Covid-19-Medikament aus Tabakpflanzen?

Tabak eignet sich als Expressionssystem für das Fusionsprotein ACE2-Fc

22.02.2021 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Tabakpflanzen können dazu genutzt werden, ein rekombinantes ACE2-Fc-Protein zu produzieren, was zurzeit als Covid-19-Therapeutikum getestet wird. (Bildquelle: © Couleur / Pixabay)

Tabakpflanzen können dazu genutzt werden, ein rekombinantes ACE2-Fc-Protein zu produzieren, was zurzeit als Covid-19-Therapeutikum getestet wird. (Bildquelle: © Couleur / Pixabay)

Die Impfstoffproduktion ist bereits angelaufen, doch effektive Therapeutika für Sars-Cov-2-Infektionen sind weiterhin Mangelware. Das Protein ACE2 könnte ein aussichtsreicher Kandidat sein und lässt sich in großer Menge in den Blättern von Tabakpflanzen herstellen.

Die Produktion von Impfstoffen gegen Sars-Cov-2 ist angelaufen, die ersten Menschen haben die schützende Injektion bereits erhalten. Doch es wird noch viele Monate oder Jahre dauern, bis die Weltbevölkerung ausreichend geschützt ist. Zusätzlich mangelt es an spezifischen Medikamenten für eine Therapie von schweren Sars-Cov-2-Verläufen. Ein aussichtsreicher Wirkstoffkandidat ist aber gefunden: das humane Enzym Angiotensin-konvertierendes Enzym 2, kurz ACE2. Coronaviren nutzen das membranständige Molekül – neben anderen dort vorkommenden Proteasen – als Eintrittspforte in die menschlichen Zellen im Rachenraum und in der Lunge (1).

Im Sommer 2020 haben WissenschaftlerInnen an Zellkulturen und im Tierversuch gezeigt, dass sich die Coronaviren mit löslichem ACE2 von den Wirtszellen ablenken lassen (2,3). Eine erste Fallstudie zum Einsatz von ACE2 bei einer sehr schwer an Covid-19 erkrankten Frau liegt vor (4). Ihr wurde ACE2 verabreicht und ihr Zustand verbesserte sich. „Tatsächlich lässt sich aber anhand eines einzigen Falls nicht schlussfolgern, dass ACE2 wirklich der Auslöser für die Genesung war“, sagt Professor Michael Bader vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, der zu ACE2 forscht.

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Die Tabakart Nicotiana benthamiana diente den ForscherInnen als Versuchspflanze.

Die Tabakart Nicotiana benthamiana diente den ForscherInnen als Versuchspflanze.

Bildquelle: © Charles Andres / wikimedia.org / CC BY-SA 3.0

Daher läuft zurzeit eine internationale Phase-IIb-Studie mit besonders schwer erkrankten Patienten. Die Ergebnisse werden noch im ersten Quartal 2021 erwartet. Sollte sich zeigen, dass ACE2 tatsächlich auch beim Menschen die erhoffte positive Wirkung auf den Krankheitsverlauf von Covid-19 hat, dann bräuchte man für die zahlreichen Patienten sehr schnell und sehr viel vom ACE2-Wirkstoff.

Tabak als Expressionssystem für ein Fusionsprotein

In zwei unabhängig voneinander veröffentlichten Publikationen wird jetzt aufgezeigt, wie Tabakpflanzen hier helfen könnten. Eine Studie ist unter Federführung von Richard Strasser von der Abteilung für Angewandte Genetik und Zellbiologie an der Universität für Bodenkultur Wien entstanden (5). Die andere stammt von einem Wissenschaftlerteam aus Thailand und Indonesien (6).

In beiden Studien wurde das Fusionsprotein ACE2-Fc in Tabakpflanzen (Nicotiana benthamiana) exprimiert. Die Molekülgruppe Fc stammt vom menschlichen Immunglobulin D und stabilisiert das Protein ACE2, das ansonsten relativ rasch abgebaut wird.

Damit das Fusionsprotein wirksam sein kann, muss es auch richtig glykosyliert sein. „Diese an ACE2 angehängten Zuckerketten sind sehr wichtig für die biologische Funktion und können zum Beispiel die Virus-Rezeptor-Interaktion beeinflussen“, erklärt Strasser, der die Experimente in Wien geleitet hat. Den WissenschaftlerInnen ist es gelungen, den Prozess so zu beeinflussen, dass sich das Glykosylierungsmuster von ACE2-Fc aus Tabakpflanzen nicht mehr wesentlich von dem nativen Enzym unterschied. Jetzt versuchen sie, auch die Halbwertszeit von ACE2-Fc im Blut durch bestimmte Zuckermoleküle noch zu verbessern. Bakterien als alternative Produktionsorganismen kommen grundsätzlich hier nicht in Frage, da sie Proteine nicht glykosylieren können.

