Als Holobiont zum Erfolg

Eine gemeinsame Evolution hat Pflanzen und Mikroorganismen zu erfolgreichen Lebenspartnern gemacht

20.09.2023 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Eine Lebensgemeinschaft: Sojawurzeln mit Rhizobien, die der Pflanze Stickstoff zur Verfügung stellen (Bildquelle: © Public Domain)

Eine Lebensgemeinschaft: Sojawurzeln mit Rhizobien, die der Pflanze Stickstoff zur Verfügung stellen (Bildquelle: © Public Domain)

Über Millionen von Jahren haben sich Pflanzen und Mikroben an ein Leben miteinander gewöhnt. Herausgekommen sind artspezifische Wechselwirkungen zwischen Pflanze und Mikrobiom, von denen beide Seiten profitieren.

Seit jeher teilen sich Pflanzen – wie alle Lebewesen – ihre Umwelt mit Mikroorganismen. Das pflanzliche Mikrobiom umfasst Bakterien, Archaeen, Pilze, Protisten und Algen. Die Arten des Mikrobioms profitieren vor allem von ausgeschiedenen Kohlenstoffverbindungen der Pflanze. Auf der anderen Seite gedeihen Pflanzen durch ihre mikrobiellen „Kooperationspartner“ besser: Sie sind durch sie widerstandsfähiger gegen Umwelteinflüsse und Krankheiten. Aber wie sind diese Wechselwirkungen entstanden?

Co-Evolution stärkt gesamten Holobionten

Ein Kölner Forschungsteam hat Belege dafür zusammengetragen, dass die pflanzlichen Holobionten das Ergebnis einer langen Co-Evolution sind. Für diese These spricht auch, dass einige Mikroben fest mit bestimmten pflanzlichen Wirtsarten assoziiert sind. Untergruppen dieser Arten können sogar über Samen und klonale Reproduktion an nachfolgende Generationen der Pflanze weitergegeben werden. Ein weiteres Indiz ist, dass phylogenetisch ähnliche Pflanzen auch ähnliche Mikrobiome aufweisen. Die Rollen der einzelnen Organismen können sich jedoch in kurzer Zeit verändern, da oft nur wenige Gene den Unterschied ausmachen zwischen nützlichen und pathogenen Eigenschaften eines Mikroorganismus.

Belege für Co-Evolution in frühester Zeit

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Mykorrhizierte Wurzelspitzen.

Mykorrhizierte Wurzelspitzen.

Bildquelle: © Ellen Larsson / Wikimedia; CC-BY-2.5

Auch das Alter so mancher „Zusammenarbeit“ stützt die Annahme. So haben Pilze bereits dazu beigetragen, dass Pflanzen überhaupt das Land besiedeln konnten, indem sie die Nährstoffaufnahme aus dem Boden begünstigt haben und möglicherweise zur Entwicklung von Wurzeln beitrugen. Auch Chloroplasten und Mitochondrien sind nach heutiger Überzeugung aus einstigen mikrobiellen Endosymbionten entstanden. Nicht zuletzt sind Pflanzen aber auch seit jeher eine attraktive Nährstoffquelle und damit Ziel pathogener Mikroben.

Also: Pflanzen leben in enger Gemeinschaft mit nützlichen wie schädlichen Mikroorganismen. Die Co-Evolution dürfte dabei jedoch vor allem die Verbindung mit nützlichen Partnern begünstigen und so über die Zeit die Fitness und Produktivität der Pflanzenarten gesteigert haben. Allerdings weiß die Forschung bis heute wenig über die Evolution nicht-pathogener Pflanzen-assoziierter Mikroben – vor allem wohl, weil pathogene Mikroben infolge der mit ihnen verbundenen Ertragsausfälle bisher größeres Interesse weckten.

Wettrüsten zwischen Pflanze und Pathogenen

Lange ging man davon aus, dass die Evolution des pflanzlichen Immunsystems vor allem durch den von Pathogenen ausgelösten Stress vorangetrieben wird: Rezeptoren an der Plasmamembran erkennen strukturell konservierte Muster wie bakterielle Lipopolysaccharide und Pilzchitin, woraufhin eine Immunantwort ausgelöst wird. Mikroben wiederum entwickeln Effektoren, die diese Antwort unterdrücken oder helfen, die Erkennung zu umgehen. Die Pflanze ihrerseits kann über andere Wege ihre Immunantwort reaktivieren, wenn sie eben diese Effektoren entdeckt – eine Art Dauerwettrüsten und ein klarer Fall von Co-Evolution.

