Nichts ist Utopie

In unseren Kulturpflanzen steckt noch viel ungenutztes Potential, sagt Chris-Carolin Schön

16.09.2013 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Sind unsere Hochleistungssorten durch Zucht überhaupt noch optimierbar? (Quelle: © TU München)

Sind unsere Hochleistungssorten durch Zucht überhaupt noch optimierbar? (Quelle: © TU München)

Pflanzenzüchter stehen vor vielen Aufgaben gleichzeitig. Landwirte wünschen sich Sorten, die robust, ertragreich und resistent gegen Krankheiten sind. Verbraucher bevorzugen einheitlich geformtes Obst und Gemüse, das die Geschmacksnerven berauscht. Doch können alle diese Wünsche gleichzeitig erfüllt werden? Prof. Dr. Chris-Carolin Schön von der TU München meint, dass die Potentiale der Pflanzen noch lange nicht erschöpft sind. Bloß der wissenschaftliche Nachwuchs macht ihr Sorgen.

Pflanzenforschung.de: Frau Schön, ein Schwerpunkt in unserem Plantainment Spezial heißt „Vielfalt züchten“. Hat sich durch die Züchtung die Vielfalt auf unseren Feldern nicht eher verringert?

Prof. Dr. Chris-Carolin Schön: Das kommt darauf an, welche Merkmale sie betrachten. Einige Eigenschaften sind unnötig oder sogar hinderlich für die Landwirte. In solchen Fällen ist es die Aufgabe der Züchtung, dafür zu sorgen, dass diese Merkmale im Elitezuchtmaterial nicht mehr vorhanden sind. Hier die Vielfalt zu verringern ist eine positive Auswirkung der Züchtung. Außerdem haben auch viele Konsumenten bestimmte Qualitätsansprüche, ich denke da zum Beispiel an die Form von Obst und Gemüse. Wenn da die Vielfalt nicht mehr so ausgeprägt ist, dann liegt es an den Marktvorgaben.

Pflanzenforschung.de: Weil die Konsumenten wünschen, dass ihr Obst eine einheitliche Form hat, ist die Vielfalt nicht mehr so ausgeprägt?

Prof. Dr. Chris-Carolin Schön: Genau! Wenn wir aber andere Merkmale betrachten, dann haben wir noch sehr viel Variation. Das ist schließlich auch Aufgabe und Geschäft der Züchtung. Wenn wir die Vielfalt nicht erhalten, können wir nicht weiter selektieren.

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Pflanzenzüchter müssen ständig mit neuen, besseren Sorten auf den Markt kommen. Die modernen Züchtungsmethoden beschleunigen den Prozess. Labor- und Feldarbeit wird verzahnt.

Pflanzenzüchter müssen ständig mit neuen, besseren Sorten auf den Markt kommen. Die modernen Züchtungsmethoden beschleunigen den Prozess. Labor- und Feldarbeit wird verzahnt.

Bildquelle: © TU München

Pflanzenforschung.de: Würden Sie sagen, dass heute mehr oder weniger Sorten auf den Feldern stehen als vor 50 Jahren?

Prof. Dr. Chris-Carolin Schön:  Das ist schwer zu verallgemeinern. Man muss auch bedenken, dass die Lebensdauer von Sorten immer kürzer wird, was dazu führen kann, dass die Sortenvielfalt größer wird.

Pflanzenforschung.de: Woran liegt es, dass die Lebensdauer einer Sorte abnimmt?

Prof. Dr. Chris-Carolin Schön: Weil die Zuchtfortschritte immer schneller werden. Es kommen häufiger verbesserte Sorten auf den Markt, die zur Ablösung von anderen sehr erfolgreichen Sorten führen.

Pflanzenforschung.de: Frau Schön, Sie sind die Vizepräsidentin der Gesellschaft für Pflanzenzüchtung (GPZ). Was ist die Aufgabe der GPZ?

Prof. Dr. Chris-Carolin Schön: Wir bieten eine Plattform, auf der sich Wissenschaftler im Bereich der Pflanzenzüchtung und benachbarter Gebiete austauschen können. Außerdem vertreten wir die Pflanzenzüchtung im sozialen Kontext und in der Gesellschaft. Wir sorgen dafür, dass wichtige wissenschaftliche Ergebnisse an die Öffentlichkeit gelangen und nehmen Stellung zu kontroversen Themen. Nicht zuletzt liegt uns natürlich der Nachwuchs am Herzen. Wenn wir weiterhin so wenig wissenschaftlichen Nachwuchs bekommen, dann werden wir uns schwertun, die Herausforderungen der Zukunft zu meistern.