Ein einfaches, skalierbares und schnelles Produktionssystem

Das Fusionsprotein bildete sich schnell, in großen Mengen und sehr guter Reinheit in den Blättern der Pflanzen. Ein weiterer Pluspunkt: „Ein Vorteil von Tabakpflanzen ist die schnelle und flexible Produktion von rekombinanten Proteinen“, sagt Richard Strasser. Mit Hilfe von Agrobakterien wird das Gen für das Fusionsprotein in die Pflanzenzelle eingebracht. Die Blätter beginnen quasi sofort mit der Produktion und können bereits nach vier Tagen geerntet werden.

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Molecular Farming in Deutschland: Wo stehen wir und wohin gehen wir?

ACE2-Fc neutralisiert das Virus

Doch ist das Fusionsprotein auch tatsächlich therapeutisch wirksam? Erste Experimente aus den Labors in Wien haben gezeigt, dass zumindest in Zellkulturen eine Wirksamkeit vorhanden ist. ACE2-Fc bindet sehr gut an das Spike-Protein von Sars-Cov-2 und hindert das Virus daran, in eine Wirtszelle einzudringen und sich zu vermehren.

Nun muss noch mit Studien an Mäusen und Menschen getestet werden, ob das gewonnene Fusionsprotein auch in vivo – also bei den Patienten – seine Zwecke erfüllt. „Mit Zellkulturen lässt sich beispielsweise nicht beantworten, ob das per Spritze injizierte Molekül überhaupt zu seinem Wirkungsort in den Lungen vordringen kann“, erklärt der Molekularbiologe Michael Bader. „Bisher fehlen die Daten dazu.“ Doch falls der Wirkstoff die Hoffnungen erfüllt, stünden die Tabakpflanzen schon als Medikamenten-Produzenten in den Startlöchern.

Kommt Molecular Farming jetzt aus der Nische?

Obwohl schon lange an Molecular Farming, also dem Einsatz von Pflanzen zur Medikamentenproduktion, geforscht wird, kommt diese Methode bisher nicht großflächig zum Einsatz. Eine Studie hier, eine Testreihe da – mehr war bisher kaum drin. Verhilft die Covid-Pandemie der Technik jetzt raus aus der Nische? „Durch die SARS-CoV-2 Pandemie könnte sich der Stellenwert von Molecular Farming ändern“, hofft Richard Strasser.

Die Firma Medicao Inc. aus Kanada arbeitet zum Beispiel an virusähnlichen Partikeln (VLPs) als Impfstoff. Eine Zulassung von einem Pflanzen-produzierten Impfstoff in Europa würde dem Molecular Farming Auftrieb verschaffen und zu mehr Interesse seitens der Industrie führen. Strasser und sein Team arbeiten bereits an rekombinanten Antikörpern, die SARS-CoV-2 neutralisieren. Auch SARS-CoV-2 Glykoproteine, die als Bestandteile von Antikörpertests verwendet werden können, wollen sie in Tabak herstellen.


Quellen:

  1. Bader, M. (2020): ACE2 – Das missbrauchte Multitalent [ACE2 - the hijacked all-rounder]. In: Der Nephrologe, 2020;1-4, (published online ahead of print, 15. Juli 2020), doi: 10.1007/s11560-020-00448-0.
  2. Monteil, V. et al. (2020): Inhibition of SARS-CoV-2 Infections in Engineered Human Tissues Using Clinical-Grade Soluble Human ACE2. In: Cell, 2020;181(4):905-913.e7, (Epub 24. April 2020), doi: 10.1016/j.cell.2020.04.004.
  3. Lei, C. et al. (2020): Neutralization of SARS-CoV-2 spike pseudotyped virus by recombinant ACE2-Ig. In: Nature Communications 11:2070, (24. April 2020), doi: 10.1038/s41467-020-16048-4.
  4. Zoufaly, A. et al. (2020): Human recombinant soluble ACE2 in severe COVID-19. The Lancet Respiratory Medicine 2020; 8(11):1154-1158, (Online 24. September 2020), doi: 10.1016/S2213-2600(20)30418-5.
  5. Castilho, A. et al. (2021): Generation of enzymatically competent SARS‐CoV‐2 decoy receptor ACE2‐Fc in glycoengineered Nicotiana benthamiana. In: Biotechnology Journal, (22. Januar 2021), doi: 10.1002/biot.202000566.
  6. Siriwattananon, K. et al. (2021): Development of Plant-Produced Recombinant ACE2-Fc Fusion Protein as a Potential Therapeutic Agent Against SARS-CoV-2. In: Front. Plant Sci., (07. Januar 2021), doi: 10.3389/fpls.2020.604663.

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Tabakpflanzen können dazu genutzt werden, ein rekombinantes ACE2-Fc-Protein zu produzieren, was zurzeit als Covid-19-Therapeutikum getestet wird. (Bildquelle: © Couleur / Pixabay)