Zusammenspiel der Transkriptionsfaktoren

Wie Pflanzen das Ablesen ihrer Gene steuern

21.11.2016 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Besonders interaktionsfreudige Transkriptionsfaktoren werden auch als „Hubs“ (dt.: Knotenpunkte) bezeichnet. (Bildquelle: © Roostler / Fotolia.com)

Besonders interaktionsfreudige Transkriptionsfaktoren werden auch als „Hubs“ (dt.: Knotenpunkte) bezeichnet. (Bildquelle: © Roostler / Fotolia.com)

Transkriptionsfaktoren steuern die Genexpression, also welche Gene zu welchem Zeitpunkt wie oft abgelesen werden. Doch erst das Zusammenspiel mehrerer Familien von Transkriptionsfaktoren verleiht Pflanzen die überlebensnotwendige Anpassungsfähigkeit an die sich ständig verändernden Umweltbedingungen. Pflanzen, die weniger mobil sind als andere Organismen, sind auf ausgefeilte Anpassungsstrategien angewiesen. Einerseits macht diese Tatsache Pflanzen zu spannenden Untersuchungsobjekten in der Biologie. Andererseits hängen davon komplexe Ökosysteme und auch unser Leben ab.  

Seit dem Aufkommen moderner DNA-Sequenziermethoden im neuen Jahrtausend häufen sich die Meldungen über die Entschlüsselung von Genomen. Neben dem mikrobiellen, tierischen und dem menschlichen Genom sind inzwischen auch zahlreiche pflanzliche Genome in ihrer Sequenz bekannt. Damit haben Wissenschaftler die Basis geschaffen, den Aufbau und Stoffwechsel dieser Lebewesen auch auf molekularer Ebene besser zu verstehen. Doch schnell wird klar: Der genetische Code ist zwar das Grundgerüst, nachdem ein Lebewesen aufgebaut ist und funktioniert; doch nahezu alle Zellen eines Organismus besitzen denselben Bauplan, übernehmen aber ganz unterschiedliche Funktionen. Wie kann das sein?

Verantwortlich dafür sind Transkriptionsfaktoren. Diese Proteine steuern, welche Gene in den Zellen zu bestimmten Zeitpunkten in einer bestimmten Frequenz abgelesen werden, indem sie die RNA-Polymerasen in Gang setzen – oder sie an ihrer Arbeit hindern.

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Im Zellkern liegt der genetische Code eines Lebewesens. Welche Gene abgelesen werden, hängt von der Aktivität der Transkriptionsfaktoren ab.

Im Zellkern liegt der genetische Code eines Lebewesens. Welche Gene abgelesen werden, hängt von der Aktivität der Transkriptionsfaktoren ab.

Bildquelle: © MIKI Yoshihito/wikimedia.org; CC BY-SA 2.0

Man unterscheidet zwischen allgemeinen und spezifischen Transkriptionsfaktoren. Beide vereint, dass sie die Transkription von Genen regulieren. Während die allgemeinen Transkriptionsfaktoren in allen Zellen eines Organismus vorkommen, sind die spezifischen Transkriptionsfaktoren an der spezifischen Genregulation beteiligt. Sie vermitteln den RNA-Polymerasen selektiv, welche Gene abgelesen werden sollen.

Promotoren, Enhancer und Silencer regulieren die Transkription eines Gens

Transkriptionsfaktoren wirken meist in der Promotorregion von Genen. Diese liegt charakteristischerweise am 5'-Ende des kodierenden Stranges eines Gens und somit in Syntheserichtung vor dem RNA-codierenden Bereich. Der Promotor ist Teil der Gen-regulatorischen Bereiche. Doch auch weiter vom Gen entfernte Bereiche können die Genexpression beeinflussen. So haben sogenannte „Enhancer“ (dt.: Verstärker) einen fördernden Einfluss auf die Expression, während die „Silencer“ (dt.: Dämpfer) diese vermindern.

Additive und kooperative Transkriptionsfaktoren

Moderne Untersuchungsverfahren zeigen: Große Teile von Promotoren sind von Transkriptionsfaktoren bedeckt. Sie bestimmen das Ablese-Schicksal des darauf folgenden Gens. Die beteiligten Transkriptionsfaktoren können sich dabei additiv oder kooperativ verhalten. Additiv bedeutet, dass sich die Ablesehäufigkeit verstärkt, wenn mehrere Transkriptionsfaktoren binden. Unter kooperativ versteht man in diesem Zusammenhang, wenn die Aktivität eines Transkriptionsfaktors von anderen DNA-bindenden Proteinen abhängt. Die meisten Transkriptionsfaktoren lassen sich jedoch weder strikt allein dem additiven oder dem kooperativen Typ zuordnen. Sie sind vielmehr abwechselnd in beiden Zuständen gebunden.

Das kooperative Zusammenspiel von Transkriptionsfaktoren kann ganz ohne physikalischen Kontakt der beteiligten Proteine auskommen. Beispielsweise dann, wenn das Binden eines Transkriptionsfaktors an die DNA deren Struktur so verändert, dass ein weiterer Transkriptionsfaktor ebenfalls binden kann.

