Rohstoffe aus dem Wasser

01.12.2010 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Algen - ein vielseitiger Rohstoff. (Quelle: © iStockphoto.com/ Natalia Lisovskaya)

Algen - ein vielseitiger Rohstoff. (Quelle: © iStockphoto.com/ Natalia Lisovskaya)

Algen sind einfach und schnell zu vermehrende pflanzenartige Produktionssysteme. Forscher arbeiten deshalb daran, sie noch besser und vielseitiger nutzbar zu machen.

Sie sind eine Pest, kann man jedes Jahr wieder lesen, wenn sie in Teppichen Seen oder Meere bedecken: Die Rede ist von Algen. Sie können Ökosysteme zerstören und verjagen Touristen. Doch kontrolliert gezüchtet können sie auch wertvolle erneuerbare Rohstoffe sein – und sogar welche produzieren.

Was genau aber sind Algen eigentlich? Algen leben im Salz- und im Süßwasser, auf tropischen Waldböden ebenso wie in der Antarktis. Sie können ein- oder mehrzellig sein, einzeln leben oder wie der Riesentag bis zu 60 Meter lange Vegetationskörper bilden. Sie sind Eukaryoten und damit irgendwie verwandt mit Pflanzen, Tieren und Pilzen. Rot-, Grün- und Braunalgen gelten als pflanzenähnlich, Blaualgen gehören streng genommen gar nicht dazu: Sie sind Cyanobakterien und damit Prokaryoten. Überhaupt ist die Bezeichnung „Alge“ mehr ein Sammelbegriff als Ausdruck enger Verwandtschaft.

Sushi und Algenwein

80.000 verschiedene Algen kennen Biologen bislang, geschätzte 400.000 Arten soll es geben. Etwa 160 davon nutzt der Mensch, manche davon seit mehr als 4500 Jahren. Seit damals wird Seetang in China verzehrt. Die Tradition breitete sich in der Region auf Japan, Korea und pazifische Inseln aus. Roh als Salat oder gedünstet als Gemüse landen in Ostasien jährlich neun Millionen Tonnen Algen auf dem Teller. Als Teil des Sushi stehen Algen heute weltweit auf der Speisekarte. Eine vor wenigen Jahren in Kiel begonnene kulinarische Entwicklung ist der „Algenwein“. Er entsteht durch die Fermentation bestimmter Braunalgen und schmeckt ähnlich wie Sherry.

Problematisch hingegen sind die grünen Spanalgen, auch als AFA-Algen bekannt. Sie zählen zu den Cyanobakterien und werden als Nahrungsergänzung vertrieben. Der von Anbietern angeführte gesundheitsfördernde Effekt ist wissenschaftlich jedoch nicht belegt. Vielmehr warnte vor einigen Jahren das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte vor AFA-Algen, weil sie neben einem bedenklich hohen Jodgehalt auch nerven- und leberschädigende Gifte enthalten, deren tolerierbare Menge schon bei zwei Gramm Algen am Tag überschritten wird.

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In Ostasien landen jährlich neun Millionen Tonnen Algen auf dem Teller.

In Ostasien landen jährlich neun Millionen Tonnen Algen auf dem Teller.

Bildquelle: © iStockphoto.com/ Boris Ryzhkov

Biomasse und Biokraftstoffe

Wie viele Kulturpflanzen sind auch die Algen infolge des Klimawandels als Energiequelle entdeckt worden. In Biomassekraftwerken können sie thermisch verwertet werden. Unter optimalen Wachstumsbedingungen könnten Mikroalgenkulturen zehn bis 25 Mal mehr Sonnenenergie speichern als Landpflanzen. Bis zu zehn Prozent der eingestrahlten Sonnenenergie wandeln sie in Biomasse um.

Ähnlich interessant ist es, Biokraftstoffe aus Algen zu gewinnen. Manche Algen eigenen sich als Rohstoff für Biodiesel: Ihr lichtgetriebener Stoffwechsel produziert neben Zucker und Stärke auch Öl, das als Vorrat für magere Zeiten dient. Lässt man die Einzeller hungern, wandeln einige Arten bis zu 77 Prozent ihrer Biomasse in eine Ölreserve um. Außerdem lassen Algen sich zu Biogas vergären. Obendrein sind sie aufgrund der Photosynthese dankbare Abnehmer klimaschädlichen Kohlendioxids. Ein Pilotprojekt in Hamburg nutzt das bereits: Neben einem Gaskraftwerk hat das Unternehmen E.on auf der Fläche eines Fußballfelds Algenproduktionsanlagen aufgestellt, die das Kraftwerk mit Kohlendioxid versorgen.

Wasserstoff aus Grünalgen

Die Zukunft der energetischen Nutzung von Algen dürften ein Verfahren bilden, das der deutschstämmige Biochemiker Hans Gaffron bereits 1939 entwickelt hat: Er erzeugte mithilfe von Grünalgen Wasserstoff, den Treibstoff der Brennstoffzelle. Während Gaffron den Algen zu diesem Zweck Stickstoff vorenthalten musste, entdeckten Forscher in den 1990er Jahren, dass auch die Abwesenheit von Schwefel die Grünalge dazu bringt, anstelle von Sauerstoff Wasserstoff zu bilden. Das dafür verantwortliche Enzym Hydrogenase verliert seine Funktion in der Gegenwart von Sauerstoff. In Abwesenheit von Schwefel ist dessen Transport in den Zellen gestört, die Hydrogenase kann Wasserstoff produzieren.

