Folgen auf:

Bahnbrechende „Feierabendforschung“ enthüllt Schlüssel-Geheimnis

Gerste-Giftstoff Gramin: Hoffnung für "Grüne Chemie"?

Logo Blattgeflüster pssst

Extrablatt | 15.04.2024

Zur biochemischen Untersuchung des neu entdeckten Oxidase-Enzyms musste ein spezieller Versuchsaufbau in Sauerstoff-freier Atmosphäre eingesetzt werden. © Jakob Franke.
Zur biochemischen Untersuchung des neu entdeckten Oxidase-Enzyms musste ein spezieller Versuchsaufbau in Sauerstoff-freier Atmosphäre eingesetzt werden. © Jakob Franke.

Lange war seine Herstellung ein kryptisches Geheimnis. Jetzt wurde es in einer aktuellen Science-Publikation gelüftet und weckt große Hoffnungen für die „Grüne Chemie (die Art Chemie, die Umweltverschmutzungen eindämmt):

Die Entdeckung, wie Gerste den natürlichen Abwehrstoff Gramin produziert und sich diese Produktion sogar kontrollieren lässt, könnte bahnbrechende Auswirkungen auf die Landwirtschaft bedeuten. Denn das toxische Gramin schützt Pflanzen natürlicherweise vor Schädlingen und vermag zudem die Ausbreitung unerwünschten Beikrauts zu verhindern. Ein willkommener Ausblick für Pflanzenzüchtung und nachhaltige Landwirtschaft, die den Einsatz von Unkrautvernichtungs- und Schädlingsbekämpfungsmitteln verringern wollen, ohne dabei die Ertragssicherheit zu gefährden.

Share
Prof. Dr. Jakob Franke

Prof. Dr. Jakob Franke

Als sich Jakob Franke und John C. D’ Auria vor fünf Jahren erstmalig persönlich trafen, um eine gemeinsame Idee zu verfolgen, hatten die beiden Pflanzenbiochemiker in leitenden Funktionen nicht erwartet, dass daraus eine Publikation in der renommierten Fachzeitschrift Science resultieren könnte und dass es zum Schluss sogar ein wissenschaftliches Kopf-an-Kopf-Rennen mit internationalen Fachkollegen aus Japan geben würde.

Dabei war alles laut Professor Franke eine „Feierabendforschung“ neben anderen Haupttätigkeiten seiner Arbeitsgruppe „Biochemie sekundärer Pflanzenstoffe“, die er 2017 an der Leibniz-Universität Hannover aufgebaut hatte. Auch D’ Auria, der nach seiner Professur in Texas nun am IPK Leibniz-Institut Gatersleben die Arbeitsgruppe „Metabolische Diversität“ leitet, motivierte zunächst vor allem der Traum der „Grünen Chemie“: Der Naturstoffchemiker wollte schon immer verstehen und nutzbar machen, wie genau Pflanzen sich selbst schützen. Wie zum Beispiel die Gerste (Hordeum vulgare)...

Dr. John C. D' Auria

Dr. John C. D' Auria

Brot, Bier, Futtermittel u.v.m. machen Gerste zu einer unserer wichtigsten Getreidearten.

Manche Getreidesorten produzieren das toxische Alkaloid "Gramin", das für Menschen zwar unbedenklich ist, nicht aber für Tiere. Dieser Giftstoff ist in Futtermitteln ein Nachteil, aber ein Vorteil für die natürliche Abwehr einer Pflanze gegen Schadinsekten. Lange schien es der Pflanzenzüchtung unmöglich, die Gramin-Produktion für verschiedene Verwendungszwecke gezielt zu steuern, da der Stoffwechselprozess dahinter unbekannt war: das Schlüssel-Gen für die Gramin-Herstellung blieb der Wissenschaft lange verborgen.

Jahrzehntelang vermutete die Fachwelt fälschlicherweise, dass nur eine bestimmte Enzymklasse die Gramin-Produktion verantworten könne und suchte an der falschen Stelle. Als das Pangenom der Gerste bekannt wurde, hatten Franke und D ‘Auria eine andere Idee und setzten eine Bachelorstudentin auf einen Laborversuch zum Probieren an. Denn sollte es misslingen, wäre es ja nur eine Bachelorarbeit. Doch zur Überraschung aller, war diese allererste Labormessung der jungen Studentin Johanna Wolf in der Modellpflanze Nicotiana bethamiana auf Anhieb ein Volltreffer (und die ist auch Co-Autorin der Studie). Damit ward der Weg gebahnt, die systematische Erforschung des gesamten Stoffwechselwegs von Gramin endlich abzuschließen.

Das Besondere der Studie...

Unter anderem mithilfe der Modellpflanze Nicotiana benthamiana gelang die Aufklärung des Stoffwechselwegs des giftigen Alkaloids Gramin in Gerste. © Jakob Franke

Unter anderem mithilfe der Modellpflanze Nicotiana benthamiana gelang die Aufklärung des Stoffwechselwegs des giftigen Alkaloids Gramin in Gerste. © Jakob Franke

Ein Teil des Stoffwechselwegs war zwar seit 18 Jahren bekannt, als das „HvNMT“-Gen entdeckt wurde. Aber der biochemische Prozess erfolgt in zwei Schritten, von denen der erste jetzt enthüllt wurde: Im ersten Schritt wirkt das Schlüssel-Enzym „AMI-Synthase, HvAMIS“, ein sogenanntes Oxidase-Enzym, das eine „ungewöhnliche kryptische oxidative Umlagerung von Tryptophan durchführt“, wie D’Auria es beschreibt. Mit ihrer Enthüllung widerlegten die Forschenden die bisherige Theorie aus den 1960er Jahren.

