Molecular farming in der Covid-19-Pandemie

Pflanzenbiotechnologische Ansätze für Diagnostik und Impfung

12.06.2020 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Kultivierung von Pflanzen für die Produktion von z. B. Diagnostika, Impfstoffen oder antiviralen  Medikamenten. (Bildquelle: © Fraunhofer IME | Dirk Mahler)

Kultivierung von Pflanzen für die Produktion von z. B. Diagnostika, Impfstoffen oder antiviralen Medikamenten. (Bildquelle: © Fraunhofer IME | Dirk Mahler)

„Molecular farming“, die Herstellung von pharmazeutischen Produkten in Pflanzen, ist eine seit rund 30 Jahren etablierte Technologie. Allerdings fristet diese Produktionsweise bis heute ein bescheidenes Nischendasein. Die Covid-19-Pandemie könnte für einen Aufschwung sorgen, denn Pflanzen bieten als Produktionsorganismen so einige Vorteile – für Diagnostika wie für Impfstoffe und Therapeutika.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler rund um die Welt forschen derzeit an diagnostischen und therapeutischen Antworten auf die Covid-19-Pandemie. Auch die Pflanzenforschung kann und will dazu ihren Beitrag leisten, denn pflanzliche Produktionssysteme bieten gerade in Zeiten einer Pandemie mit einem zuvor unbekannten Erreger entscheidende Stärken.

Transiente Expression für schnelle Lösungen

Insbesondere die transiente Expression in Pflanzen stellt eine hervorragende Methode da, um sowohl diagnostische Präparate, Impfstoffe und antivirale Proteine zu produzieren. Die Methode ist schneller als traditionelle Produktionsplattformen auf der Grundlage mikrobieller oder tierischer Zellen, bei denen zunächst stabile Zelllinien etabliert werden müssen. Zudem erfordert das Upscaling der Produktionsmengen keine größeren Prozessanpassungen, sondern lediglich größere Anbauflächen. Die Herstellung benötigt keine Hightech-Anlagen, sondern lediglich Äcker, auf denen Tabak, Getreide oder Leguminosen gedeihen können. Pflanzliche Expressionssysteme bieten sich damit gleichermaßen für Industrieländer und Entwicklungsländer an.

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Das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2: Illustration vom Center for Disease Control and Prevention (CDC).

Das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2: Illustration vom Center for Disease Control and Prevention (CDC).

Bildquelle: Photo Credit: CDC / Alissa Eckert, MS; Dan Higgins, MAMS; public domain

Tatsächlich ist die Produktion von pharmakologisch relevanten oder diagnostischen Proteinen kein neues Feld in der Pflanzenzüchtung. Das „molecular farming“ hat eine mehr als 30-jährige Geschichte. Dementsprechend gibt es erprobte Ansätze für alle in der Covid-19-Pandemie benötigten Produktionsbereiche: Diagnostikpräparate zum Nachweis akuter sowie überstandener Infektionen, Impfstoffe und antivirale Medikamente für akut Erkrankte.

Positivkontrolle für RNA-basierte Tests

Um eine akute Infektion mit SARS-CoV-2 nachzuweisen, nutzen Mediziner einen RNA-basierten Assay, seit die Sequenz des RNA-Virus bekannt ist. Die Methode erfordert lediglich die Synthese der Primer für eine PCR-Analyse. Was bislang jedoch fehlt, ist eine universelle Positivkontrolle, um die Diagnoseverfahren in den unterschiedlichen Testlabore zu standardisieren.

In einem noch unveröffentlichten Ansatz haben Wissenschaftler am John Innes Centre in Norwich (UK) genau das geschafft. Basierend auf Erfahrungen mit dem Erreger der Maul-und-Klauen-Seuche haben die Forscher künstliche RNA in einen sogenannten virusartigen Partikel (VLP) gepackt, die alle Genomregionen von SARS-CoV-2 repräsentiert. Der vom Kuhbohnenmosaikvirus abgeleitete VLP lässt sich in großer Menge und stabiler Qualität als Standardreagens für Positivkontrollen bei RT-PCR-Assays in Pflanzen produzieren.