Pflanzenforschung.de: Sind Züchter in der GPZ gar nicht vertreten?

Prof. Dr. Chris-Carolin Schön: Doch natürlich, als fördernde Mitglieder zum Beispiel. Es laufen auch Kooperationsprojekte, denn schließlich wollen wir die Ergebnisse aus der Wissenschaft in die praktische Züchtung übertragen.

Pflanzenforschung.de: Haben denn Pflanzenzüchter in der Vergangenheit Fehler begangen?

Prof. Dr. Chris-Carolin Schön: Es wäre anmaßend zu sagen, dass die Pflanzenzüchtung während ihrer ganzen Existenz fehlerfrei gearbeitet hat. Aber ich sehe keine Tendenzen, deren Richtung völlig fehlgeleitet war. Es gibt natürlich immer wieder Themen, die kontrovers diskutiert werden. Auch innerhalb der GPZ gibt es viele verschiedene Meinungen, aber genau dafür gibt es den wissenschaftlichen Diskurs.

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Im Labor wird die DNA der Pflanzen isoliert und untersucht. Ein besseres Verständnis vom Aufbau des Genoms ist wichtig um die richtigen Eltern für erfolgreiche Kreuzungen zu finden.

Im Labor wird die DNA der Pflanzen isoliert und untersucht. Ein besseres Verständnis vom Aufbau des Genoms ist wichtig um die richtigen Eltern für erfolgreiche Kreuzungen zu finden.

Bildquelle: © TU München

Pflanzenforschung.de: Wie lange dauert es heutzutage ungefähr, bis eine neue Sorte auf den Markt kommt?

Prof. Dr. Chris-Carolin Schön: Das hängt ganz von der Komplexität des Merkmals und der Art ab. Mais zum Beispiel lässt viele Generationen in einem Jahr zu, da können Sie, wenn Sie sehr schnell sind, schon nach acht Jahren mit Ergebnissen rechnen. Bei Wintergetreiden dauert es sehr viel länger und bei mehrjährigen Arten, wie Wein, kann es auch 20 oder 25 Jahre dauern.

Pflanzenforschung.de: Das ist ganz schön lange. Was ist denn der limitierende Faktor?

Prof. Dr. Chris-Carolin Schön: Die Phänotypisierung, also die Evaluation der neuen Genotypen im Feld, ist der riesige limitierende Faktor. Sie können nur eine Generation pro Jahr im Feld begutachten und wenn ihnen dann noch ein untypisches Jahr dazwischen kommt, können sie gar nicht selektieren. 

Pflanzenforschung.de: Wenn sie zum Beispiel auf Trockenresistenz selektieren wollen und es regnet das ganze Frühjahr?

Prof. Dr. Chris-Carolin Schön: Zum Beispiel! Oder wenn sie eine Krankheitsresistenz testen wollen, aber die Krankheit tritt in dem Jahr gar nicht auf und sie haben kein künstliches Infektionssystem. Das kann ganz schön langwierig werden. Da helfen uns jetzt die neuen Methoden, mit denen man versucht, bereits auf der Genomebene zu selektieren.

Pflanzenforschung.de: Wie wichtig sind Ihrer Meinung nach die Wildpflanzen, also die Vorfahren der heutigen Kulturpflanzen, für die Pflanzenzüchter?

Prof. Dr. Chris-Carolin Schön: Ich denke, dass die Wildpflanzen nicht von so großer Bedeutung sind wie die Landrassen. Die Landrassen sind den Kulturpflanzen sehr ähnlich, aber noch nicht züchterisch bearbeitet. In meiner Forschung nutze ich Roggenpopulationen aus Osteuropa oder Mais aus Südamerika um die hiesigen Sorten mit neuen Merkmalen zu bereichern. Das ist aber relativ kompliziert, da diese Populationen ganz andere Ansprüche an Temperatur und Tageslänge haben.

