Die Thermometer der Pflanzen

Pflanzen nutzen RNA-Moleküle und Prion-Proteine zur Temperaturmessung

26.08.2020 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Viele wichtige Nahrungspflanzen reagieren überaus sensibel auf steigende Temperaturen. (Bildquelle: © iStock.com/Marccophoto)

Viele wichtige Nahrungspflanzen reagieren überaus sensibel auf steigende Temperaturen. (Bildquelle: © iStock.com/Marccophoto)

Pflanzen im Freiland müssen das Wetter nehmen, wie es kommt. Sie haben daher ausgeklügelte Mechanismen entwickelt, um ihre Umgebung wahrzunehmen und darauf zu reagieren. WissenschaftlerInnen berichten jetzt von zwei neuen Mechanismen, mit denen Pflanzen Temperatur wahrnehmen: RNA-Haarnadeln und Prion-Proteine. Diese Erkenntnisse könnten dabei helfen, Nahrungspflanzen besser an den Klimawandel anzupassen.

Ein warmer Frühling und Sommer kann dazu führen, dass Pflanzen deutlich zeitiger blühen oder die Wuchsform verändern. Die Ackerschmalwand beispielsweise wächst bis zu einer Temperatur von 22 Grad Celsius noch recht kompakt. Ist es nur einige Grad wärmer, setzt ein gesteigertes Längenwachstum von Spross und Blättern ein. Das macht für die Pflanze Sinn, denn so können sich die Pflanzenorgane durch Verdunstung besser abkühlen. 

Bemerkenswerterweise können Pflanzen selbst geringe Temperaturunterschiede von nur 1 Grad Celsius wahrnehmen. Aber es war bisher unklar, wie sie das tun. „Temperatur ist das letzte Umweltsignal, bei dem noch unbekannt ist, wie es genau wahrgenommen wird“, sagt Philip Wigge, Leiter der Abteilung für Pflanzenadaptation am Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau (IGZ).

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Die Weltkarte zeigt eine Prognose über die weltweite Temperaturverteilung zum Ende des 21. Jahrhunderts (2070-2100) im Vergleich zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (1960-1990).

Die Weltkarte zeigt eine Prognose über die weltweite Temperaturverteilung zum Ende des 21. Jahrhunderts (2070-2100) im Vergleich zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (1960-1990).

Bildquelle: © Robert A. Rohde/ wikimedia.org/ CC BY-SA 3.0

Er erklärt auch, weshalb die Suche nach einem Temperaturfühler sich viel schwieriger gestaltet als beispielsweise die Suche nach einem Lichtrezeptor: „Wenn man nach Lichtsensoren sucht, muss man nur schauen, welche Moleküle überhaupt in der Lage sind, Licht einer bestimmten Wellenlänge zu absorbieren. Weil Temperatur aber eine Eigenschaft der Molekülbewegung ist, kann im Prinzip jedes Molekül als Temperatursensor tätig werden.“

Zudem reagieren viele Prozesse in der Pflanze auf eine Temperaturveränderung. Deshalb ist es sehr schwierig herauszufinden, was die erste Antwortreaktion ist, die alle folgenden Veränderungen im pflanzlichen Stoffwechsel auslöst. In zwei Publikationen im Mai und August diesen Jahres haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Philip Wigge zwei neue Mechanismen vorgestellt, mit denen Pflanzen Temperaturunterschiede wahrnehmen: Hairpin-RNAs und Prion-Proteine.

Warme Temperatur, entspannte RNA

In dem Experiment wuchsen Arabidopsis-Pflanzen in einem simulierten Langtag: 16 Stunden lang war es hell. Zudem wurde ein realer Temperaturverlauf an einem warmen Sommertag imitiert. Die ersten 4 Stunden waren es eher kühle 17 Grad, dann stieg die Temperatur bis auf 27 Grad an, um danach wieder auf 17 Grad abzufallen. Die Pflanzen reagierten darauf wie erwartet mit vorzeitiger Blüte sowie einem verstärkten Längenwachstum des Keimstängels (Hypokotyl).

Als nächstes wollten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler herausfinden, welche Gene bei den warmen Temperaturen vermehrt transkribiert und translatiert worden sind. Mit Hilfe von RNA-Sequenzierung und Ribosome-Profiling fanden sie heraus, dass die mRNA für PHYTOCHROME-INTERACTING FACTOR7 (PIF7) übermäßig stark abgelesen wurde und es dadurch zu erhöhten Protein-Leveln kam. Die Transkription hingegen blieb unverändert.