Inzwischen gibt es jedoch zahlreiche Beispiele dafür, dass auch nicht-pathogene Mikroben Ziel der pflanzlichen Immunantwort sind und diese mitprägen. Das Immunsystem ist demnach eher ein Managementsystem, das die mikrobielle Gemeinschaft in einem zuträglichen Gleichgewicht zwischen „Gut und Böse“ hält. Es formt die Zusammensetzung des Mikrobioms und kann somit zwischen nützlichen und schädlichen Mikroben unterscheiden. Ein Beispiel dafür ist die arbuskuläre Mykorrhiza, in der die Pflanze typische Signale des symbiontischen Pilzes erkennt und daraufhin die eigene Immunabwehr unterdrückt, um dem Mykorrhizapilz die Ansiedlung zu ermöglichen.

Pflanzen kommunizieren mittels Hormone und Metaboliten

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Mikroorganismen tummeln sich nicht nur in der Pflanze, sondern auch im Boden um die Wurzeln.

Mikroorganismen tummeln sich nicht nur in der Pflanze, sondern auch im Boden um die Wurzeln.

Bildquelle: © iStockphoto.com / 8ran

Auch Phytohormone steuern, wie sich das Mikrobiom zusammensetzt, insbesondere Salicylsäure, Jasmonsäure, Ethylen und bestimmte Brassinosteroide. Abhängig vom Kontext kann die Pflanze beispielsweise Jasmonsäure einsetzen, um bestimmte Mikroben anzulocken und Pathogene zu unterdrücken. Ethylen wiederum lockt Mikroben an, die Mineralstress begegnen können.

Ähnliche Effekte haben Wurzelexsudate. Sie sind Locksignale und Nahrung für einige Mikrobengruppen. So lockt etwa Benzoxazinoid einen nützlichen Pseudomonas-Stamm in die Mais-Rhizosphäre. Wird die Sand-Segge durch den pathogenen Pilz Fusarium culmorum befallen, produziert die Pflanze volatile organische Verbindungen, die Bakterien mit antifungalen Eigenschaften „herbeirufen“. Bemerkenswert ist, dass manche Pilze und Bakterien ihren nützlichen Effekt sogar nur dann entfalten können, wenn das pflanzliche Immunsystem unbeeinträchtigt funktioniert.

Mikroorganismen leben mit der Pflanze besser als ohne sie

Im gleichen Maße, wie sich die Pflanzen an eine von Mikroorganismen geprägte Umwelt angepasst haben, haben sich auch die Mikroben so entwickelt, dass sie schadlos in oder auf ihren Wirten leben können. Der Trick besteht zumeist darin, der Pflanze zu nützen und/oder deren Immunsystem auszuweichen. Auch Pilzendophyten nutzen dazu Effektoren. Pseudomonas simiae, ein nützliches Wurzelbakterium, unterdrückt mehr als die Hälfte der transkriptionalen Immunantworten der Pflanze, indem es das Auxin-Signal moduliert. Manche Bakterienstämme nutzen sogar Salicylsäure als Wachstumssignal und Kohlenstoffquelle.

Die wichtigste Kohlenstoffquelle für Mikroben ist jedoch die pflanzliche Zellwand. Pflanzen-assoziierte Bakterien besitzen besonders viele Gene, die am Kohlenhydratmetabolismus beteiligt sind und durch horizontalen Gentransfer von den Pflanzen übernommen sein könnten. Dabei gibt es einen deutlichen Zusammenhang zwischen der spezifischen Zusammensetzung der Zellwand einer Pflanze und den metabolischen Fähigkeiten jener Mikroben, die bevorzugt diese Art besiedeln. Die Forschung hat zudem Hinweise darauf gefunden, dass Pflanzen Kohlenstoff verlagern, um Symbionten zu „belohnen“.

