„Medizinische Biodiversität“ bedroht

Der Schutz von Heilpflanzen sichert auch zukünftige Therapiemöglichkeiten

24.02.2023 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Die Hunds-Rose (Rosa canina) enthält wie andere Rosenarten den Wirkstoff Geraniol. Er wirkt entzündungshemmend. (Bildquelle: © photosforyou / Pixabay)

Die Hunds-Rose (Rosa canina) enthält wie andere Rosenarten den Wirkstoff Geraniol. Er wirkt entzündungshemmend. (Bildquelle: © photosforyou / Pixabay)

In Heilpflanzen schlummert das Potential, die medizinische Versorgung der Menschheit auf lange Sicht sicherzustellen. Allerdings gibt es noch sehr viel Forschungsbedarf - um diesen Schatz zu heben und ihn dauerhaft zu schützen.

Das dritte der insgesamt 17 UN-Nachhaltigkeitsziele betrifft den Gesundheitsschutz der Menschheit. Der nachhaltige und gleichberechtigte Zugang zu Heilpflanzen und daraus hergestellter Medikamente könnte zum Erreichen dieses Ziels beitragen – vor allem in Zeiten, in der kommerzielle Medikamente immer teurer werden. Heilpflanzen könnten günstige Alternativen sein und Lücken in der medizinischen Versorgung schließen. Daher plädieren Forscher:innen des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt dafür, Heilpflanzen besser zu erforschen und ihren Bestand stärker zu schützen.

Pflanzen als Medizin

In den letzten vier Jahrzehnten basierte etwa die Hälfte aller weltweit neu zugelassenen Medikamente auf Pflanzenwirkstoffen oder war von ihnen inspiriert. Bekannte Präparate sind zum Beispiel das aus dem Einjährigen Beifuß (Artemisia annua) gewonnene Artemisinin zur Malariabekämpfung, Morphin als starkes Schmerzmittel, gewonnen aus dem Schlafmohn (Papaver somniferum) oder der in der Chemotherapie eingesetzte Wirkstoff Paclitaxel aus der Pazifischen Eibe (Taxus brevifolia).

Umso mehr verwundert es, dass von den 374.000 bisher bekannten Pflanzen gerade mal 15 Prozent chemisch genauer analysiert und nur sechs Prozent pharmakologisch untersucht wurden. Gründe sind laut einem Bericht der WHO von 2019 unter anderem ein Mangel an Forschungsdaten und zu wenig Forschungsgelder, so die Forscher:innen.

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Der Schlafmohn (Papaver somniferum) liefert das starke Schmerzmittel Morphin.

Der Schlafmohn (Papaver somniferum) liefert das starke Schmerzmittel Morphin.

Bildquelle: © TheOtherKev / Pixabay

Dabei sind die Möglichkeiten günstig wie nie: Durch neue Entwicklungen in der Erforschung von Stoffwechselprodukten (Metabolomik) und in der Genomik können komplexe Wirkstoffmischungen aus Pflanzenextrakten sehr genau aufgeschlüsselt und einzelne Komponenten isoliert werden. Ein Beispiel dafür ist die Sequenzierung des Genoms der Eibe, um die für die Biosynthese von Paclitaxel verantwortlichen Gene zu identifizieren. Gleichzeitig ist traditionelles Wissen über Heilpflanzen in vielen Regionen vom Aussterben bedroht, nicht zuletzt durch den prognostizierten Verlust von etwa 30 Prozent der indigenen Kulturen und Sprachen bis zum Ende des 21. Jahrhunderts.

