„Geheimer“ Gencluster für die Selbstverteidigung

Gramin-Synthese in Gerste aufgeklärt

15.04.2024 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Gerste kann sich mit Gramin gegen Schädlinge verteidigen. Doch nicht alle Sorten produzieren den Abwehrstoff. (Bildquelle: © KBCH / Pixabay)

Gerste kann sich mit Gramin gegen Schädlinge verteidigen. Doch nicht alle Sorten produzieren den Abwehrstoff. (Bildquelle: © KBCH / Pixabay)

Gerstenpflanzen können das Alkaloid Gramin produzieren. Dieses Molekül schützt sie vor Blattläusen und anderen Schadinsekten, macht aber Gerste als Futtermittel für Wiederkäuer problematisch. Der Biosyntheseweg des Gramins wurde jetzt entschlüsselt – mit erfreulichen Neuigkeiten für Züchter und Landwirte.

Ohne Gerste würde in unserer Küche etwas fehlen. Und nein, dabei geht es nicht nur um Bier, dass hauptsächlich aus Gerstenmalz gebraut wird. Gerste ist auch ein wichtiges Futtermittel für Kühe und Schweine, von denen wir Milchprodukte und Fleisch beziehen. Nicht zuletzt sind die Gerstenkörner auch für die menschliche Ernährung gut geeignet, zum Beispiel als Ersatz für Reis, in Suppen oder Eintöpfen. Weltweit landet Gerste damit auf Platz 4 der am häufigsten angebauten Getreidesorten.

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Ohne Gerste bleiben die Bierkrüge leer. Für stabile Erträge bei umweltschonender Landwirtschaft kommt es auch auf die Selbstverteidigungskräfte der Pflanzen an.

Ohne Gerste bleiben die Bierkrüge leer. Für stabile Erträge bei umweltschonender Landwirtschaft kommt es auch auf die Selbstverteidigungskräfte der Pflanzen an.

Bildquelle: © RitaE / Pixabay

Wie alle Getreide ist auch Gerste von Schädlingen bedroht. Einige Sorten schützen sich mit dem Alkaloid Gramin. Ein Team vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) und der Leibniz Universität Hannover hat jetzt aufgeklärt, wie genau Gramin in den Pflanzen hergestellt wird.

Pangenom der Gerste diente als Grundlage

Es war bereits bekannt, dass die Aminosäure Tryptophan der Ausgangsstoff ist, aus dem in einem zweistufigen Prozess Gramin entsteht. Das zweite Enzym des Synthesewegs war bereits vor vielen Jahren entdeckt worden: eine N-Methyltransferase (NMT), die schrittweise zwei Methylgruppen an das Zwischenprodukt Aminomethylindole (AMI) anfügt. Es gab bisher jedoch noch keinen Hinweis darauf, welches das erste Enzym sein könnte. In den 1960er Jahren war postuliert worden, dass es sich möglicherweise um ein Enzym handeln könnte, das den Co-Faktor Pyridoxalphosphat (PLP) nutzt und Tryptophan decarboxyliert.

Dr. John D’Auria, Leiter der Arbeitsgruppe „Metabolische Diversität“ am IPK Gatersleben und Prof. Jakob Franke, der an der Leibniz Universität Hannover die Arbeitsgruppe „Biochemie sekundärer Pflanzenstoffe“ leitet, haben sich dem Thema angenommen und dafür das vor kurzem veröffentlichte Pangenom der Gerste genutzt. Es umfasst das Genom von 20 Gersten-Varianten, von Elite-Sorten bis hin zu alten Landrassen und Wildgersten.

Gramin-Gene bilden Cluster

Aus einer früheren Studie gab es den Hinweis, dass die Gene für die Gramin-Synthese vielleicht einen Cluster im Genom bilden, also nah beieinander liegen. Das Team um D’Auria und Franke fahndete also in der Nähe des bekannten NMT-Locus. Dabei stießen sie auf nur ein Gen, das für die benötigte Reaktion in Frage kam: Es codiert eine Cytochrom P450-Monooxygenase, die sie AMI-Synthase (AMIS) tauften. Das Gen lag nur 681 Kilobasenpaare vom NMT-Locus entfernt. Im Vergleich dazu lag das nächste PLP-abhängige Enzym ganze 5 Megabasenpaare weit weg.

