Regen macht Chilis scharf – und anfällig
Das Schärfemolekül Capsaicin belegt beispielhaft, wie Umweltbedingungen ein Wechselspiel zwischen wichtigen Eigenschaften evolutionär bedingen können, anstatt zugunsten eines der beiden Merkmale zu selektieren.
Nicht jede Chilischote ist scharf. Die Ursache dafür ist ein bislang wenig erforschtes Prinzip der natürlichen Selektion, wie Forscher jetzt in „Proceedings of the Royal Society B“ berichten: Manchmal ist es unmöglich oder unökonomisch, zwei erstrebenswerte Eigenschaften parallel zu entwickeln. Es kann sich jedoch ein Kompromiss (Trade-off) zwischen den Ausprägungen zweier Merkmale herausbilden, der hoch funktional ist – wie im Fall der Chilipflanze hinsichtlich Pilzresistenz und Dürretoleranz.
Die Schärfe von Chilis beruht auf Capsaicin. Dessen Konzentration schwankt jedoch stark innerhalb natürlicher Populationen von Chilipflanzen – was zunächst erstaunlich scheint, da dieses Molekül für die Pflanzen ein wichtiger Abwehrmechanismus gegen Pilzinfektionen darstellt. Andererseits ist das Infektionsrisiko in niederschlagsarmen Gebieten geringer, da Fusarien dort weniger verbreitet sind. Eine Mutation zugunsten einer geringeren Capsaicinproduktion wäre hier plausibel, wenn eine hohe Capsaicinproduktion mit evolutionären Kosten verbunden wäre.
Die Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass eine hohe Capsaicinproduktion in feuchten Regionen keinen Fitnessnachteil hat: Die Pflanzen produzieren genauso viel Samen wie Chilipflanzen, die weniger Energie auf Capsaicin verwenden. Es werden sogar weniger Früchte von Nagetieren gefressen, ohne dass der Verzehr durch Vögel – welche die Samen verbreiten – leidet. Dass Chilipflanzen in trockenen Gebieten weniger Capsaicin produzieren, muss somit eine andere Ursache haben.
Die Erklärung fanden die Forscher im Wasserstoffwechsel: Bei Wassermangel bilden Chilipflanzen mit hohem Capsaicingehalt nur halb so viele Samen. Zusätzlich besitzen ihre Blätter 40 Prozent mehr Spaltöffnungen (Stomata) – die Verdunstung steigt, und mit ihr der Trockenstress. Offenbar, so das Fazit der Forscher, sind die Prozesse zur Bildung von Capsaicin und zur Entstehung von Spaltöffnungen genetisch gekoppelt.
Für die Pflanzen ist diese Situation ideal: Mit gleichem Energieaufwand schützen sie sich in feuchten Regionen durch eine starke Capsaicinproduktion vor Pilzbefall oder sie fahren in trockenen Regionen die Capsaicinproduktion herunter und investieren in ihre Dürretoleranz. Damit belegt die Studie, dass regional unterschiedliche Umweltbedingungen nicht zwangsläufig einzelne Merkmale – gegebenenfalls auf Kosten anderer – evolutionär verändern, sondern dass sich die natürliche Selektion am gesamten Organismus orientiert und so ein Wechselspiel zwischen zwei konkurrierenden Merkmalen ermöglichen kann.
Quelle:
Haak et al. (2011). Why are not all chilies hot? A trade-off limits pungency. RSPB, DOI: 10.1098/rspb.2011.2091.
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Titelbild: Capsaicin verleiht der Chili ihre Schärfe (Quelle: © Joujou / www.pixelio.de)