Aus rot mach violett

Tomaten produzieren einen neuen Farbstoff

19.10.2021 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Violette Tomaten im Vergleich zu einer nicht veränderten Frucht (Mitte). (Bildquelle: © Sylvestre Marillonnet, IPB)

Violette Tomaten im Vergleich zu einer nicht veränderten Frucht (Mitte). (Bildquelle: © Sylvestre Marillonnet, IPB)

Ein sichtbarer Erfolg: Einem Forschungsteam gelang es, einen neuen Biosyntheseweg in Tomaten zu übertragen. Jetzt kann die Pflanze den Farbstoff Betanin bilden, der ihre Früchte violett färbt. Was zunächst wie eine Spielerei wirkt, ist ein wichtiger Machbarkeitsbeweis: Pflanzen sollen ein effizientes Produktionssystem von allerlei Naturstoffen werden – darunter auch Wirkstoffe für Medikamente.

Pflanzen produzieren eine Fülle an unterschiedlichen sekundären Pflanzenstoffen. Viele davon haben auch für uns Menschen gute Eigenschaften. Sie können gesundheitsförderlich sein wie Antioxidantien oder als medizinische Wirkstoffe eingesetzt werden. Andere Stoffe werden in der Industrie beispielsweise als Aroma- oder Farbstoffe eingesetzt. Doch nicht immer produzieren Pflanzen die gewünschten Stoffe in ausreichend großen Mengen. Oder die Pflanzenarten, die sie natürlicherweise herstellen, sind nicht für einen Anbau im großen Stil geeignet.

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Betanin ist ein natürlicher Pflanzenfarbstoff, der Rote Bete ihre charakteristische Farbe verleiht.

Betanin ist ein natürlicher Pflanzenfarbstoff, der Rote Bete ihre charakteristische Farbe verleiht.

Bildquelle: © congerdesign /Pixabay

Andere Produktionssysteme nutzen

Abhilfe kann ein Trick schaffen: Man lässt gentechnisch veränderte Produktionsorganismen diese Naturstoffe herstellen. Das können Mikroorganismen sein wie E. coli-Bakterien oder Hefen, denen die entsprechenden Synthesegene übertragen wurden. Mikroorganismen können allerdings komplexe Naturstoffe oft nicht korrekt produzieren. Daher sollen ertragreiche Pflanzen wie Tabak oder Tomaten als Produktionssysteme optimiert werden. Die gewünschten Substanzen ließen sich dann gewissermaßen mit den Blättern, Früchten oder Wurzeln ernten.

Dafür müssen allerdings alle beteiligten Gene eines Naturstoff-Synthesewegs in die Produktionspflanzen übertragen werden. Ein Verfahren, das „Genetic Engineering“ genannt wird. Doch ganz so einfach ist das nicht. Pflanzen verfügen über viele weitere Regulationsmechanismen oder Stoffwechselengpässe, die die Biosynthese der gewünschten Substanz drosseln können. Und dann produziert die Pflanze das neue Produkt nur in verschwindend kleinen Mengen.

Betanin – erster Versuch

Ein solches Beispiel ist der erste Versuch, Pflanzen die Produktion von Betanin – einem violetten Pflanzenfarbstoff (siehe Kasten) – beizubringen. Er wird in kaum einer Kulturpflanze gebildet, die Rote Bete ist da eine der wenigen Ausnahmen.

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Betanin ist ein Pflanzenfarbstoff aus der Gruppe der rotvioletten Betacyane.

Betacyane bilden zusammen mit den gelben Betaxanthinen die Übergruppe der Betalaine. Betalaine kommen in Pflanzen nur in der Ordnung der Nelkenartigen (Caryophyllales) vor und daher in vergleichsweise wenigen Nahrungspflanzen.

Da Betalainen eine gesundheitsfördernde Wirkung zugesprochen wird, wäre eine Anreicherung in Früchten auch ernährungsphysiologisch interessant.

