Bodenbiodiversität auf dem Prüfstand

Beantwortet die Metagenomik wichtige ökologischen Fragen?

30.06.2015 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Bodenprobe: In einem Gramm Oberboden befinden sich oft eine Milliarde Zellen – und eine Billion Genome. (Bildquelle: © iStock.com/BartCo)

Bodenprobe: In einem Gramm Oberboden befinden sich oft eine Milliarde Zellen – und eine Billion Genome. (Bildquelle: © iStock.com/BartCo)

Die Grundlage der Produktivität von Pflanzen ist ein fruchtbarer Boden. Er unterhält einen Mikrokosmos, der bisher nur wenig verstanden ist. Ein junger Forschungsansatz, die Metagenomik, produziert umfangreiche Daten über Gene und Genome, die man in Bodenproben findet. Doch inwieweit ist diese Methode geeignet, um Fragen in einem ökologischen Zusammenhang zu beantworten? Ein Mikrobiologe analysierte kürzlich das Konzept des Ansatzes. Sein Fazit: Die Metagenomik muss neu überdacht und um Experimente ergänzt werden, damit sie ökologisch interpretiert werden kann.

Boden ist für Pflanzen ein lebensnotwendiges Produktionsmittel. Denn über die Wurzeln nimmt die Pflanze Mikronährstoffe auf, ohne die sie trotz Sonnenlicht, Wasser und Kohlenstoff in der Luft nicht überleben könnte. Ein fruchtbarer Boden ist Bestandteil eines funktionierenden Kreislaufs: Einer wachsenden Pflanze stellt er Nährstoffe zur Verfügung, die er wieder zurückbekommt, sobald Pflanzenteile absterben, von Mikroorganismen in ihre elementaren Bestandteile zersetzt und je nach Umweltbedingungen umgebaut werden.

Der Boden ist Lebensbasis und Lebensraum zugleich

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Unsichtbares Blattorgan: Unter der Erde liegt die Wurzel der Pflanzen. Über sie nimmt die Pflanze Nährstoffe auf. Im Boden tummeln sich aber auch viele Mikroorganismen. Manche davon sind für das Wachstum der Pflanze förderlich.

Unsichtbares Blattorgan: Unter der Erde liegt die Wurzel der Pflanzen. Über sie nimmt die Pflanze Nährstoffe auf. Im Boden tummeln sich aber auch viele Mikroorganismen. Manche davon sind für das Wachstum der Pflanze förderlich.

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Für diese Mikroorganismen ist der Boden Lebensraum. Sie leben hier in einer Gemeinschaft, dem Mikrobiom, in der jeder Organismus eine bestimmte Funktion erfüllt. Noch kennt man die Ursprünge und Zusammensetzung des Bodenmikrobioms nicht und auch die Interaktionen der Organismen sind längst nicht vollständig erforscht.

Im Auftrag des Genoms

Um den Organismen und somit den biologischen Funktionen des Bodens auf die Spur zu kommen, bedient man sich seit einigen Jahren der Methoden der Metagenomik: Anstatt jeden einzelnen Organismus zu bestimmen (was überdies gar nicht möglich ist), sucht man zwei Ebenen tiefer, auf genetischer Ebene, nach den Codes für die Funktionen. Der Gedanke dahinter ist logisch: Ein Mikroorganismus, der Nitrat (NO3-) zu molekularem Stickstoff (N2) und Sauerstoff (O2) umbaut, muss den „Auftrag“ dafür von seinem Genom erhalten. Mithilfe von fortgeschrittenen mikrobiologischen und bioinformatischen Methoden sind Wissenschaftler inzwischen in der Lage, große Mengen von Genen und Genomen zu sequenzieren. Dementsprechend hoch sind die Erwartungen an diesen Metagenomik-Ansatz und an seine Ergebnisse.

