Gerangel im Herbstwald
Vorräte von Eichhörnchen & Co. leisten einen wichtigen Beitrag zur pflanzlichen Vielfalt
Herbstzeit ist Sammelzeit für kleine Waldtiere. Wenn im Winter Nahrungsknappheit herrscht, holen sie die Samen und Nüsse aus ihren Verstecken. Doch den Pflanzen wäre es lieber, sie blieben im Boden. Wer gewinnt?
Im Herbstwald herrscht geschäftiges Treiben: Hier noch schnell eine Nuss vergraben, dort eine Eichel verstecken. Etliche Tierarten legen für die Nahrungsknappheit im Winter Vorräte an. Damit sichern sie nicht nur ihr eigenes Überleben, sondern leisten Ökosystemen einen wertvollen Dienst: Werden Vorratslager vergessen oder die Tiere sterben, können die Pflanzensamen auskeimen und - entfernt vom Ursprungsbaum - zu neuen Bäumen heranwachsen.
Das Sammelverhalten kleiner Waldtiere spielt eine wichtige Rolle bei der Erhaltung der pflanzlichen Vielfalt: Zahlreiche Pflanzenarten in Mittel- und Südamerika wurden ursprünglich vor 10.000 Jahren durch große Säugetiere des Pleistozäns verbreitet. Diese verspeisten deren Früchte und verteilten die Samen durch Ausscheidung über weite Strecken. Als diese Tiere ausstarben übernahmen kleine Nager, wie die Agutis, diese Aufgabe. Agutis bewegen die Samen durch Eingraben, Umlagern und Plündern anderer Vorräte und verteilen sie so allmählich in einem Umkreis von mehreren hundert Metern. Ohne ihre tierischen Partner wären viele dieser Baumarten, so vermuten Forscher, längst ausgestorben.
Eins für mich, eins für den Wald
Doch was auf den ersten Blick wie eine gelungene Kooperation zwischen Tier und Pflanze aussieht, ist in Wahrheit ein Tauziehen. Denn für die Tiere ist jeder aufgekeimte Same ein Verlust. Forscher gehen deshalb davon aus, dass die tierischen Partner bei der Versteckwahl ganz andere Interessen verfolgen, wie etwa ihre Vorräte vor Plünderern zu schützen oder besonders lange haltbar zu machen. Trotzdem müssen dabei noch genug Samen aufgehen, damit sich das Tauschgeschäft auch für die Pflanze rechnet und diese sich erfolgreich ausbreiten kann.
Sammelökologie
Um zu verstehen, was diese „Ökologie des Sammelns“ im Gleichgewicht hält, studierten Wissenschaftler des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums (BiK-F) und der Goethe-Universität Frankfurt die Samenverbreitung der Zirbelkiefer (Pinus cembra) in den Schweizer Alpen. Anders als bei Nadelbäumen üblich, geben ihre Tannenzapfen die Samen nicht von selbst frei. Hilfe bekommt die Zirbelkiefer vom Tannenhäher (Nucifraga caryocatactes), dessen Schnabel kräftig genug ist, um die Zapfen zu zerhacken. Der Vogel ernährt sich das ganze Jahr über ausschließlich von Zirbelkiefer-Samen. Da er diese nur im August ernten kann, legt er für den Rest des Jahres Samendepots im Boden an.
Verstecken nach Plan
Schon früher war Forschern aufgefallen, dass der Tannenhäher seine Verstecke nicht beliebig wählt, sondern bestimmte Orte für die Vorratshaltung bevorzugt. Überraschenderweise zeigte sich, dass der Vogel seine Vorratslager zielgerichtet dort einrichtet, wo die Samen der Zirbelkiefer besonders schlecht keimen. „Während Zirbelkiefersamen feuchten Boden und viel Licht brauchen, um aufzugehen, vergräbt der Tannenhäher sie dort, wo der Boden trocken und das Kronendach relativ dicht ist“, erklärt die Hauptautorin der Studie Eike Lena Neuschulz, Biologin am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F). „Der Tannenhäher ist somit auch eines der wenigen Beispiele, bei denen die tierische Samenausbreitung nicht so erfolgt, wie es für die Pflanze optimal wäre.“
Die Ergebnisse widersprechen auch einer bisherigen Theorie, die besagt, dass der Tannenhäher sich vor allem Verstecke aussuche, die besonders geschützt vor Plünderern, wie Nagern seien.
Gleich essen oder lieber horten?
Eine weitere, bisher ungeklärte Frage ist, ob in erster Linie pflanzliche- oder tierische Eigenschaften das Sammelverhalten der Waldtiere beeinflussen. So könnten eine harte Schale oder Gerbstoffe, Tiere eher dazu animieren, Nüsse und Samen für später aufzuheben. Ein Vorteil für die Pflanze. Tiere mit gutem räumlichen Gedächtnis und Geruchssinn wären dagegen klar im Vorteil, um ihre Vorräte wieder aufzufinden und zu verspeisen.
Bitte vergiss mich
Eine aufwendige Verhaltensanalyse der Waldmaus zeigt, dass zumindest bei der Kooperation zwischen Waldmaus und Pyrenäen-Eiche, die Pflanze nicht über die Sameneigenschaften beeinflussen kann, ob gehortetet Samen wieder aufgespürt werden. Das Wissenschaftlerteam markierte mehrere hundert Eicheln, um deren Bewegungen durch die Mäuse zu erfassen. Dabei beobachteten die Forscher, dass einzelne Eicheln bis zu siebenmal aus- und anderswo wieder eingegraben wurden.
Entscheidender als die Qualität der Eichel, war jedoch, wie oft die Eicheln bewegt und wie tief sie vergraben wurden, wie sich bei der Auswertung von insgesamt 1.143 Samenbewegungen zeigte. Je öfter die Eicheln umgelagert wurden und je tiefer sie in der Erde lagen, desto größer war die Chance, dass sie vergessen wurden.
Lager wurden zudem eher aufgegeben, wenn das Risiko einem Jäger zum Opfer zu fallen, besonders hoch war. Die Forscher schlussfolgern daraus, dass nicht die Sameneigenschaften, sondern die tierischen Verhaltensweisen darüber entscheiden, ob Verstecke in Vergessenheit geraten.
Die Pflanze kann aber auf anderem Wege dazu beitragen, dass vergrabene Samen auch im Boden bleiben: In sogenannten „Mastjahren“ produzieren die Bäume einer Eichenpopulationen so viel Samenüberschuss, dass die Tiere mehr Samen vergraben, als sie fressen können.
Quellen:
- Neuschulz, E.L. et al. (2015): Seed Perishability determines the caching behaviour of a food-hoarding bird. In: Journal of Animal Ecology 84, 71-78, (22. September 2014), DOI: 10.1111/1365-2656.12283.
- Perea, R. et al. (2015): Post-dispersal seed recovery by animals. Is is a plant- or an animal-driven process? In: Oikos, (27. August 2015), DOI: 10.1111/oik.02556.
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Weiterführende Informationen:
Titelbild: Dank seines exzellenten Gedächtnisses findet der Tannenhäher versteckte Samen im Winter sogar unter Schnee wieder. (Bildquelle: © Eike Lena Neuschulz)