Ob eine Person bereits eine Infektion mit SARS-CoV-2 überstanden hat, lässt sich anhand von Serum-Antikörpern gegen die vier Strukturproteine des Erregers feststellen. Besonders das Peplomer, das essentiell ist für die Bindung an die Wirtszelle, steht dabei im Fokus.

Anhand rekombinanter viraler Proteine lässt sich das Serum eines Menschen daraufhin testen, ob das Immunsystem bereits Kontakt mit diesem Virus hatte. Derartige diagnostische Antigene können innerhalb weniger Wochen in Pflanzen in großen Mengen hergestellt werden. Heute produziert das italienische Biotech-Unternehmen Diamante bereits auf diesem Weg Antigene für den Nachweis von Serum-Antikörpern gegen SARS-CoV-2 im ELISA-Test. Noch basiert die Herstellung auf transienter Expression, doch mittelfristig könnten transgene Pflanzen die Produktion noch einmal deutlich steigern.

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Bis ein Impfstoff zugelassen und verfügbar ist, wird es noch einige Zeit dauern.

Bis ein Impfstoff zugelassen und verfügbar ist, wird es noch einige Zeit dauern.

Bildquelle: © iStock.com/MarianVejcik

Impfstoffe in der Entwicklung

Die einzige Hoffnung für ein sicheres Ende der Pandemie ohne unzählige Todesopfer ruht derweil jedoch auf Impfstoffen. Der klassische Weg über inaktivierte oder abgeschwächte Erregerstämme würde viel Zeit erfordern und einige Risiken bergen. Schneller und sicherer wäre es, einzelne Virusproteine in Kombination mit einem Adjuvans als Primeboost-Impfung einzusetzen oder VLPs zu nutzen, an deren Oberfläche sich Antigene von SARS-CoV-2 befinden. An beiden Ansätzen wird derzeit gearbeitet. Am vielversprechendsten ist dabei eine Untereinheit des Peplomers, die lediglich 70 Prozent Übereinstimmung mit anderen humanen Coronavirusstämmen besitzt.

Impfstoffkandidaten auf der Grundlage von Untereinheiten wurden in der Vergangenheit bereits in Tabakpflanzen hergestellt, darunter mehrere gegen Grippevirenstämme. Produktionsbeginn war jeweils nur drei Wochen nach Sequenzierung des jeweiligen Erregerstammes. Methodisch nutzten die Entwickler dafür einen dekonstruierten Vektor auf Grundlage des Tabakmosaikvirus‘, den sie per Agroinfiltration – einer seit 20 Jahren erprobten Technik – in die Pflanzen überführten.

Auch in der Covid-19-Pandemie dient der Ansatz wieder der Impfstoffentwicklung, wie die US-Firma Kentucky BioProcessing bekannt gegeben hat. Offen ist dabei bislang, welche Folgen die teils unterschiedliche Glykosylierung von Proteinen in pflanzlichen und menschlichen Zellen haben wird. Allerdings gehen Experten davon aus, dass viele der wichtigen Epitope übereinstimmen dürften.

Virus-artige Partikel besonders vielversprechend

Impfstoffkandidaten auf der Grundlage von VLPs mit entsprechenden SARS-CoV-2-Antigenen versprechen aufgrund ihrer Größe eine besonders gute Immunantwort. Auch bieten sie eine hohe Sicherheit, da sie sich nicht im Menschen vermehren können. Dieser Ansatz wird derzeit von mindestens zwei Firmen verfolgt: von der kanadischen Medicago, die mit dieser Methode bereits mehr als zehn Millionen Impfstoffdosen gegen den H1N1-Grippeerreger in nur einem Monat hergestellt hat, und von der US-amerikanischen Similarly iBio, die mit FastPharming ein proprietäres System für die Impfstoffherstellung in Tabakpflanzen besitzt.