Grenzen der Metagenomik

Doch kann eine Gen-Datenbank Aussagen über eine Funktion in einem Ökosystem erlauben, in dem nicht nur Organismen miteinander interagieren, sondern auch mit sehr unterschiedlichen Umweltfaktoren in Wechselwirkung stehen? Der Mikrobiologe James I. Prosser, er unterhält einen Lehrstuhl für Molekular- und Zellbiologie an der University of Aberdeen, hat des Konzept der Metagenomik kürzlich in der Zeitschrift Nature Reviews Microbiology analysiert. Sein Ergebnis: Selbst wenn man den Idealfall voraussetzt und annimmt, dass keine technischen und bioinformatischen Einschränkungen die Ergebnisse beeinträchtigen, haben einige Methoden der Metagenomik für die Mikroökologie – ob im Boden, in marinen Ökosystemen oder im menschlichen Verdauungstrakt - nur einen geringen Wert. Das Konzept muss weiterentwickelt werden, um das eigentliche Potential der Metagenomik entfalten zu können.

Das Konzept der Metagenomik

Derzeit werden funktionale Gene sowohl einzeln (gene-centric metagenomics) als auch in Form eines gesamten Genoms (genome-centric –omics) sequenziert. Über die reine genetische Diversität hinaus ist es auch ein Ziel, die Funktionen der Mikroben im Boden zu erforschen. Deshalb untersucht man zusätzlich die Moleküle, die die Geninformation in Proteine übersetzen, die RNA-Fragmente. Ein Metagenom ist somit eine Momentaufnahme der zu einem Zeitpunkt vorhandenen Gene und ablaufenden Funktionen in einer bestimmten Bodenprobe. Das Ergebnis des aufbereiteten genetischen Materials ist ein Katalog von Genfragmenten und Genomen in der Größenordnung von rund einer Milliarde Genome und einer Billion Gene pro Gramm Boden.

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Betrachtet man die Gesamtheit aller Mikroorganismen eines Lebensraums, spricht man vom sogenannten Mikrobiom. Die Metagenomik untersucht mit molekularbiologischen Methoden die Gesamtheit dieser Mikroorganismen. Dafür werden die genetischen Informationen der mikrobiellen Gemeinschaften erfasst. Metagenomische Methoden ermöglichen die Identifizierung von Mikroorganismen, auch wenn sie im Labor nicht kultivierbar sind.

Die Dimensionen sind beeindruckend. Noch dazu vor dem Hintergrund, dass dies die einzige Möglichkeit bisher ist, einen Großteil der Kleinstlebewesen überhaupt zu identifizieren. Denn da viele Mikroorganismen nicht kultivierbar sind, kann man sie im Labor nicht kultivieren und bestimmen. Darüber hinaus hat die Metagenomik es ermöglicht, einen Eindruck der Ausmaße der Vielfalt der Mikroorganismen auf dieser Erde zu bekommen.

Die Haken an der Sache

Dennoch: Prosser plädiert dafür, sich von der Dimension der technischen Machbarkeit nicht blenden zu lassen. Denn allen Kritikpunkten voran ist die Metagenomik vor allem eines: ein deskriptiver Ansatz. Die Beschreibung und Erstellung eines Katalogs von Genen und Genomen, und ist er noch so groß, erlaubt keine direkten Rückschlüsse auf die Funktion der Bodenorganismen.

Metagenome, die die Gesamtheit der Gene in einer Probe aufzeigen, erlauben es zwar, sie entsprechend ihrer Funktionen zu gruppieren. Doch sobald Gene aus ihrem organismischen Zusammenhang genommen werden, kann man sie auch nicht mehr in einem solchen interpretieren. Außerdem bleibt eine Momentaufnahme eine Momentaufnahme: Zum Zeitpunkt der statistischen Analyse der Daten könnten im beprobten Boden schon wieder ganz andere Bedingungen vorherrschen als zu dem Zeitpunkt als die Probe genommen wurde.