Auf gentechnischem Weg statteten die Wissenschaftler:innen mehrere Pflanzen darunter Tomaten und Kartoffeln mit allen Genen aus, die für die Synthese des Farbstoffs aus der Aminosäure Tyrosin nötig sind – sie kodieren für die Enzyme Cytochrom P450, L-DOPA-Dioxygenase und Glycosyltransferase. Doch die erzeugten transgenen Pflanzen enthielten noch wenig Betanin (Polturak et al., 2016 und 2017).

Das fehlende Gen

Nun gelang es einem Forschungsteam des Leibniz-Instituts für Pflanzenbiochemie (IPB), die Betanin-Biosynthese in Tomaten deutlich anzukurbeln. Mit einem zusätzlichen experimentellen Kniff bilden die Tomatenfrüchte so viel Farbstoff, dass sie sich tief violett verfärben – etwa 10-mal mehr Betanin als beim ersten Versuch und sogar mehr als in Rote Bete.

Doch wie gelang es? Kürzlich wurde entdeckt, dass ein an der Biosynthese von Tyrosin beteiligtes Gen in Betalaine-produzierenden Pflanzen wie Rüben (Beta vulgaris) immer dupliziert ist. Offensichtlich sorgt erst die Duplikation dafür, dass eine ausreichende Menge Tyrosin als Ausgangsstoff für die Betanin-Produktion zur Verfügung steht. Genau dieses Gen sorgte letztlich auch in den Tomaten des IPB für die erhöhte Anreicherung des Farbstoffs.

Gleich und doch anders

Das Team nutzte die so erzeugten Tomaten gleich im Praxistest: zum Färben von Lebensmitteln. Sie färbten Joghurt und Limonade einmal mit dem Saft ihrer Tomaten und einmal mit Saft von Rote Bete. Sie erhielten jedoch dabei zwei sichtlich andere Farbtöne. Das ist auf die gesamte Farbstoffzusammensetzung der beiden Pflanzen zurückzuführen: Im Gegensatz zu Rote Bete, die sowohl rotviolette (Betacyane) als auch gelbe (Betaxanthine) Farbstoffe produziert, stellen die transformierten Tomaten nur Betanin (Betacyane) her.

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Erste Experimente zum Färben von Joghurt und Limonaden mit Tomaten-Betanin (Bild 2 & 3, jeweils rechts) im Vergleich zu Rote Bete-Saft (Bild 2 & 3, jeweils links). Der Farbstoff lässt sich auch lokal begrenzt in den Blättern produzieren (Bild 4).

Erste Experimente zum Färben von Joghurt und Limonaden mit Tomaten-Betanin (Bild 2 & 3, jeweils rechts) im Vergleich zu Rote Bete-Saft (Bild 2 & 3, jeweils links). Der Farbstoff lässt sich auch lokal begrenzt in den Blättern produzieren (Bild 4).

Bildquelle: © Sylvestre Marillonnet, IPB

Doch die Färbeexperimente sind eigentlich nur eine Nebensache. Im Kern wollte die Studie beweisen, dass ein „fremder“ Naturstoff mittels Genetic Engineering in beliebigen Pflanzen erzeugt werden kann. Der geglückte Versuch macht Hoffnung, dass Kulturpflanzen zukünftig vermehrt als Produktionssysteme für kommerziell interessante Naturstoffe genutzt werden können. Das gilt vor allem für den Bereich der Arzneimittelproduktion, auch Molecular Farming genannt. Bereits jetzt forscht man intensiv an der Produktion von Impfstoffen und Antikörpern in Pflanzen.


Quelle:
Grützner, R. et al. (2021): Engineering Betalain Biosynthesis in Tomato for High Level Betanin Production in Fruits. In: Science, (9. Juni 2021), doi: 10.3389/fpls.2021.682443.

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Violette Tomaten im Vergleich zu einer nicht veränderten Frucht (Mitte). (Bildquelle: © Sylvestre Marillonnet, IPB)