Nachhaltiger Naturkautschuk

Forscher wollen Russischen Löwenzahn züchten, der ohne Vernalisation blüht

30.04.2024 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Kautschukernte an einem Kautschukbaum. (Bildquelle: © PRA/Wikimedia; CC-BY-SA-3.0)

Kautschukernte an einem Kautschukbaum. (Bildquelle: © PRA/Wikimedia; CC-BY-SA-3.0)

Noch ist der Kautschuk-reiche Russische Löwenzahn weit davon entfernt, eine echte Kulturpflanze zu sein. Beispielsweise braucht er immer einen Kältereiz, um effektiv zu blühen und große Samenmengen zu bilden – so mangelt es bislang an ausreichend Saatgut für den Anbau. Doch Analysen der epigenetischen Variation im Zusammenhang mit der Blühregulation weisen den Weg zu Pflanzen, die auch ohne Kältereiz ein Blütenfeuerwerk entfachen.

Ob für Autoreifen, Gummistiefel, Matratzen oder gar Fetischkleidung: Naturkautschuk ist weltweit ein sehr gefragter Rohstoff, der jährlich zu Millionen Tonnen produziert wird. Mehr als 99 Prozent davon stammen vom Kautschukbaum Hevea brasiliensis. Der Kautschukbaum kommt nur in Südostasien und in Teilen Afrikas vor. Weil die Pflanze auf bestimmte Böden und ein tropisches Klima angewiesen ist, gibt es derzeit nur einen Weg, die steigende Nachfrage zu bedienen: Für neue Plantagen muss tropischer Regenwald weichen.

Naturkautschuk ist damit keineswegs so nachhaltig, wie der Name suggeriert. Außerdem müssen neue Pflanzen rund zehn Jahre wachsen, bevor sie erstmals beerntet werden können. Die Monokulturen sind dabei sehr anfällig für Pathogene, gegen die aufgrund der langen Generationszeiten keine schnellen züchterischen Anpassungen möglich sind.

Löwenzahn als nachhaltige Kautschukquelle

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Naturkautschuk aus Löwenzahn zeigt, dass eine neue, alternative sowie nachhaltige Rohstoffversorgung möglich ist.

Naturkautschuk aus Löwenzahn zeigt, dass eine neue, alternative sowie nachhaltige Rohstoffversorgung möglich ist.

Bildquelle: © Continental

Doch es gibt eine mögliche Alternative: den Russischen Löwenzahn Taraxacum koksaghyz. Anders als der bei uns beheimatete Gewöhnliche Löwenzahn produziert T. koksaghyz Kautschuk in deutlich größerer Menge. Die Pflanze wächst in der Gemäßigten Zone, gedeiht sogar auf nährstoffarmen Böden, wo andere Kulturpflanzen nicht angebaut werden können, und hat mit sechs bis acht Monaten eine kurze Generationszeit.

Sieht man einmal davon ab, dass der Russische Löwenzahn noch keinerlei züchterische Optimierung durchlaufen hat, was beispielsweise Ertrag und Resistenzen betrifft, klingt das sehr vielversprechend. Doch es gibt eine große Hürde: Meist benötigt T. koksaghyz eine mehrtägige Kälteperiode, um auszutreiben und zu blühen – die sogenannte Vernalisation. Dieser Vorgang wird unter anderem durch mehrere epigenetische Mechanismen gesteuert. Ein Team des Fraunhofer IME und der Universität Münster hat diese Mechanismen nun analysiert. Langfristig sollen so Varianten entstehen, die keinen Kältereiz mehr benötigen. Dann wären Saatguternten nicht nur im Frühjahr, sondern mehrmals im Jahr möglich.

Blühzeitpunkt ohne Einfluss auf Kautschukgehalt

Zunächst haben die Forscher:innen spätblühende Populationen mehrfach gekreuzt, um einen Phänotyp zu erhalten, der stabil von der Vernalisation abhängig ist. Diese Pflanzen vermehrte das Team dann in vitro, was in erhöhtem Maß dazu führt, dass sich die DNA-Methylierung verändert. Unter diesen Nachkommen fanden sich auch frühblühende Pflanzen, die offensichtlich nicht mehr an die Vernalisation gebunden waren.