Und noch mehr. Die IPK-Biologin und chemische Ökologin Sara Leite schlug sich mit anderen Promovierenden buchstäblich die Nächte um die Ohren, um darüber hinaus zu zeigen, dass sich das identifizierte Gen auch gezielt an- und abschalten lässt. Zusammen mit Ling Chuang und Shenyu Liu aus der Arbeitsgruppe Franke ist sie eine der drei geteilten Erstautoren der Studie. D’ Auria und Franke sind sehr stolz auf die Leistung ihrer Teams und deren fruchtbare, engagierte Zusammenarbeit über die Feierabende hinaus.

Das habe zum Schluss viel Energie und Nerven gekostet, doch alle spürten, dass ihnen die Zeit ablief: Eine Veröffentlichung in einer renommierten Zeitschrift wie "Science" erfordert neben der fachübergreifenden Relevanz auch zwingend den Neuheitswert, und ein japanisches Forschungsteam konnte unabhängig dasselbe Schlüssel-Gen identifizieren. Die japanische Studie erschien dann fast zeitgleich in einem anderen Fachjournal, beinhaltete allerdings nicht die ausführlichen Studien zur (De-)Aktivierbarkeit des Schlüsselgens, die Sara Leite hervorhebt.

Für eine Doktorandin als Erstautorin bedeutet eine Science-Veröffentlichung den „Ritterschlag“ in die Welt der Wissenschaft. Doch Sara Leite freut sich noch viel mehr über die gewonnenen Erkenntnisse, die Pflanzenzüchterinnen und Pflanzenzüchtern nun erlauben, die Erhaltung der Genvielfalt zu sichern.

Sara Leite, Doktorandin am IPK Gatersleben und eine der Erstautorinnen der Veröffentlichung

Sara Leite, Doktorandin am IPK Gatersleben und eine der Erstautorinnen der Veröffentlichung

Genvielfalt ist nämlich eine wichtige Voraussetzung für jeden Pflanzenzüchter, der eine neue Sorte mit besseren Eigenschaften hervorbringen will – etwa mit gestärkter Widerstandsfähigkeit gegen Schädlinge und Krankheitserreger.

Aber im Laufe der Pflanzenzüchtung nach höherem Ertrag und besseren Nährstoffen gingen dafür irrelevante Gene auch schonmal verloren – so auch das Gramin-Gen.

In vielen Sorten ist es nicht mehr vorhanden oder auch nur ausgeschaltet.

Leite und co. aber zeigten, dass es wieder nutzbar gemacht werden kann:

So lässt sich das gefundene Gen jetzt beispielsweise wieder zurückkreuzen bzw. per CRISPR/Cas einfügen und auch nach Bedarf an- und ausschalten.

Wo die Reise hingeht...

(und weiterführende Links)

Durch die Aufklärung des Stoffwechselwegs war die Produktion von Gramin in Modellorganismen wie der Bäckerhefe möglich. © Jakob Franke

Durch die Aufklärung des Stoffwechselwegs war die Produktion von Gramin in Modellorganismen wie der Bäckerhefe möglich. © Jakob Franke

Jakob Franke erklärt die fundamentale Implikation dieses brisanten Fundes:
Die Bildung von Gramin in Gerste könne nun kontrolliert werden in den verschiedenen Pflanzenteilen und Wachstumsphasen. Und das ließe sich sowohl mit molekularbiologischen Methoden wie CRISPR/Cas bewerkstelligen, als auch mit klassischen Züchtungsverfahren ohne gentechnische Modifizierung.

Und das wiederum bedeutet, dass eines Tages Gerstensorten gezüchtet werden könnten, die weniger Spritzmittel gegen Schadinsekten brauchen. Oder auch weniger Unkrautvernichtungsmittel: Gramin vermag das Mikrobiom der Erde zu verändern und so das Wachstum anderer (konkurrierender) Pflanzen zu verhindern zugunsten des Wachstums der eigenen Pflanze.  

So freut sich auch John C. D’ Auria darüber, seinem Traum der „Grünen Chemie“ ein Stück näher gekommen zu sein: Es sei ein Schritt in die Richtung, umweltschädigende Chemie zu reduzieren, in dem man Pflanzen ihre eigenem Pflanzenschutzmittel herstellen lässt. Da auch andere Getreidesorten wie etwa Reis und Mais Gramin produzieren können, dürfte es einige inspirieren, der Gramin-Forschung Aufschwung zu verschaffen.

Link zur Originalveröffentlichung in der Fachzeitschrift Science: 

Leite Dias et al. (2024): Biosynthesis of the allelopathic alkaloid gramine in barley by a cryptic oxidative rearrangement. Science. DOI: 10.1126/science.adk6112

Einen ausführlichen Journal-Beitrag hierzu findet ihr hier: „Geheimer“ Gencluster für die Selbstverteidigung :: Pflanzenforschung.de 

Jakob Franke und sein Doktorand Benedikt Seligmann (ebenfalls co-Autor der Science-Studie) arbeiten übrigens auch im BMBF-geförderten Projekt LiMEDisc daran, ein pflanzliches Krebsmedikament in Hefezellen herstellen. Mehr dazu auf Projekt LiMEDisc :: Pflanzenforschung.de.

+++

Seid ihr auf Instagram und/oder Facebook unterwegs? Blattgeflüster begleitet spannende Nachrichten aus der Welt der Pflanzenforschung auch mit Sonderbeiträgen. Schaut doch mal rein, das sieht dieses Mal etwa so aus:

+++  Alle Fotos in dieser Webreportage wurden freundicherweise von Jakob Franke, John C. D' Auria und Sara Leite bereitgestellt. +++

Danke für die Aufmerksamkeit!

+++ Alle Fotos in dieser Webreportage wurden freundicherweise von Jakob Franke, John C. D' Auria und Sara Leite bereitgestellt.+++