Bis jedoch ein Impfstoff zugelassen und verfügbar ist, werden viele Menschen Medikamente benötigen, die eine akute Covid-19-Erkrankung abschwächen. Diese Wirkstoffe müssten entweder das Immunsystem der Patienten unterstützen oder die Vermehrung des Virus verlangsamen.

Es ist bereits nachgewiesen, dass das Serum von geheilten Patienten die Infektion mit SARS-CoV-2 bei akut erkrankten Personen abschwächen kann. Die darin enthaltenen Antikörper wirken dabei als passive Immuntherapie. Solche spezifischen Antikörper könnten auch in Pflanzen in großen Mengen produziert werden. Ein solcher Ansatz erwies sich in der Ebola-Epidemie in Westafrika als erfolgreich und auch gegen HIV wurden entsprechende Therapien mit pflanzlichen Produktionssystemen für Antikörper vorgestellt.

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Tabakpflanzen sind ein seit 30 Jahren bewährte Produktionsorganismus des „molecular farming“.

Tabakpflanzen sind ein seit 30 Jahren bewährte Produktionsorganismus des „molecular farming“.

Bildquelle: © Markus Distelrath/Pixabay; CC0

In Deutschland läuft derzeit eine solche Studie in der klinischen Phase I, bei der HIV-spezifische Antikörper in Tabakpflanzen produziert werden. Dass dieser Ansatz auch im Fall von Covid-19 sinnvoll sein kann, zeigen zwei klinische Studien, die sich allerdings auf Antikörper konzentrieren, die die massive Cytokin-Produktion bremsen, die mit schweren SARS-CoV-2-Infektionen einhergeht.

Lektine als antivirale Medikamente

Ein weiterer Ansatz sind antivirale Medikamente, die in den Replikationszyklus der Viren eingreifen. Da es sich dabei meist um einfach zu synthetisierende Moleküle handelt, wäre es nicht sinnvoll, in diesen Fällen auf die Produktion in Pflanzen umzustellen. Wohl aber gibt es in Pflanzen bereits natürliche antivirale Proteine – die Lektine.

Griffithsin aus der namensgebenden Alge ist beispielsweise für Menschen recht gut verträglich und inhibiert HIV, Ebolaviren und SARS-CoV. Noch ist unklar, ob es ebenfalls gegen SARS-CoV-2 wirkt, doch die Wahrscheinlichkeit ist hoch. Darüber hinaus haben Studien 20 weitere pflanzliche Lektine identifiziert, die eine gewisse Aktivität gegen Coronaviren entfalten. Sie könnten innerhalb weniger Wochen in großen Mengen für den weltweiten Einsatz produziert werden.

Man kann sich nun fragen, weshalb Pflanzen als Produktionssysteme angesichts mancher Vorteile in der medizinischen Biotechnologie bisher nur einige Nischen besetzen. Denn zusätzlich zu den bereits genannten Faktoren, hohe Geschwindigkeit bei der Entwicklung der Produktionsorganismen und hohe Skalierbarkeit der Produktionsmengen, kommen als Anreize noch vergleichsweise niedrige Kosten und eine hohe biologische Sicherheit dieser System hinzu – schließlich können in Pflanzen praktisch keine Humanpathogene gedeihen.

Die einfache Antwort: Für Mikroorganismen und tierische Stammzelllinien existieren bereits robuste regulatorische Rahmenrichtlinien für den Produktionsprozess. Entsprechend gering ist wohl der Anreiz, in neue Produktionstechnologien zu investieren. Vielleicht jedoch werden die Covid-19-Pandemie und der dadurch ausgelöste riesige Bedarf an diagnostischen und medizinischen Präparaten dem Segment neue Impulse verleihen.


Quelle:
Capell, T. et al. (2020): Potential applications of plant biotechnology against SARS-CoV-2. In: Trends in Plant Science, (April 2020, pre-proof), doi: 10.1016/j.tplants.2020.04.009.

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Titelbild: Kultivierung von Pflanzen für die Produktion von z. B. Diagnostika, Impfstoffen oder antiviralen  Medikamenten. (Bildquelle: © Fraunhofer IME | Dirk Mahler)