Interfamiliäre Interaktionen häufig zwischen Transkriptionsfaktoren

Ein durchschnittliches Pflanzengenom verfügt über etwa 1.500 verschiedene Transkriptionsfaktoren, die sich in 50 bis 60 verschiedene Familien mit unterschiedlichen Mitgliedern einteilen lassen. Die meisten Transkriptionsfaktoren sind in der Lage, physikalisch mit anderen Familienmitgliedern zu interagieren und Heterodimere oder größere Transkriptionskomplexe zu formen. Das Repertoire der Transkriptionsfaktor-Transkriptionsfaktor-Interaktionen erweitert sich jedoch noch einmal um Größenordnungen, wenn auch Transkriptionsfaktoren unterschiedlicher Familien miteinander interagieren können. Diese interfamiliären Interaktionen kommen häufig vor und heben die Transkriptionsmaschinerie auf ein noch komplexeres Level.

Hubs: besonders interaktionsfreudige Transkriptionsfaktoren

In der öffentlich zugänglichen Datenbank BioGRID lassen sich die Interaktionen von Transkriptionsfaktoren der Modellpflanze Arabidopsis thaliana abrufen. Insgesamt wurden bei A. thaliana bisher 2.331 Interaktionen zwischen Transkriptionsfaktoren entdeckt. 1.207 davon finden zwischen Transkriptionsfaktoren aus der gleichen Familie statt, und fast ebenso viele (1.124) zwischen Transkriptionsfaktoren unterschiedlicher Familien. Strukturell bedingt erweisen sich dabei einige Transkriptionsfaktor-Familien als reaktionsfreudiger als andere. Besonders interaktionsfreudige Transkriptionsfaktoren werden auch als „Hubs“ (dt.: Knotenpunkte) bezeichnet.

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Bei A. thaliana wurden bisher 2.331 Interaktionen zwischen Transkriptionsfaktoren entdeckt.

Bei A. thaliana wurden bisher 2.331 Interaktionen zwischen Transkriptionsfaktoren entdeckt.

Bildquelle: © Alberto Salguero/wikimedia.org; CC BY 2.0

Interfamiliär bindende Transkriptionsfaktoren erhöhen Anpassungsfähigkeit

Arbeiten Transkriptionsfaktoren über die Familiengrenzen hinweg zusammen, kann das der Pflanze helfen, sich an veränderte Umweltbedingungen anzupassen, indem sie verschiedene Stoffwechselwege aufeinander abstimmt. Die beteiligten Interaktionen von Transkriptionsfaktoren sind dabei zwar für die Funktionsfähigkeit der einzelnen Signal-, Hormon- oder Entwicklungswege nicht unbedingt notwendig, helfen der Pflanze aber, sich flexibel an Umweltfaktoren anzupassen.

Ein anschauliches Beispiel für das Zusammenwirken familienübergreifender Transkriptionsfaktoren ist die Regulation des pflanzlichen Wachstums. Hier spielen Hormone wie Auxin, Gibberellinsäure, Brassinosteroide und die lichtempfindlichen Phytochrom-interagierenden Faktoren eine Rolle. Transkriptionsfaktoren dieser Stoffwechselwege interagieren miteinander, um einen koordinierten, den Umweltbedingungen angepassten Wuchs der Pflanze zu gewährleisten.

Die besonders reaktionsfreudige TCP-Familie

Eine besonders reaktionsfreudige Transkriptionsfaktoren-Familie ist die TCP-Familie. Sie ist an vielen verschiedenen Prozessen wie Wachstum, Entwicklung, Hormonsignalübertragung, innerer Uhr und pflanzlicher Abwehr beteiligt. Der Name TCP hat seinen Ursprung im Namen von Genen, die trotz ihrer unterschiedlichen Funktionen über ein gemeinsames Strukturelement verfügen. Ein 59 Aminosäuren umfassendes „helix-loop-helix“ Motiv. Erstmals beschrieben wurde dieses 1999. Das Strukturmotiv DNA bindender Proteine besteht aus einer kurzen alpha-Helix, die durch eine flexible Schleife, einen sogenannten Loop, mit einer zweiten längeren Helix verknüpft ist. Dieser Bereich wurde erstmals im „teosinte branched1“ (tb1) Gen im Mais, dem CYCLOIDEA (CYC) Gen des Löwenmauls (Antirrhinum majus) und dem PROLIFERATING CELL FACTOR Genen 1 und 2 (PCF1, PCF2) in der Reis-DNA entdeckt. Das TCP-Motiv wurde mittlerweile in vielen anderen Pflanzenarten entdeckt.

In Arabidopsis umfasst die TCP-Familie 24 Mitglieder. Diese arbeitet nach heutigem Kenntnisstand mit mindestens 20 anderen Transkriptionsfaktoren-Familien zusammen. Die TCP-Familie agiert außerdem als Knotenpunkt, indem sie verschiedene regulatorische Prozesse miteinander verbindet.

Gerade bei besonders interaktionsfreudigen Transkriptionsfaktoren drängt sich die Frage auf, ob spezifische Sequenzen oder gemeinsame strukturelle Proteindomänen für dieses Phänomen verantwortlich sind. Doch bisher sind nur wenige dieser Sequenzen bzw. Domänen für ihre Interaktionsfähigkeit bekannt. Hier herrscht noch weiterer Forschungsbedarf. Neue in vivo Techniken, mit denen Proteinkomplexe auch an DNA-Bindungsstellen aufgespürt werden können, werden, nach Meinung der Forscher, hier bald zur Klärung beitragen.


Quelle:
Bemer, M. et al. (2016): Cross-Family Transcription Factor Interactions: An Additional Layer of Gene Regulation. In: Trends Plant Sci., (01. November 2016), doi: 10.1016/j.tplants.2016.10.007.

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Titelbild: Besonders interaktionsfreudige Transkriptionsfaktoren werden auch als „Hubs“ (dt.: Knotenpunkte) bezeichnet. (Bildquelle: © Roostler / Fotolia.com)