Pflanzliches Thermometer entdeckt
Wie Pflanzen ihre Umgebungstemperatur messen
Nach einem warmen Winter blühen die lang ersehnten Frühlingsblüher wie Tulpen und Narzissen früher als nach einem kalten. Auch die Modellpflanze Arabidopsis thaliana blüht im Labor bei konstanten 23°C viel früher als bei konstanten 18°C. Warum das so ist, konnten Wissenschaftler nun erstmals zeigen.
Pflanzen sind fest an ihren Standort gebunden. Um zu überleben, müssen sie sich an die gegebenen Temperatur-, Licht- und Wasserverhältnisse anpassen. Deshalb haben Pflanzen Strategien entwickelt, möglichst viel über ihre direkte Umwelt zu erfahren, diese Informationen zu speichern und ihre Entwicklung an zukünftig zu erwartenden Wachstumsbedingungen anzupassen.
Tageslänge und Temperatur bestimmen Blühzeitpunkt
Um z. B. den richtigen Zeitpunkt zum Blühen zu finden, sind Pflanzen in der Lage, die Tageslänge mit Hilfe ihrer Blätter zu messen. Das geschieht mit einem Botenstoff in Form eines Proteins, welches das Signal zum Blühen in den Spross weitergibt. Neben der Tageslänge spielt auch die Temperatur eine maßgebliche Rolle bei der pflanzlichen Entwicklung. Bisher war über die pflanzlichen Temperatursensoren nur wenig bekannt.
Lichtrezeptoren messen auch die Temperatur
In einer aktuellen Publikation beschreiben Wissenschaftler zum ersten Mal den zellulären Mechanismus, mit dem Pflanzen ihre Umgebungstemperatur messen. Dieses eingebaute Thermometer hilft Pflanzen, sich im Verlauf der Jahreszeiten zu orientieren und ihre Entwicklung entsprechend anzupassen. Maßgeblich beteiligt an diesem Prozess sind Lichtrezeptoren, die nach Sonnenuntergang ihre Funktion wechseln. Tagsüber sorgen die Phytochrome in ihrem aktiven Zustand dafür, das Wachstum von Pflanzen zu beschränken bzw. zu verlangsamen. Im Laufe des Tages bewirkt das Sonnenlicht, dass die Phytochrome ständig zwischen ihrem aktivem und inaktiven Zustand - oft innerhalb von wenigen Millisekunden – wechseln. Dieser ständige Wechsel gibt den Pflanzen das Signal, kontinuierlich zu wachsen.
Zeitspanne von aktivem zu inaktivem Zustand ist Maß für Temperatur
Bisher nahm man an, dass dies die einzige Aufgabe der Phytochrome ist. Nun konnten Forscherteams in England und Deutschland nachweisen, dass diese Moleküle in der Nacht eine andere Aufgabe übernehmen: In der Dunkelheit werden Phytochrome zu Wärmefühlern. Nach Einbruch der Dunkelheit hören die Phytochrom-Moleküle auf, zwischen aktivem und inaktivem Zustand zu pendeln, und bewegen sich nur noch langsam von ihrem aktiven zum inaktiven Zustand. Wie lange der Wechsel der Phytochrom-Moleküle dabei dauert, ist ein direktes Maß für die Pflanze, in welcher Umgebungstemperatur sie sich befindet. Wissenschaftler sprechen bei diesem Vorgang von der "dunklen Reversion".
Bei Kälte sind Phytochrome länger aktiv
Bei kälteren Temperaturen verläuft der Wechsel in der Nacht langsamer, sodass die Phytochrom-Moleküle länger in ihrem aktiven Zustand verharren und so das Wachstum und die Entwicklung von Pflanzen bei niedrigeren Temperaturen drosseln. Wird es wärmer, steigt das Tempo der Veränderung vom aktiven zum inaktiven Phytochrom-Protein und das Pflanzenwachstum wird stimuliert. Phytochrom Proteine sind sogenannte Master-Regulatoren, die zahlreiche Gene im Genom regulieren. Durch diese zentrale Steuerung ganzer Genkaskaden sind Phytochrome in der Lage, komplexe Vorgänge, die mit dem Wachstum und der Entwicklung von Pflanzen einhergehen, zu steuern.
Pflanzliches Thermometer wird mit Leuchtkäferprotein sichtbar
Um das pflanzeneigene Thermometer sichtbar zu machen und so die verantwortlichen Gene zu erkennen, bedienten sich die Wissenschaftler eines Tricks. Mithilfe des Leuchtkäferproteins Luciferase gelang es ihnen, das individuelle Temperaturempfinden der Pflanzen sichtbar machen. An der Stärke des Leuchtsignals konnten sie erkennen, für wie warm oder kalt es die Pflanzen hielten.
Anhand von Spezialaufnahmen verglichen sie anschließend unveränderte Pflanzen, sogenannte Wildtypen, mit mutierten Arabidopsis-Keimlingen. Durch das "Leuchtthermometer" konnten die Forscher die mutierten Keimlinge finden, die in der Lage waren, noch bei Temperaturen zu wachsen, bei denen die Wildtypen keine Wachstumsimpulse mehr erhielten.
Auf diese Weise konnten sie jene Mutanten isolieren, die ihre Umgebungstemperatur für wärmer oder kälter hielten als tatsächlich, und die dafür verantwortlichen Gene isolieren. Je nach Art der Mutation können die Wissenschaftler nun daraus Rückschlüsse über die Regulation des Wärmeempfindens der Pflanze ziehen.
Hitzeunempfindlichere Pflanzen züchten
Schon seit einigen Jahren weisen Forscher darauf hin, dass nicht nur Trockenheit z. B. im Zuge des fortschreitenden Klimawandels ein Risiko für die Ernährungssicherung oder komplexe Ökosysteme darstellt. Steigende Durchschnittstemperaturen sind ein noch größeres Risiko. Gelingt es nicht, die Erderwärmung unter einem kritischen Wert zu halten, bedeutet dies starke Veränderungen für die Landwirtschaft und Umwelt. Einige Vertreter unserer wichtigsten Nahrungspflanzen, wie z. B. Weizen (Triticum aestivum) oder Reis (Oryza sativa), gelten zudem als besonders hitzeempfindlich.
Neben der Grundlagenforschung ist dieser Sensor daher auch von Relevanz für die Pflanzenzucht. Mit dem neuen Wissen über die molekularen Mechanismen der pflanzlichen Temperaturerfassung und -reaktion ist somit die Grundlage geschaffen, neue Sorten zu züchten, die auch gegen zunehmende Hitze gewappnet wären.
Quelle:
Jung, J.-H. et al. (2016): Phytochromes function as thermosensors in Arabidopsis. In: Science (First Release), (27. Oktober 2016), doi: 10.1126/science.aaf6005.
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Titelbild:Temperaturschwankungen und -stürze machen im Herbst nicht nur uns Menschen zu schaffen, sondern auch Pflanzen. Doch wie nehmen sie diese überhaupt war? (Bildquelle: © cocoparisienne/ pixabay/ CC0)