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Meerasseln „bestäuben“ Rotalgen

03.08.2022 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Junge Baltische Meerassel. (Bildquelle: © Wilfried Thomas, Station Biologique de Roscoff (SRB))

Junge Baltische Meerassel. (Bildquelle: © Wilfried Thomas, Station Biologique de Roscoff (SRB))

Nicht nur an Land, sondern auch im Meer profitieren Pflanzen von der „Bestäubung“ durch Tiere. Ein internationales Forschungsteam zeigt, dass Meerasseln Spermien von Rotalgen transportieren und so den Befruchtungserfolg steigern. Vermutlich hat der Bestäubungsvorgang bei Pflanzen seinen Ursprung sogar im Meer und nicht wie bisher angenommen an Land.

Wenn Bienen und andere Insekten von Blüte zu Blüte fliegen, sammeln sie nicht nur Nahrung. Sie transportieren auch männliche Pollen zu weiblichen Blütenorganen und sorgen so für eine erfolgreiche Befruchtung der angeflogenen Pflanzen. Bislang ging man davon aus, dass die Bestäubung durch Tiere (Zoochorie) nur bei Landpflanzen stattfindet und hier vor etwa 140 Millionen Jahren entstanden ist. Aber stimmt das wirklich?

„Bestäubung“ gibt’s auch unter Wasser

Tatsächlich sind auch einige Meerespflanzen nicht auf sich allein gestellt. Das konnten Forscher:innen des internationalen Forschungslabors Station Biologique de Roscoff beweisen. Sie zeigten, dass Baltische Meerasseln (Idotea balthica), die sich von auf Rotalgen (Gracilaria gracilis) siedelnden Mikroalgen ernähren, Transporthilfe für Rotalgenspermien leisten. Die Spermien bilden sich auf den Blattoberflächen der männlichen Rotalgen und können sich mit Hilfe einer klebrigen Substanz an die fressenden Meerasseln anheften. Berühren die Tiere dann anschließend eine weibliche Rotalge, lösen sich die Spermien und befruchten sie.

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Video: Baltische Meerassel (Idotea balthica) mit Pollen.

Videoquelle: © Max Planck Institute for Biology Tübingen / youtube.com

Da Rotalgenspermien sich nicht eigenständig bewegen können, steigert die „Bestäubung“ durch Meerasseln den Befruchtungserfolg und macht Rotalgen unabhängiger von externen Faktoren wie günstigen Meeresströmungen oder einem geringen Abstand zwischen weiblichen und männlichen Pflanzen.

Noch ist offen, wie bedeutend die Transportleistung der Meerasseln für die Fortpflanzung der Rotalgen ist. Laut Co-Autor Sébastien Colin war es sehr herausfordernd, „die vielen kleinen, nur wenige Mikrometer großen Geschlechtszellen auf der ebenso mikroskopisch kleinen, aber 1 000-mal größeren Körperoberfläche der Baltischen Meerassel zu lokalisieren und zu dokumentieren.“

Ohne Tierbestäubung keine intakten Ökosysteme

Rotalgen gab es schon hunderte Millionen Jahre vor der Entwicklung der Tierbestäubung an Land. Daher scheint es naheliegend, dass die „Bestäubung“ ihren Ursprung im Meer statt an Land hatte. Das Forschungsteam will nun untersuchen, ob auch andere Algenarten von der Bestäubung durch Meerestiere profitieren. Könnte die Bestäubung unter Wasser am Ende ebenso relevant für unsere Ökosysteme sein wie die Bestäubung an Land?

Dort zeichnet sich zurzeit ab, welche Konsequenzen es hat, wenn die Bestäubungsleistung von Insekten ausfällt. Etwa 75 Prozent der häufigsten Nutzpflanzen werden von Bienen bestäubt. Ohne diese Bestäubung fallen die Ernten aus. Der finanzielle Wert dieser Leistung wird auf hunderte Milliarden Euro geschätzt. Und 87 Prozent aller blühenden Pflanzen können sich ohne die Insektenbestäubung nicht vermehren. So gefährdet das weltweite Insektensterben nicht nur die biologische Vielfalt und den Fortbestand ganzer Ökosysteme, sondern auch die Ernährungsgrundlage der Menschheit.

Die Entdeckung von „Bestäubungsvorgängen“ unter Wasser kann wichtige Hinweise geben, wie wir marine Ökosysteme besser schützen und erhalten können. Am Land und im Meer gilt gleichermaßen: Das Aussterben einzelner Arten könnte ganze Ökosysteme „durcheinanderwirbeln“ und katastrophale Folgen haben.


Quelle:
Lavaut, E. et al. (2022): Pollinators of the sea: a discovery of animal mediated fertilization in seaweed. In: Science, 377 (6605), pp. 528-530, (28. Juli 2022), doi: 10.1126/science.abo6661.

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Titelbild: Junge Baltische Meerassel. (Bildquelle: © Wilfried Thomas, Station Biologique de Roscoff (SRB))