2006 veränderten Olaf Kruse und Ben Hankamer von den Universitäten Bielefeld und Queensland die einzellige grüne Alge Chlamydomonas reinhardtii genetisch so, dass sie größere Mengen Wasserstoff erzeugt. Gemessen an der Photosyntheseleistung lag die Effizienz bei bis zu zwei Prozent – gegenüber 0,1 Prozent im natürlichen System. Bereits ein Jahr später erzielten sie eine um die Hälfte höhere Ausbeute. Langfristig wollen die Forscher eine Effizienz von zehn Prozent erreichen.

Anastasios Melis von der University of California in Berkeley hat errechnet, dass bereits 25.000 Quadratkilometer Produktionsfläche den Treibstoffbedarf der USA decken könnten. Zum Vergleich: Allein der US-Sojaanbau umfasst eine zehnmal so große Fläche, und die Algenzucht wäre auch auf landwirtschaftlich unattraktiven Flächen möglich – zwölf Monate im Jahr bei vergleichsweise hohen Hektarerträgen.

Effizienz der Bioreaktoren und der Algen noch gering

Doch alle diese Ansätze haben ein Problem: Die Lichtversorgung in den Bioreaktoren ist alles andere als ideal, die Effizienz der Algen als Produktionssystem weit vom Optimum entfernt. Rentabel dürfte Biosprit aus Algen auf absehbare Zeit nicht werden. Neben der energetischen ist deshalb die stoffliche Nutzung von Algen Gegenstand vieler Forschungsprojekte.

Eher trivial ist es, die enthaltenen Mineralstoffe und Spurenelemente für Nahrungsergänzungsmittel zu gewinnen. Stärke, Polysaccharide, Proteine, Fettsäuren finden leicht Anwendung in der Kosmetik, beispielsweise in Form von Gesichtsmasken oder als Farbstoffe. Lohnend wird es jedoch erst bei hochwertigen Produkten: Biopolymere aus Chlorella-Algen zur Schwermetallsanierung, sulfatierte Zucker als antivirale Wirkstoffe, Ergosterol und Hunderte anderer Naturstoffe, die als Kosmetik- und Pharmasubstanzen in Frage kommen, werden derzeit getestet. Die übrig bleibende Biomasse kann man dann immer noch energetisch verwerten.

Zwar gibt es durchaus einige Unternehmen, die mit Produkten aus Algen ihr Geld verdienen, doch um nennenswerte Gewinne abzuwerfen, müssten die heutigen Produktionsanlagen viel größer werden. Wirklich interessant würde es momentan erst an dem Punkt, wo schon fraglich wäre, ob der Markt für die Spezialprodukte überhaupt groß genug ist.

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Algen im Forschungsbioreaktor.

Algen im Forschungsbioreaktor.

Bildquelle: © iStockphoto.com/ Rob Broek

Plastik aus Algen

Großer Bedarf besteht hingegen an Biokunststoffen. Weil bisherige Rohstoffe häufig mit der Nahrungsproduktion konkurrieren, setzen Hersteller vermehrt auf Algen. Gegenwärtig drängen die ersten Kunststoffe auf den Markt, die Polymere aus Algenbestandteilen enthalten. Pionier Cereplast mischt Polypropylen und anderen organischen Komponenten bislang bis zu 50 Prozent getrocknetes Algenpulver bei. Der entstehende Kunststoff zeichnet sich durch gute Stabilität und Hitzetoleranz aus – und riecht dank eines geheimen Tricks nicht mehr nach Fisch. Spätestens 2015 will die Firma einen Kunststoff marktreif haben, der ausschließlich aus Algen besteht. Er soll günstiger sein als konventionelle Alternativen und komplett kompostierbar.

Bedarf an Grundlagenforschung

Wer die Wirtschaftlichkeit und dazu die Effizienz von Algen als Produktionssystemen steigern möchte, muss nicht nur an den Lichtverhältnissen im Bioreaktor arbeiten. Das wichtigste Forschungsfeld sind die Algen selbst. Nur für 27 eukaryotischen Algen liegen Informationen über Teile des Erbguts vor, für 30 prokaryotische Algen sind immerhin die Genome komplett bekannt. Trotzdem fehlt jede Menge Wissen darüber, welche Gene in der Vielfalt der Algenarten existieren, und wie sie mit den relevanten Produkten der Zellen zusammenhängen.

Haben Forscher wichtige Wechselwirkungen identifiziert, stehen sie noch vor einem methodischen Problem: Nur wenige Algen lassen sich gut transformieren. Gene von einer Art in die andere zu übertragen kann so zur Herausforderung werden. Doch das ist meist notwendig, um schnelles Wachstum unter den gegebenen Nährbedingungen und gleichzeitige Produktion der gewünschten Moleküle zu ermöglichen.

Damit die in Algen gesetzten Hoffnungen Wirklichkeit werden können, ist somit noch einiges an grundlegender wie angewandter Forschung erforderlich. Nicht zuletzt zeigte das eine – in Teilen allerdings umstrittene – Untersuchung der University of Virgina im Januar 2010: Darin stellten Forscher fest, dass Algen wegen des hohen Düngerbedarfs bislang beim Energie- und Wasserverbrauch sowie bei der CO2-Bilanz schlechter abschneiden als Getreidepflanzen. Aber die Kulturpflanzen haben ja auch einige Jahrzehnte Zuchtvorsprung.