In kleinen Zellen mit einem Nährstoffvorrat wachsen sie heran. Wenn die Larven groß genug sind, beginnen die Fütterungsversuche.

Blaue Larven haben „genascht“

Jehle und Arends setzen dabei nicht einfach pflanzliches Material der Reben ein. Stattdessen lassen die Wissenschaftler die Enzyme Chitinase und Glukanase in einem weiteren parallel verlaufenden Verfahren in Zellkulturen herstellen. Die Enzyme können dann in genau bekannter Menge und Konzentration in Tröpfchenform an die Larven verfüttert werden. Sind die Tröpfchen verzehrt, wissen die Forscher exakt, welche Enzymmengen die Larven gefressen haben. So können sie die mittlere tödliche Dosis (LD50) bestimmen, das heißt die Enzymmenge, die nötig ist, um die Hälfte der Larven zu töten. Eine optische Kontrolle bietet das Anfärben der Tröpfchen mit blauer Lebensmittelfarbe. Die gefräßigen Larven färben sich selbst blau ein und können so von denen unterschieden werden, die nicht von den Enzymen „genascht“ haben.

Etwas komplizierter ist der nächste Schritt, die Fütterung der nur etwa 0,5 mm großen Raubmilben. Eine Erfolgskontrolle mit dem bloßen Auge scheidet daher ebenso aus wie die Tröpfchenfütterung. Abhilfe schafft eine alternative Methode: Die Raubmilben werden auf Glasplatten gezüchtet und mit herkömmlichem Pflanzenpollen ernährt. Auf die Glasplatten werden die gelösten Enzyme in unterschiedlichen Konzentrationen aufgetragen. Bei diesem Verfahren können allerdings nur die verabreichten Konzentrationen, nicht die verzehrten Enzymmengen bestimmt werden. Die Überlebensrate der Milben wird unter dem Mikroskop ausgezählt. Außerdem werden etwaige Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit beobachtet, indem die Eiablage der Milben kontrolliert wird.

Am Ende des mehrstufigen Verfahrens werden Jehle und Arends die im Labor ermittelten Werte für die Schädigung des Traubenwicklers und der Raubmilbe mit den Enzymkonzentrationen der Reben im Freiland vergleichen. Derzeit ist es aber zu früh, um gesicherte Aussagen zu treffen. Das im Juni 2001 gestartete Projekt wird die beiden Wissenschaftler noch bis zum Jahr 2004 beschäftigen. Da bleibt genug Zeit bis zu einem kommerziellen Anbau gentechnisch veränderter Reben, der nach Einschätzung von Jehle noch mindestens zwanzig Jahre entfernt ist.