Bestäuber verzweifelt gesucht
Die Hälfte aller Blütenpflanzen ist auf Bestäubung angewiesen
Das Insektensterben könnte sich hart auf pflanzliche Ökosysteme auswirken. Denn viele Insektenarten sind Bestäuber und ohne sie können sich viele Pflanzarten nicht mehr wie gewohnt reproduzieren. Das Verschwinden vieler Pflanzenarten und eine veränderte Zusammensetzung der Ökosysteme mit Beeinträchtigungen der Nahrungsketten wären die Folge, warnen Forscher:innen.
Wenn von Bestäubung die Rede ist, geht es meistens um den Beitrag von Insekten zur landwirtschaftlichen Produktion – zum Beispiel zum Ertrag von Raps, Äpfeln oder Kirschen. Oder es geht um den Verlust von Wildpflanzen als Nahrungsgrundlage für die Wildbienen. Aber auch andersherum gibt es große Probleme: Ein Großteil der Wildblütenpflanzen ist auf die Bestäubung von Insekten angewiesen, um Samen zu produzieren – andere können sich bis zu einem gewissen Grad selbst befruchten.
Allerdings weiß niemand, wie hoch die Anteile von Fremdbestäubung und Selbstbefruchtung der Pflanzenarten weltweit sind. In einer neuen Studie unter Beteiligung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Universität Konstanz haben Forscher:innen das jetzt nachgeholt.
Der Beitrag der Bestäuber
Das Fortpflanzungskonzept der Bedecktsamer oder Angiospermae beruht hauptsächlich auf der „Nutzung“ von Bestäubern. Dafür bilden sie Blüten aus, die potenzielle Bestäuber anziehen, ihnen die Arbeit erleichtern und sie für ihren Job „belohnen“.
Man geht davon aus, dass die meisten der etwa 350.000 Blütenpflanzen zumindest teilweise auf Bestäuber angewiesen sind. 82 Prozent werden von Insekten bestäubt, sechs Prozent von Wirbeltieren (Kolibris, Fledermäusen) und zwölf Prozent über den Wind. Eine Reihe von Pflanzenarten sind außerdem bis zu einem gewissen Grad autofertil, sie können sich zum Beispiel durch Selbstbefruchtung oder vegetative Fortpflanzung (durch Ausläufer, etc.) vermehren. Allerdings fehlt hier der genetische Austausch, der für alle Arten letztlich überlebenswichtig ist.
Eine Frage der Lebensweise
Schnelllebige, einjährige Pflanzen, die auf eine einmalige, hohe Samenproduktion angewiesen sind, nutzen eher die Selbstbefruchtung. Auch der Erfolg vieler invasiver Pflanzenarten beruht zu einem gewissen Teil darauf. Langlebige Bäume, die über viele Jahrzehnte blühen, sind aber auf die Bestäubung durch Tiere angewiesen. Das gilt besonders für die Tropen und Subtropen, wo das ganzjährig vorhandene Blätterkleid eine Windbestäubung behindert. Und es gibt Pflanzenarten, die eine „Bestäuber-Beziehung“ zu lediglich einer oder zwei Bestäuberarten unterhalten. Fallen diese Arten aus, sind diese Pflanzenarten verloren.
Eine wichtige Säule
Wie hoch die Anteile der Fremdbestäubung durch Insekten und der Selbstbefruchtung tatsächlich sind, wurde bisher nur bei einzelnen Pflanzenarten untersucht. Eine global betrachtete Antwort gibt es nicht. Da das Insektensterben aber mittlerweile ein globales Problem ist, muss sie dringend beantwortet werden. Daher nutzten die Forscher:innen für ihre Berechnungen Daten aus 1.528 Experimenten aus vier Jahrzehnten (1975 bis 2015), die 1.174 Pflanzenarten aus 143 Pflanzenfamilien der Bedecktsamer von allen Kontinenten mit Ausnahme der Antarktis umfassten.
Sie fanden heraus, dass bei 79 Prozent der untersuchten Arten Fremdbestäubung eine Rolle spielt, bei 50 Prozent ergab sich ohne Fremdbestäubung sogar ein Rückgang der Samenproduktion um mindestens 80 Prozent. Bei 33 Prozent der Pflanzenarten kommt es ohne Fremdbestäubung sogar zu keiner Samenproduktion mehr.
Auch wenn Selbstbefruchtung weitverbreitet vorkommt, so ersetzt sie auf keinen Fall die Bestäubung durch Insekten, betonen die Forscher:innen. Besonders abhängig von Bestäubern sind den Ergebnissen zufolge die Pflanzen in den Tropen, zu denen auch viele Baumarten gehören. Bei weiterer Abnahme der Bestäuberinsekten gibt es in den Tropen ein hohes Risiko für das Aussterben von Arten, so die Forscher:innen. Daher sollten besonders hier schnell Schutzprogramme auf den Weg gebracht werden.
Anpassung, aber schnell
Mit dem Rückgang von Bestäuberarten werden sich die pflanzlichen Ökosysteme vermutlich stark verändern. Hauptsächlich fremdbestäubte und hoch spezialisierte Arten sind betroffen, während selbstbestäubende Arten (Ein- und Zweijährige, viele invasive Arten) sich ungehemmt ausbreiten können.
Auch das Nahrungsangebot für viele Tiere ändert sich dadurch. Beispielsweise produzieren Pflanzenarten, die auf Selbstbefruchtung setzen, viel weniger Nektar und Pollen – was den verbleibenden Bestäubern noch weiter zusetzen wird. Auch Pflanzenfresser und die von ihnen lebenden Tierarten werden durch die dramatischen Veränderung der Pflanzenwelt in Mitleidenschaft gezogen – und letztlich auch der Mensch.
Die Lebensspanne ist entscheidend
Anpassungsfähige Arten haben eventuell noch die Möglichkeit, sich durch eine Erhöhung der Selbstbefruchtungsrate zu „retten“. Oder sie entwickeln schnell neue Strategien, um Bestäuberarten erfolgreich anzulocken. Andere Arten wie Bäume können sich wahrscheinlich nicht schnell genug an die neue Situation anpassen. Trotzdem gibt es auch für sie noch etwas Hoffnung. Von den 50 Prozent der stark von Bestäubung abhängigen Arten sind 48 Prozent langlebig. Und Pflanzenarten, die über viele Jahrzehnte bis Jahrhunderte leben, schaffen es möglicherweise, eine zeitlich begrenzte Phase mit nur wenigen Bestäubern zu überstehen.
Die größten Sorgenkinder sind daher vor allem die restlichen zwei Prozent der untersuchten Pflanzenarten: Sie sind kurzlebig und produzieren nur einmal in ihrem Leben Samen. Die Forscher:innen betonen, dass weitere Studien notwendig seien. Nur so könne man die ökologischen Gefahren genauer abschätzen und rechtzeitig Gegenmaßnahmen einleiten.
Quelle:
Rodger, J.G. et al. (2021): Widespread vulnerability of flowering plant seed production to pollinator declines. In: Science Advances No 7, (13. Oktober 2021), doi: 10.1126/sciadv.abd3524.
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Titelbild: Dimorphotheca sinuata mit Corsomyzafliegen. (Bildquelle: © Allan Ellis, Stellenbosch University)