Gene sind nur die Träger der Information

Darüber hinaus reichen Prosser die Informationen, die man aus der Analyse der DNA und RNA erhält, nicht aus, um Rückschlüsse auf die Ökologie des Organismus zu ziehen. Denn beispielsweise könnte ein identifiziertes Gen zwar vorhanden, aber stillgelegt sein, weil der Organismus zum Zeitpunkt der Probenentnahme gar nicht aktiv ist. RNA-Fragmente sind außerdem nur ein Nachweis für die potentielle Funktionalität eines Genes, nicht für seine tatsächliche Funktion in einem Ökosystem: Ein Enzym, für das ein RNA-Fragment kodiert, kann durchaus verschiedene Prozesse aktivieren. Die Prozesse, die RNA Fragmente vermeintlich voraussagen können, hängen außerdem von den vorherrschenden Umweltfaktoren wie ph-Wert, Salinität, Sauerstoffgehalt, Temperatur, Feuchtigkeit und vieles mehr ab.

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Ein Metagenom ist eine Momentaufnahme der zu einem Zeitpunkt vorhandenen Gene und ablaufenden Funktionen in einer bestimmten Bodenprobe. Doch reichen diese Informationen, um damit Rückschlüsse auf deren Funktionen im Ökosystem zu ziehen?

Ein Metagenom ist eine Momentaufnahme der zu einem Zeitpunkt vorhandenen Gene und ablaufenden Funktionen in einer bestimmten Bodenprobe. Doch reichen diese Informationen, um damit Rückschlüsse auf deren Funktionen im Ökosystem zu ziehen?

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Auch sagt das Vorhandensein eines Genes nichts über die Produktivität aus, in der die in ihm enthaltene Information umgesetzt wird. Je nachdem, in welchem Organismus ein Gen übersetzt wird, kann seine Produktivität stark variieren. Außerdem zeigt Prosser auf, dass in der Interpretation metagenomischer Ergebnisse über eine Wissenslücke hinweggesehen wird: Noch wissen wir nicht im Detail, wie schnell RNA Fragmente in einer Zelle produziert werden und wie lange sie bestehen, nachdem sie ihre Funktion erfüllt haben, also wie stabil diese sind.

Dennoch: Potential durch Rejustierung

Neben den vielen Mängeln, die Prosser sieht, zeigt er einige Stellschrauben auf, die es seiner Meinung nach zu drehen gilt, um die Metagenomik auf den richtigen Kurs zu bringen: Aussagen über die potentielle Aktivität eines Gens sollten zusätzlich mit Experimenten überprüft werden. Und der deskriptiven Ansatz der Studie sollte auch deskriptive Fragen beantworten: Die Metagenomik könnte ein starkes Instrument sein, um die Heterogenität der Böden und ökologischen Nischen im Boden zu beschreiben. Vor allem vor dem Hintergrund sich verändernder Umweltbedingungen könnte man sie für vergleichende Untersuchungen nutzen. Auch plädiert Prosser dafür, Metagenome nur noch auf der Basis ganzer Genome zu erstellen. Diese bieten eine umfangreiche Basis für weiterführende Experimente, die den Zusammenhang zwischen Genen und Funktionen von Bodenmikroorganismen identifizieren können.

Die Diskussion um einen sich rasant entwickelnden Forschungsansatz wurde nun durch die Veröffentlichung des Opinion-Papers in einem hochrangigen wissenschaftlichen Journal angestoßen. Es bleibt abzuwarten, wie die wissenschaftliche Gemeinschaft auf Prossers Plädoyer reagiert und die Anregungen nutzen wird.


Quelle: 
Prosser, J. I. (2015): Dispersing misconceptions and identifying opportunities for the use of ‘omics‘ in soil microbial ecology. In: Nature Reviews Microbiology, (08. Juni 2015), doi: 10.1038/nrmicro3468.

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Titelbild: Bodenprobe: In einem Gramm Oberboden befinden sich oft eine Milliarde Zellen – und eine Billion Genome. (Bildquelle: © iStock.com/BartCo)