Mikroben passen sich schnell an pflanzliche Umwelt an

Laborexperimente haben gezeigt, wie schnell sich Mikroorganismen an ein Leben mit Pflanzen anpassen können. So entwickelte der Pilz Saccharomyces cerevisiae infolge der Co-Kultivierung mit der Alge Chlamydomonas reinhardtii in kurzer Zeit Mutationen - sowohl für die Pflanze nützliche, aber auch schädliche. Den größten Vorteil erfuhren Hefen, deren Mutationen sowohl das eigene als auch das Wachstum der Pflanze förderten, wodurch sich die wechselseitige Beziehung weiter verstärkte. Dabei können nützliche Mikroben auch schnell zu schädlichen werden – und umgekehrt. Das eigentlich schädliche Bakterium Pseudomonas protegens entfaltete nach nur sechs pflanzlichen Wachstumszyklen im Wurzelraum von Arabidopsis thaliana für die Pflanze förderliche Wirkungen. Bemerkenswert!

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Die Rhizosphäre ist der unmittelbare Bereich um die Wurzel, wo Nährstoffe aufgenommen, Exsudate ausgeschieden werden und zahlreiche Wechselwirkungen mit Bodenmikroorganismen stattfinden.

Die Rhizosphäre ist der unmittelbare Bereich um die Wurzel, wo Nährstoffe aufgenommen, Exsudate ausgeschieden werden und zahlreiche Wechselwirkungen mit Bodenmikroorganismen stattfinden.

Bildquelle: © Jörg Brinckheger / pixelio.de

Der bemerkenswerteste Aspekt im pflanzlichen Holobiont ist vielleicht die Interaktion zwischen unterschiedlichen Mikroben. Theoretisch können zwei Mikroorganismen miteinander positiv, negativ oder gar nicht reagieren. Besonders stark interagierende Stämme gelten dabei als Hubs oder Grundpfeiler eines Mikrobioms. Verändern sie sich, verändert sich auch die mikrobielle Gemeinschaft stark. Im pflanzlichen Kontext nehmen oft Pilze diese Funktion ein, die besonders gut pflanzliche Zellwände abbauen können. In ihrer Abwesenheit fällt diese Aufgabe meist Stickstoff-fixierenden Bakterien zu. Oftmals entstehen dabei Abhängigkeiten: Einzelne Stämme verlieren aus Effizienzgründen die Gene für die Herstellung bestimmter Nährstoffe und sind darauf angewiesen, dass andere Mikroorganismen diese Moleküle zur Verfügung stellen. Pflanzen bietet das die Möglichkeit, über selektiven Nährstoffdruck zu beeinflussen, wie sich ihr Mikrobiom zusammensetzt.

Mikrobielle Konkurrenz im Holobionten

Generell konkurrieren Mikroorganismen um Nährstoffe und versuchen, andere Mikroben am Wachstum zu hindern. Unlängst hat die Forschung zeigen können, dass einige Pilze dazu sogar auf antibakterielle und antifungale Effektoren zurückgreifen, die ursprünglich zur Infektion der Pflanze dienten. Wurzeln von A. thaliana begünstigen natürlicherweise Pilze mit hohem pathogenem Potenzial gegen andere Mikroben und schützen sich so selbst vor Krankheiten. Antifungale Bakterien wiederum stellen sicher, dass diese Pilze nicht überhandnehmen. Das infolge der Evolution selektierte Mikrobiom ist somit auch ein sehr effektiver Infektionsschutz für die Pflanze.

Zusammengefasst entwickelt ein pflanzlicher Holobiont im Zuge der Evolution Eigenschaften, die die Fitness der Gemeinschaft stärken: Die Pflanze erzeugt Immunreaktionen und schüttet Metabolite aus. Die Mikroben passen ihre Gene an, um pflanzliche Kohlenstoffe effizient verwerten zu können. Nicht zuletzt sind auch die Mikroben unter einander geprägt durch Abhängigkeiten und antagonistische Beziehungen. Die genauen Dynamiken dieser evolutionären Wechselwirkungen sind jedoch trotz aller Fortschritte noch ein weites und zu wenig verstandenes Forschungsfeld. Spannend ist es allemal.


Quelle:
Mesny, F., et al. (2023): Co-evolution within the plant holobiont drives host performance. In: EMBO reports (2023) 24: e57455. doi: 10.15252/embr.202357455.

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Titelbild: Eine Lebensgemeinschaft: Sojawurzeln mit Rhizobien, die der Pflanze Stickstoff zur Verfügung stellen (Bildquelle: © Public Domain)