Heilkraft durch intakte Ökosysteme

Besonders im Blick der Forscher:innen sind dabei die ökologischen Zusammenhänge zwischen den Heilpflanzen und den Ökosystemen. Denn insbesondere sekundäre Pflanzenstoffe, die eine starke medizinische Wirkung besitzen können, sind auch in ökologischen Netzwerken taktangebende Stoffe. Sie regulieren zum Beispiel die Bestäubung (z.B. der Duftstoff Geraniol aus Rosa und Geranium), wehren Fressfeinde ab (z.B. Nikotin aus Nicotiana), verhindern Infektionen in beschädigten Pflanzenorganen (z.B. 1,8-Cineol aus Eukalyptus) oder regeln als Hormone abiotischen Stress wie Kälte, Trockenheit oder Salzstress (z.B. Salicylsäure aus Salix).

Heilpflanzen weltweit bedroht

Allerdings stehen medizinisch relevante Pflanzenarten global stark unter Druck - Klimawandel und der Verlust natürlicher Habitate bedrohen somit auch die menschliche Gesundheit. Und auch die übermäßige kommerzielle Nutzung einzelner Pflanzenarten macht Probleme: Etwa 60 bis 80 Prozent der gehandelten Heilpflanzen stammen aus Wildsammlungen, mit einem jährlichen globalen Handelswert von mehr als drei Milliarden Euro. Durch kommerzielle Übernutzung stehen einige dieser Pflanzenarten kurz vor dem Aussterben, so zum Beispiel die Gattung der Gliedkräuter (Siderits) in Osteuropa, die als „griechischer Bergtee“ auch hierzulande beliebt ist. Auch wenn die Balkanstaaten diese Pflanzenarten mittlerweile geschützt und das Wildsammeln stark eingeschränkt haben, bietet es für viele Familien eine wichtige Einkommensquelle. Illegales Sammeln bedroht in solchen Fällen weiterhin die Pflanzenvielfalt, erklären die Forscher:innen. Sie schlagen daher vor, für eine nachhaltige Nutzung von Heilpflanzen verstärkt auf nachhaltige Anbausysteme wie der Permakultur zu setzen. Sie sind im Kleinen umsetzbar und imitieren natürliche Umweltbedingungen, so dass die wichtigen Inhaltsstoffe der Pflanzen erhalten bleiben. Diese Art der Landwirtschaft könnte von Kleinbauern praktiziert werden, ihnen ein Einkommen sichern und die Wildbestände schonen.

Wo die Naturapotheke zu Hause ist

Um das medizinische Potential der Pflanzenwelt besser erfassen zu können, haben die Forscher:innen am Beispiel von Europa vier Indikatoren ausgewählt, mit denen man Ökosysteme mit besonderem medizinischen und sozioökonomischen Potential erfassen und schützen kann. Das sind

  • die durchschnittliche Anzahl medizinisch relevanter Wirkstoffe pro medizinischer Pflanze in einem Ökosystem
  • der potentielle soziale Nutzen solcher Ressourcen
  • der mögliche ökonomische Wert dieser Ressourcen
  • und die aktuelle Bedrohung durch Veränderungen in der Umwelt (Klimawandel, Biodiversitätsverlust, etc.).

Die Berechnungen zeigten Hot Spots medizinisch relevanter Ressourcen besonders im Mittelmeerraum und in den pol nahen Gebieten. Sie bieten eine Grundlage für zukünftige Schutz- und nachhaltige Nutzkonzepte von Heilpflanzen. „Unser Ziel ist es, Anstöße für die transdisziplinäre globale Erforschung von medizinischen Pflanzen zu geben. So können wir in der Zukunft nicht weniger als eine nachhaltige Transformation der weltweiten Gesundheitsversorgung erreichen und die ‚medizinische Biodiversität‘ für kommende Generationen sichern,“ so Spyros Theodoridis, Erstautor der Studie.


Quelle:
Theodoridis, S. et al (2023): Evaluating natural medicinal resources and their exposure to global change. In: The Lancet Planetary Health Vol 7, Februar 2023. dx.doi.org/10.1016/S2542-5196(22)00317-5

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Titelbild: Die Hunds-Rose (Rosa canina) enthält wie andere Rosenarten den Wirkstoff Geraniol. Er wirkt entzündungshemmend. (Bildquelle: © photosforyou / Pixabay)