Bezüglich des Gummigehalts und der Wurzelbiomasse zeigten sie keine signifikanten Unterschiede. Kreuzungen mit Pflanzen, die von der Vernalisation abhängig waren, führten zu einem spätblühenden Phänotyp. Das deutet darauf hin, dass die induzierte Veränderung der Methylierung, die zu einer frühen Blüte führt, zumindest nicht dominant vererbt wird.

Suche nach Unterschieden in der Methylierung

Mithilfe der Vollgenom-Bisulfit-Sequenzierung analysierten die Forscher:innen die methylierten Genomregionen sowohl der früh- als auch der spätblühenden Löwenzahnpflanzen sowie die damit assoziierten Gene. Unterschiede zeigten sich vor allem im Bereich von Transposons. Allerdings dürften die Methylierungsunterschiede im Bereich von codierenden und Promotor-Sequenzen eher für die Festlegung des Blühphänotyps verantwortlich sein.

Mittels Gene Ontology und der KEGG Pathway-Anreichungsanalyse untersuchte das Team, welche Genaktivitäten mit abweichenden Methylierungsmustern assoziiert waren. So identifizierten sie Gene, die an der pflanzlichen Entwicklung, an lichtabhängigen Signalwegen – einschließlich der circadianen Rhythmik – sowie am DNA-Metabolismus beteiligt sind.

Methylierung und Aktivität führen zu Kandidatengenen

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Durch seine Forschung trägt Kai-Uwe Roelfs dazu bei, einen besonderen Löwenzahn als nachhaltige Quelle für Naturkautschuk zu etablieren.

Durch seine Forschung trägt Kai-Uwe Roelfs dazu bei, einen besonderen Löwenzahn als nachhaltige Quelle für Naturkautschuk zu etablieren.

Bildquelle: © Kai-Uwe Roelfs

In einem weiteren Schritt analysierten die Forscher für spätblühende Exemplare, inwieweit sich die Methylierungsmuster der 500 am stärksten variabel methylierten Gene vor, während und nach der Vernalisation unterschieden. Dabei zeigte sich ein starker Effekt auf die Genaktivität während der Vernalisation, während die meisten Gene in ihrer Aktivität danach auf ähnliche Level zurückfielen wie vor der Vernalisation. Ausnahmen bildeten vor allem Gene, die mit der Lichtqualität zusammenhängen: Sie zeigten während und nach der Vernalisation ähnliche Aktivitätsprofile, die damit eher den frühblühenden Löwenzahnpflanzen glichen als dem eigenen Zustand vor der Vernalisation.

Um mit diesem Wissen Kandidatengene für die Regulation der frühen Blüte zu identifizieren, suchten die Forscher zunächst nach der Schnittmenge der unterschiedlich aktiven Gene und der mit unterschiedlicher Methylierung assoziierten Gene. Dabei gab es insgesamt 639 Treffer, die sie auf Homologien mit funktional relevanten Genen bei Arabidopsis thaliana und Pflanzen aus den Familien der Korbblütler und der Kreuzblütler abglichen. Am Ende der Studie entstand damit ein Atlas jener Gene, die an der Regulation des Blühzeitpunkts von T. koksaghyz beteiligt sein könnten, inklusive relevanter Methylierungsmuster und Aktivitätsprofile. Auf dieser Liste befinden sich mehrere Homologe zu bekannten Regulatoren der Blüte, darunter auch Gene, die direkt oder indirekt auf FLOWERING LOCUS T (FT), das zentrale Gen der Blühregulation, einwirken.

Der Genatlas kann nun als neuer Ausgangspunkt dienen, um die Mechanismen, die die Blütezeit des Löwenzahns steuern, genauer zu untersuchen und neue Zuchtsorten zu entwickeln, die sich besser für die Domestikation eignen. Aber das neue Wissen könnte auch genutzt werden, um das Blühverhalten anderer Pflanzen aus der Gruppe der Korbblütler zu beeinflussen, zum Beispiel bei Salat oder Chicorée.


Quelle:
Roelfs, Kai-Uwe, et al. (2024): Epigenetic variation in early and late flowering plants of the rubber‑producing Russian dandelion Taraxacum koksaghyz provides insights into the regulation of flowering time. In: Nature Scientific Reports 14:4283 (21. Februar 2024). doi: 10.1038/s41598-024-54862-8.

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Titelbild: Kautschukernte an einem Kautschukbaum. (Bildquelle: © PRA/Wikimedia; CC-BY-SA-3.0)