Hairpin verhindert die Translation

Auch den molekularen Mechanismus dahinter konnte das Team um Philip Wigge entschlüsseln: Die mRNA für PIF7 bildet bei kühlen Temperaturen einen sogenannten Hairpin. Dabei lagert sich ein Teil der einzelsträngigen RNA zu einem Doppelstrang zusammen. Bei wärmeren Temperaturen lösen sich diese Bindungen zwischen den Basen, die mRNA entspannt sich und liegt wieder einzelsträngig vor. Dann können Ribosomen besser binden und die Translationseffizienz erhöht sich. Arabidopsis-pif7-Mutanten, bei denen die Ausbildung dieses Hairpins gestört war, reagierten hingegen kaum auf die erhöhte Tagestemperatur.

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Wie Pflanzen Temperaturen messen
Bildstrecke - Pflanzen-Thermometer

Wie Pflanzen Temperaturen messen

Bildquelle: © SimonaR/ pixabay/ CC0

Prionen als Temperaturfühler

In einer zweiten Publikation stellen Wigge und sein Team einen weiteren Mechanismus zur Temperaturwahrnehmung vor. Er funktioniert über eine sogenannte Prion-Domäne (PrD) im Protein ELF3, einem temperaturabhängigen Transkriptions-Repressor. Obwohl Prionen am ehesten für Erkrankungen in Tieren bekannt sind, findet man sie auch in Pflanzen.

Die Prion-Domäne führt dazu, dass die Proteine bei höheren Temperaturen ihre Konformation ändern und damit inaktiv werden. Je länger die Kette von Polyglutamin (polyQ)-Wiederholungen innerhalb der PrD ist, umso sensibler reagieren die Pflanzen auf warme Temperaturen. Bei Arabidopsis heißt das zum Beispiel: Je länger polyQ ist, umso früher blühen die Pflanzen.

Pflanzen aus warmen Klimazonen haben keine nachweisbare Prion-Domäne im Protein ELF3. Dadurch kann ELF3 dieser Arten nicht auf steigende Temperaturen reagieren. Als die Wissenschaftler ein solches ELF3 von Kartoffel (Solanum tuberosum) oder Brachypodium distachyon in Arabidopsis übertrugen, reagierten die Pflanzen nicht mehr mit vorzeitiger Blüte. „Was wir hier an Arabidopsis gezeigt haben, wollen wir als nächstes auch in Nahrungspflanzen demonstrieren und sie hitzeresistenter machen“, sagt Wigge.

Ob RNA-Thermometer oder Prion-Proteine: Wie so oft in biologischen Systemen existieren auch bei der Temperaturwahrnehmung mehrere Signalwege nebeneinander. Bei allen Unterschieden sieht Philip Wigge auch eine Gemeinsamkeit zwischen den beiden Mechanismen. „Das interessante am RNA-Hairpin und dem Prionen-Mechanismus ist, dass sie sich beide relativ einfach entwickeln können“, sagt Philip Wigge. „Transkripte können sehr leicht Hairpins erwerben und Proteine können Prionen rekrutieren, das ermöglicht die schnelle Evolution von Temperatur-responsiven Netzwerken.“

Viele wichtige Nahrungspflanzen wie Reis, Weizen und Tomaten reagieren äußerst sensibel auf steigende Temperaturen. Die neuen Erkenntnisse der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler könnten dabei helfen, neue Sorten zu züchten, die trotz hoher Temperaturen weiterhin gute Erträge liefern.


Quellen:

  • Jung, J.-H. et al. (2020): A prion-like domain in ELF3 functions as a thermosensor in Arabidopsis. In: Nature, (26. August 2020), doi: 10.1038/s41586-020-2644-7.
  • Alberti, S. (2020): The plant response to heat requires phase separation. In: Nature, (26. August 2020), doi: 10.1038/d41586-020-02442-x.
  • Chung, B. et al. (2020): An RNA thermoswitch regulates daytime growth in Arabidopsis. In: Nature Plants, (13. April 2020), doi: 10.1038/s-41477-020-0633-3.
  • Van Gelderen, K. und Pierik, R. (2020): Warm days, relaxed RNA. In: Science, (13. April 2020), doi: 10.1038/s41477-020-0643-1.

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Titelbild: Viele wichtige Nahrungspflanzen reagieren überaus sensibel auf steigende Temperaturen. (Bildquelle: © iStock.com/Marccophoto)