Pflanzen zittern nicht

Wie sich Pflanzen dennoch vor Kälte schützen

24.02.2021 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Für Pflanzen ist die Anpassung an niedrige Temperaturen grundlegend für das Überleben. (Bildquelle: © Manfred Richter/ Pixabay)

Für Pflanzen ist die Anpassung an niedrige Temperaturen grundlegend für das Überleben. (Bildquelle: © Manfred Richter/ Pixabay)

Moose und Blütenpflanzen haben unabhängig voneinander einen Weg gefunden, um kalten Temperaturen zu trotzen. Wie sich herausstellt, haben beide ein Enzym mit gleicher Funktion: Es verändert Teile der Zellmembranen, damit sie auch bei Kälte „flüssig“ bleiben. Doch die Enzyme haben einen unterschiedlichen evolutionären Ursprung.

Als Pflanzen vor mehr als 500 Millionen Jahren begannen, das Land zu besiedeln, waren sie mit neuen Umweltbedingungen konfrontiert. Insbesondere starke Temperaturunterschiede mussten sie nun verkraften. Aber auch bei niedrigen Temperaturen müssen Stoffwechselvorgänge weitergehen, um zu überleben. Im Gegensatz zu vielen Tieren können sie jedoch keine optimale Temperatur im Innern aktiv aufrechterhalten. Säugetiere können beispielsweise Zittern, um durch Muskelkontraktionen Wärmeenergie freizusetzen und den Körper zu wärmen.

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Das Kleine Blasenmützenmoos ist ein beliebter Modellorganismus für die Erforschung nicht-vaskuläre Pflanzen. Kürzlich hat sich der Name von Physcomitrella patens in Physcomitrium patens geändert (siehe: Medina et al., 2019 sowie Rensing, S.A. et al., 2020).

Das Kleine Blasenmützenmoos ist ein beliebter Modellorganismus für die Erforschung nicht-vaskuläre Pflanzen. Kürzlich hat sich der Name von Physcomitrella patens in Physcomitrium patens geändert (siehe: Medina et al., 2019 sowie Rensing, S.A. et al., 2020).

Bildquelle: © HermannSchachner / wikimedia.org / CC0

Auch Pflanzen können gegensteuern

Pflanzen haben einen eigenen Kälteschutzmechanismus entwickelt: Sie sorgen dafür, dass die Fluidität der Zellmembranen so lange wie möglich erhalten bleibt. Wird es zu kalt, verfestigten sich die Membranen, da die darin enthaltenen Lipide relativ unbeweglich werden. Damit kommen wichtige innerpflanzliche Transportprozesse zum Erliegen und die Zellen können ihren Funktionen nicht mehr nachkommen. Ein Zustand, den es so lange wie möglich zu vermeiden gilt.

Von Blütenpflanzen weiß man, dass diese in der Lage sind, gezielt die Lipide in den Zellmembranen zu modifizieren. Sie verändern dabei deren Gehalt an ungesättigten Fettsäuren. Je höher dieser ist, desto länger sind die Membranen bei niedrigen Temperaturen flexibel. Nun hat man diesen Prozess erstmals auch in einem Moos, einer nicht-vaskulären Pflanze, nachgewiesen.

PpSFD steuert den Sättigungsgrad von Membranlipiden

Ein Forschungsteam unter der Leitung von Ralf Reski, Professor am Exzellenzcluster Zentrum für Integrative Biologische Signalstudien (CIBSS) der Universität Freiburg, und Ivo Feussner, Professor am Zentrum für Molekulare Biowissenschaften (GZMB) der Universität Göttingen, haben ein Enzym identifiziert, das für diesen Schutzmechanismus bei Moosen essentiell ist. Als Modellpflanze diente ihnen das Kleine Blasenmützenmoos (Physcomitrium patens).   