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Prof. Dr. Chris-Carolin Schön

Prof. Dr. Chris-Carolin Schön

Bildquelle: © TU München

Pflanzenforschung.de: Denken Sie, dass die Hochleistungssorten von zum Beispiel Mais und Weizen, an denen schon so lange gearbeitet wird, überhaupt noch Potential für Ertragssteigerungen haben?

Prof. Dr. Chris-Carolin Schön: Wir haben noch immer wahnsinnig viel Potential, unsere Kulturpflanzen zu verbessern. Die geringe Ertragssteigerung beim Weizen in den letzten Jahren hat andere Ursachen. Zum einen ist der Anbau nicht mehr so intensiv, zum anderen hat man sich auch auf andere Merkmale konzentriert, zum Beispiel eine Resistenz gegen Fusarium-Pilze. Aber es ist unmöglich, parallel bei allen Merkmalen Fortschritte zu erzielen. Eine Resistenz kostet zunächst Ertrag. Das heißt nicht, dass die unglaubliche Vielfalt bereits erschöpft ist.

Pflanzenforschung.de: Aber die Weltbevölkerung wächst, wir werden immer mehr und immer hungriger. Die Erträge in der Landwirtschaft müssten schneller steigen, als sie es gerade tun. Steuern wir auf die große Hungersnot zu oder können wir die noch abwenden?

Prof. Dr. Chris-Carolin Schön: Es gibt unterschiedliche Prognosen darüber, wie stark die Weltbevölkerung wachsen wird und die Züchtung macht ja weiterhin Fortschritte. Aber natürlich gehen auch die Vorhersagen darüber auseinander, ob wir tatsächlich den Bedarf an Nahrungsmitteln decken können oder nicht. Die große Hungersnot sehe ich jedoch nicht. Der Zuchtfortschritt ist da, das Bevölkerungswachstum scheint nicht ganz so dramatisch zu sein, wie es in einigen Szenarien dargestellt wird und vieles ist nach wie vor ein Verteilungsproblem. Wir sollten uns keine Sorgen machen, aber wir sollten alles dafür tun, die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage zu schließen.

Pflanzenforschung.de: Werden wir denn in Zukunft neben den Feldern noch genug Platz haben die Biodiversität zu erhalten?

Prof. Dr. Chris-Carolin Schön: Schon jetzt werden doch Flächen, die nicht mehr in der Produktion sind, für diesen Zweck zur Verfügung gestellt. Außerdem gibt es neben der Landwirtschaft noch Städtebau, Straßenbau und viele andere Faktoren, die unsere Flächen einschränken. Doch im Moment sehe ich hier keinen Mangel an Biodiversität.

Pflanzenforschung.de: Frau Schön, wo liegen Ihrer Meinung nach die Grenzen der Pflanzenzüchtung? Gibt es etwas, was für immer Utopie bleiben wird?

Prof. Dr. Chris-Carolin Schön: Das ist schwer vorhersehbar. Wir hätten vor 20 Jahren auch nicht sagen können, dass wir heute ganze Genome sequenzieren können. Ich bin da sehr verhalten und möchte nicht sagen, dass irgendetwas Utopie bleibt. Synthetische Biologie ist vielleicht so ein Thema, wo man nachdenken muss, ob das realistisch ist. Ich weiß nicht, ob wir irgendwann an den Punkt kommen, wo wir unsere Genome optimieren und Pflanzen nach Maß bauen können. Aber das Thema steht im Raum und wenn die Technik einmal so weit ist, dann kann das natürlich auch maßgeblich zur Ernährungssicherung beitragen.

Pflanzenforschung.de: Dann können wir Pflanzen züchten, die unten Kartoffelknollen haben und oben Maiskolben?

Prof. Dr. Chris-Carolin Schön: lacht. Warum nicht? Aus heutiger Sicht klingt das utopisch, aber wir wissen nicht, wo es hingeht.

Pflanzenforschung.de: Vielen Dank für das Gespräch!


Titelbild: Sind unsere Hochleistungssorten durch Zucht überhaupt noch optimierbar? (Quelle: © TU München)

Weiterführende Informationen:
Prof. Dr. Chris-Carolin Schön koordiniert den Projektverbund „BayKlimaFit - Strategien zur Anpassung von Kulturpflanzen an den Klimawandel“. Mehr dazu unter: www.bayklimafit.de und im Video: BayKlimaFit.