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Den wiederkäuenden Kühen bekommt Gramin gar nicht gut. Umso besser, wenn sich dessen Synthese in den Pflanzen einfach an- und abschalten lässt.

Den wiederkäuenden Kühen bekommt Gramin gar nicht gut. Umso besser, wenn sich dessen Synthese in den Pflanzen einfach an- und abschalten lässt.

Bildquelle: © congerdesign / Pixabay

Von den 20 Gersten-Varianten konnten sechs kein oder nur Spuren von Gramin herstellen. Die anderen produzierten Gramin in unterschiedlichen Mengen: zwischen 700 und 6600 pmol/mg Frischgewicht in den Blättern. Und tatsächlich produzierten nur die Sorten nennenswerte Mengen Gramin, bei denen die codierende Sequenz des AMIS-Gens in Form eines einzigen Exons vorlag. Andere Linien, die kein Gramin synthetisieren können, enthielten ein zusätzliches Intron im AMIS-Gen, das ein Retrotransposon enthält. Die Forscher:innen vermuten, dass dieses genetische Element für eine Stilllegung des Gens verantwortlich ist.

Weniger Pflanzenschutzmittel nötig

„Der bisher unbekannte Enzym-Mechanismus, über den Gramin gebildet wird, hat uns sehr überrascht“, sagt Jakob Franke. Denn es ist ungewöhnlich, dass wirklich nur zwei Gene beteiligt sind, die dazu noch nah beieinander liegen. Andere Metabolite zur Schädlingsabwehr benötigen für ihre Synthese zehn oder mehr unterschiedliche Gene, die teils weit im Genom verstreut sind. „Die Ergebnisse ermöglichen nun auch die Herstellung von Gramin in Organismen, die eigentlich nicht die Fähigkeit haben, es selbst zu synthetisieren“, erklärt John D‘Auria. Denn als die Forscher:innen die beiden Gene in die Modellpflanzen Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) und Nicotiana benthamiana, sowie in Hefe übertrugen, produzierten auch diese Gramin. So könnte man nun auch anderen Kulturpflanzen die Fähigkeit zur Gramin-Synthese verleihen und den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln verringern.

Optimiertes Kuhfutter

Für uns Menschen ist Gerste ein unbedenkliches Nahrungsmittel, da der Gramin-Gehalt in den Körnern gering ist. Wiederkäuer wie Kühe fressen jedoch große Mengen Gerste, teilweise auch die Blätter, die mehr Gramin enthalten. Mit dem neuen Wissen zur Graminsynthese lässt sich nun auch die Toxizität der Futtergerstensorten verringern. So kann man mittels Genomeditierung die Synthesegene für Gramin komplett ausschalten oder die Graminproduktion auf bestimmte Organe oder Entwicklungsphasen begrenzen. Wenn z.B. nur der Keimling das Alkaloid enthält, wäre die Pflanze in einer empfindlichen Wachstumsphase gut geschützt und die geerntete Gerste ein verträglicheres Futtermittel für Kühe.

Eine Webreportage zu diesem Projekt gibt es auch noch: 
Bahnbrechende „Feierabendforschung“ enthüllt Schlüssel-Geheimnis - Gerste-Giftstoff Gramin: Hoffnung für "Grüne Chemie"?


Quelle:
Dias SL, Chuang L, Liu S, Seligmann B, Brendel FL, Chavez BG, Hoffie RE, Hoffie I, Kumlehn J, Bültemeier A, Wolf J, Herde M, Witte CP, D'Auria JC, Franke J. Biosynthesis of the allelopathic alkaloid gramine in barley by a cryptic oxidative rearrangement. Science. 2024 Mar 29;383(6690):1448-1454. doi: 10.1126/science.adk6112.

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Titelbild: Gerste kann sich mit Gramin gegen Schädlinge verteidigen. Doch nicht alle Sorten produzieren den Abwehrstoff. (Bildquelle: © KBCH / Pixabay)