Das Enzym ist eine Desaturase und kann den Sättigungsgrad von Sphingolipiden verändern. Diese Lipidgruppe ist ein wichtiger Bestandteil der Zellmembranen, der für ihre Stabilität sorgt und zudem der Zellerkennung und Signalleitung dient. Sie tauften die Desaturase auf PpSFD – die Abkürzung steht für Sphingolipid-Fettsäure-Desaturase. Um ihre Funktionen zu überprüfen, schalteten die ForscherInnen das zugrunde liegende Gen in Moospflanzen aus und setzten diese Mutanten langanhaltend niedrigen Temperaturen aus. Die Versuchspflanzen zeigten im Gegensatz zum Wildtyp deutliche Kälteschäden, in Form von braunen Verfärbungen des Gewebes.

Gleicher Effekt, unterschiedlicher evolutionärer Ursprung

In der Modellpflanze Arabidopsis thaliana übernimmt das Enzym AtADS2 dieselbe Schutzfunktion. Das Team teste daraufhin, ob das Moos-Enzym auch in Blütenpflanzen denselben Effekt hervorrufen kann. Dafür übertrugen sie das Moos-Gen in Arabidopsis thaliana-Mutanten, die AtADS2 nicht bilden konnten. Bei den anschließenden Experimenten zeigte sich, dass der Kälteschutz bei den Arabidopsis-Mutanten wieder hergestellt war. „Wir haben im Moos einen bisher unbekannten Regulator dieser Sphingolipide entdeckt und gezeigt, dass er auch in einer Blütenpflanze funktioniert“, fasst Ralf Reski zusammen. Zwei Enzyme, gleiche Funktion.

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Die Regulation von Sphingolipiden hat sich im Kleinen Blasenmützenmoos und in der Ackerschmalwand evolutionär unabhängig voneinander entwickelt.

Die Regulation von Sphingolipiden hat sich im Kleinen Blasenmützenmoos und in der Ackerschmalwand evolutionär unabhängig voneinander entwickelt.

Bildquelle: © Jan de Vries

Weitere Untersuchungen zeigten, dass beide Enzyme ähnliche Reaktion katalysieren, aber nicht identische. Die Positionen, an denen die Enzyme zusätzliche Doppelbindungen in Fettsäuremoleküle einfügen, sind verschieden. Sie gehören damit unterschiedlichen Gruppen von Desaturasen an. Auch liegen ihnen andere Gene zugrunde. Das bedeutet, die Enzyme haben einen unterschiedlichen evolutionären Ursprung.

„Unsere Arbeiten zeigen, dass Moose und Blütenpflanzen im Laufe der Evolution unterschiedliche Wege beschritten haben, um auf gleichartige Weise die Membranfluidität bei Kälte zu justieren. Es handelt sich hierbei um ein beeindruckendes Beispiel von Konvergenz in der Pflanzenevolution auf molekularer Ebene“, sagt Ivo Feussner. Konvergenz meint in der Evolutionsbiologie eine Parallelevolution von Merkmalen bei unterschiedlichen Arten.

Schutz vor Krankheitserregern

Sphingolipide sind auch wichtige Ansatzpunkte bei der Abwehr von Schädlingen und Krankheitserregern. Bei den Experimenten testete das Team daher auch, wie die Moos-Mutanten auf Oomyceten – in diesem Fall Pythium – reagieren. Zu dieser Pilzgruppe zählen auch Erreger bedeutender Pflanzenkrankheiten wie der „Falsche Mehltau“. Und siehe da, die Pflanzen ohne PpSFD waren deutlich anfälliger gegenüber den Schadpilzen. PpSFD spielt somit nicht nur für den Kälteschutz, sondern auch bei Reaktionen auf andere Stressfaktoren eine wichtige Rolle. Ein neuer spannender Arbeitsbereich für die Pflanzenforschung.


Quellen:

  • Resemann, H.C. et al. (2021): Convergence of sphingolipid desaturation across over 500 million years of plant evolution. In: Nature Plants, (25. Januar 2021), doi: 10.1038/s41477-020-00844-3.
  • Rensing, S.A. et al. (2020): The Moss Physcomitrium (Physcomitrella) patens: A Model Organism for Non-Seed Plants. In: The Plant Cell, Vol. 32: 1361–1376, (Mai 2020), doi: 10.1105/tpc.19.00828.

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Titelbild: Für Pflanzen ist die Anpassung an niedrige Temperaturen grundlegend für das Überleben. (Bildquelle: © Manfred Richter/ Pixabay)