Verräterische chirale Signatur

Mit Hohlraum-verstärkter Polarimetrie lassen sich gestresste Pflanzen aufspüren

23.06.2022 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Eine beschädigte Kiefer: Das aus der Wunde auslaufende Harz führt zu einer veränderten chiralen Signatur der Pflanzenemissionen. (Bildquelle: © Lykourgos Bougas)

Eine beschädigte Kiefer: Das aus der Wunde auslaufende Harz führt zu einer veränderten chiralen Signatur der Pflanzenemissionen. (Bildquelle: © Lykourgos Bougas)

Ein Durchbruch für die Analytik: Das EU-Forschungsprojekt ULTRACHIRAL hat eine empfindliche Methode entwickelt, um das Mengenverhältnis der chiralen Formen von Molekülen zu messen. Die praktische Bedeutung für die Pflanzenforschung: Pflanzen unter Stress verströmen Duftstoffe, in denen das Verhältnis der chiralen Formen verändert ist. So könnten Landwirte in Zukunft frühzeitig erkennen, ob ihre Pflanzen unter Wassermangel, Schädlingen oder Krankheiten leiden.

Chiralität gibt es in der Natur häufig. Ein Beispiel sind unsere Hände: Sie gleichen sich, sind aber wie Bild und Spiegelbild. So passt die linke Hand nicht in einen rechten Handschuh. Ein anders Beispiel sind Schneckenhäuser, die entweder links- oder rechtsgewunden sind. Auch bei vielen Bio-Molekülen kommen häufig zwei spiegelbildliche Formen vor.

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Der Sensor der Messeinrichtung: Ein optisches chirales Polarimeter, mit dem man die Komponenten in der Gasphase präzise bestimmen kann.

Der Sensor der Messeinrichtung: Ein optisches chirales Polarimeter, mit dem man die Komponenten in der Gasphase präzise bestimmen kann.

Bildquelle: © Lykourgos Bougas

Optische Chiralitätsanalyse

Das EU-Forschungsprojekt ULTRACHIRAL hat eine hochsensible Methode entwickelt, mit denen die Anteile chiraler Molekülformen präzise in der Gasphase gemessen werden können: Die „Hohlraum-verstärkte Polarimetrie“ zur optischen Chiralitätsanalyse.

Sie nutzt die Eigenschaft chiraler Moleküle, polarisiertes Licht unterschiedlich zu drehen. Die gasförmigen Proben werden in einer Kammer bestrahlt und die Lichtdrehung mit einem optischen Polarimeter bestimmt, dem Herzstück des neuen Gerätes. Die verfeinerte Messmethode verbessert die Nachweisempfindlichkeiten um mehrere Größenordnungen.

Verhältnis der chiralen Formen ist umweltabhängig

Die neue Messmethode testete das Forschungsteam u. a. auch für das Biomolekül Pinen, das in zwei chiralen Formen vorkommt. Dieses Monoterpen kennt übrigens jeder Waldbesucher, denn Nadelbäume wie Kiefern und Pinien verströmen es über ihre Nadeln und sorgen so für den charakteristischen Waldduft.

Bei den Messungen an einer jungen Kiefer stellte das Forschungsteam fest, dass sich die chirale Signatur des Duftstoffes sehr schnell ändert, sobald die Pflanze beschädigt wird. Auch kam es zu einer anderen chiralen Signatur, wenn die Pflanze unter Trockenstress litt oder erkrankt war. 

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Pflanzen emittieren mehrere chirale Verbindungen, die wesentlich zu ihrem charakteristischen Duft beitragen. 

Pflanzen emittieren mehrere chirale Verbindungen, die wesentlich zu ihrem charakteristischen Duft beitragen. 

Bildquelle: © Lykourgos Bougas

Neue Anwendungsfelder in Sicht

Das könnte auch für die Landwirtschaft von Interesse sein. Denn wenn Nutzpflanzen ebenfalls verräterische Duftstoffe emittieren, könnte mit der neuen Methode ein effektives Frühwarnsystem aufgebaut werden. Es würde Landwirt:innen schon vor dem Auftreten sichtbarer Symptome darüber informieren, ob ihre Pflanzen an Trockenheit leiden oder Schädlinge und Krankheitserreger sich gerade beginnen auszubreiten.

Aber auch in ganz anderen Bereichen ließe sich die neue Messmethode gewinnbringend einsetzten, z. B. für die Qualitätskontrolle von Parfüm. Die chirale Signatur von Markenprodukten und Plagiaten unterschiedet sich oft signifikant, weil in den Nachahmerprodukten häufig chemisch-synthetische Komponenten enthalten sind.

„Neben den industriellen Anwendungen wird uns diese Technik auch ermöglichen, die chiralen Signale in der Luft zu entschlüsseln, um die Chemie der Atmosphäre besser zu verstehen“, ergänzt der am Projekt beteiligte Forscher Jonathan Williams vom Max-Planck-Institut für Chemie.

Um solche Anwendungen zu erleichtern, hofft das Forschungsteam, dass bald auch tragbare Geräte entwickelt werden.


Quelle:
Bougas, L. et al. (2022): Absolute optical chiral analysis using cavity-enhanced polarimetry. In: Science Advances, (3. Juni 2022), doi: 10.1126/sciadv.abm3749.

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Eine beschädigte Kiefer: Das aus der Wunde auslaufende Harz führt zu einer veränderten chiralen Signatur der Pflanzenemissionen. (Bildquelle: © Lykourgos Bougas)