Nordharz: Kaum noch fliegende Insekten

Nur Blattläuse und Zikaden legen zu

20.11.2023 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Während die Gesamtbiomasse fliegender Insekten im Nordharz in vergangenen Dekaden zurückgegangen ist, treten Schadinsekten wie die Große Getreideblattlaus Sitobion avenae häufiger auf. (Bildquelle: © E. Schliephake, Julius Kühn-Institut)

Während die Gesamtbiomasse fliegender Insekten im Nordharz in vergangenen Dekaden zurückgegangen ist, treten Schadinsekten wie die Große Getreideblattlaus Sitobion avenae häufiger auf. (Bildquelle: © E. Schliephake, Julius Kühn-Institut)

Eine Studie des Julius Kühn-Institutes zeigt, dass die Biomasse fliegender Insekten auf den landwirtschaftlichen Flächen der Region Nordharz seit der Jahrtausendwende um 95 Prozent zurückgegangen ist. Doch Pflanzenschädlinge wie Blattläuse haben sich entgegen diesem Trend vermehrt.

Das Insektensterben ist spätestens seit der Veröffentlichung der „Krefeld-Studie“ im Jahr 2017 in der öffentlichen Diskussion. Doch die Datenlage blieb zunächst lückenhaft und uneinheitlich. Die in diesem Monat veröffentlichte Langzeitstudie des Julius Kühn-Institutes (JKI) bestätigt für die Region Nordharz rund um Quedlinburg in Sachsen-Anhalt den Trend: Ein Rückgang von 95 Prozent der Biomasse bei fliegenden Insekten in einem Zeitraum von 24 Jahren. Das JKI hat seine Daten mit Hilfe einer Saugfalle erhoben, die eine Höhe von über 12 Meter hat.

Intensive Landwirtschaft sorgt für Insektenschwund

Die meisten Insektenarten leiden aus Sicht der Wissenschaftler:innen an Nahrungsmangel und fehlenden Nistmöglichkeiten. Denn den monotonen Agrarlandschaften fehlen ökologisch wichtige Kleinstrukturen wie Hecken, Randstreifen und Gehölze. In der Region Nordharz ist das besonders ausgeprägt: Der Anteil der landwirtschaftlichen Flächen beträgt hier rund 60 Prozent mit relativ großen Schlaggrößen von durchschnittlich 41 Hektar.

Es gibt auch Gewinner

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Insektensaugfalle für das Langzeitmonitoring am JKI in Quedlinburg.

Insektensaugfalle für das Langzeitmonitoring am JKI in Quedlinburg.

Bildquelle: © T. Will/Julius Kühn-Institut

Doch nicht alle Insektenarten sind von diesen schweren Verlusten betroffen: Ausgerechnet die Zahl von Pflanzenschädlingen wie den Blattläusen stieg an. Auch Zikaden kommen nun öfters vor. Den Grund sehen die Forscher:innen im Klimawandel: Seit 1996 stiegen die Durchschnitttemperaturen in dieser Region um 2 Grad Celsius. „Es sind wärmeliebende bzw. trockenstresstolerante Arten wie Zikaden oder anpassungsfähige Insektengruppen wie die der Blattläuse, die von den steigenden Temperaturen profitieren,“ so der Entomologe und Erstautor der Studie Tim Ziesche vom JKI. Den Tieren würde auf den landwirtschaftlichen Flächen die Nahrung auf dem Silbertablett serviert, so der Forscher. Blattläuse entwickeln sich früher und schneller und sie sind länger im Jahr aktiv. Die Anpassungsfähigkeit zeigt sich bei diesen Schädlingen auch bei der Wahl der Überwinterungsplätze: Fortpflanzung und Eiablage erfolgen verstärkt auf Winterraps und -getreide. Im Frühjahr sind die Tiere dann sofort auf den Feldern aktiv.

Gegenspieler fehlen

Eine weitere Ursache für die Zunahme von Blattläusen: Ihre natürlichen Feinde wie Marienkäfer, Schwebfliegen, Florfliegen, Blattlausschlupfwespen oder die Räuberische Gallmücke gibt es immer seltener – entweder, weil sie sich schlechter an die steigenden Temperaturen anpassen können oder ihnen in der monotonen Agrarlandschaft die Lebengrundlagen fehlen. Die Wissenschaftler:innen würden das so ausdrücken: Es kommt zu einem signifikanten Verlust schädlingsregulierender Ökosystemdienstleistungen.

Ertragsverluste drohen zu steigen

Die steigende Zahl an Blattläusen ist für Landwirt:innen alarmierend. Neben den direkten Schäden durch das Saugen der Tiere an den Pflanzen ist vor allem die Übertragung von Viruskrankheiten das Hauptproblem. Zu den übertragenen Viren gehören beispielsweise Blattrollviren (wie das Kartoffelrollvirus), Mosaikviren wie das Tabakmosaikvirus oder Gelbverzwergungsviren wie das Gersten- oder Weizenverzwergungvirus. Diese Gefahr verlangt einen erhöhten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln gegen die Blattläuse oder den Anbau von virusresistenten Sorten.

Datenerhebung wird intensiviert

Das JKI hat angekündigt, dass diese Studie nur der Anfang sei. Die Auswertungen der Fänge in Quedlinburg würden fortgesetzt und Daten einer zweiten Saugfalle am JKI-Standort Groß-Lüsewitz in Mecklenburg-Vorpommern und von weiteren Standorten in europäischen Nachbarländern sollen zukünftig beim Langzeitmonitoring miteinfließen. Damit sollen spezifische Muster in den Langzeitänderungen der Artenvielfalt erkennbar werden, um die Komplexität der Wechselwirkungen z.B. zwischen Räuber-Beute-Systemen besser zu verstehen.


Quelle:
Ziesche, T. M. et al. (2023): „Long-term data in agricultural landscapes indicate that insect decline promotes pests well adapted to environmental changes“. In: Journal of Pest Science. doi: 10.1007/s10340-023-01698-2

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Titelbild: Während die Gesamtbiomasse fliegender Insekten im Nordharz in vergangenen Dekaden zurückgegangen ist, treten Schadinsekten wie die Große Getreideblattlaus Sitobion avenae häufiger auf. (Bildquelle: © E. Schliephake, Julius Kühn-Institut)