Unser größter Schatz

Wie schützt man die genetische Vielfalt als digitale Ressource?

18.09.2020 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Vielfalt zum Bestaunen: So unterschiedlich können Tomaten ausehen. (Bildquelle: ©  kaliantye / Fotolia.com)

Vielfalt zum Bestaunen: So unterschiedlich können Tomaten ausehen. (Bildquelle: © kaliantye / Fotolia.com)

Für die Lösung globaler Probleme muss global zusammen gearbeitet werden. Besonders die digitale Erfassung der genetischen Vielfalt von Wild- und Kulturpflanzen kann dazu beitragen, dass auch in Zukunft unsere Kulturpflanzen an die sich wandelnden Umweltbedingungen angepasst werden können. Aber es gibt auch Bedenken beim Umgang mit diesen Daten.

Klimawandel und Ernährungssicherheit sind zwei der größten Probleme, denen sich die Welt aktuell stellen muss. Wie können Züchter schnell genug klimaangepasste Nutzpflanzen entwickeln? Neue Züchtungsmethoden wie Genomeditierung sind für viele Fachleute dafür ein entscheidendes Instrument.

Für alle Züchtungsansätze ist aber entscheidend, dass die vorhandene genetische Diversität bzw. Biodiversität bewahrt und digital erfasst wird. Nur so können die vielfältigen Eigenschaften z. B. von Wildpflanzen und alten Landrassen für die Herstellung moderner und klimaangepasster Sorten genutzt werden.

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Durch Pflanzenzüchtung wurden unsere Kulturpflanzen langsam zu dem, was wir heute kennen und essen.

Durch Pflanzenzüchtung wurden unsere Kulturpflanzen langsam zu dem, was wir heute kennen und essen.

Bildquelle: © Mylene2401 / Pixabay / CC0

Daher sollen die genetischen Daten möglichst vieler Pflanzen in globalen Datenbanken Wissenschaft und Züchtung frei zur Verfügung stehen. Allerdings ist ein freier Zugang zu diesen Informationen aufgrund internationaler Abkommen und Verträge zum Schutz traditionellen Wissens und geistigen Eigentums nicht ganz unproblematisch. Ein internationales Forscherteam hat jetzt ein Positionspapier zu dieser Debatte veröffentlicht.

Was ist eigentlich Biodiversität?

Der Begriff Biodiversität umfasst die Vielfalt aller Tier- und Pflanzenarten auf der Erde. Es geht um Artenvielfalt, aber auch um die genetische Vielfalt innerhalb von Arten. Eine Pflanzenart besitzt neben der genetischen „Standardausstattung“ immer auch spezielle Anpassungen an die Standortbedingungen, unter denen sich ihre lokalen Populationen entwickelt haben. Daher gehört auch die Vielfalt der Ökosysteme zur Biodiversität, denn Arten entwickeln sich zwangsläufig im Wechselspiel mit ihnen.

Der Wert der genetischen Vielfalt

Die noch vorhandene Biodiversität enthält somit eine Fülle von genetischen Lösungsmöglichkeiten, auf die Arten bei Umweltveränderungen zurückgreifen können, um sich anzupassen. Oder die ein Züchter gezielt nutzen kann, um klima-, schädlings- oder krankheitsresistente Pflanzen zu erzeugen. Denn diese Anpassungsfähigkeit ist modernen Kulturpflanzen ein Stück weit schon abhandengekommen. In der industrialisierten Landwirtschaft werden vergleichsweise nur noch wenige Pflanzenarten angebaut. Auch die Genpools dieser Pflanzen haben sich durch den intensiven Züchtungsprozess stark eingeengt. Deren genetische Vielfalt reduzierte sich im Verlauf des zwanzigsten Jahrhunderts um etwa 75 Prozent.

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Moderne Pflanzenzüchtung spielt sich im Labor ab. Dort analysieren die Wissenschaftler das Erbgut der Pflanzen.

Moderne Pflanzenzüchtung spielt sich im Labor ab. Dort analysieren die Wissenschaftler das Erbgut der Pflanzen.

Bildquelle: © iStock.com/Nik Bernadsky

Die Züchter brauchen daher dringend die genetische Vielfalt, die beispielsweise in den wilden Verwandten unserer Nutzpflanzen schlummert. Aber auch alte Kulturpflanzen sind hier sehr gefragt. Kleinbauern weltweit haben einen enormen Anteil an der Erhaltung der Biodiversität. Sie erwirtschaften mit traditionellen Sorten („Landrassen“) bis zu 70 Prozent der globalen Nahrungsmittelproduktion und erhalten dabei gleichzeitig die genetische Variabilität ihrer Pflanzenarten sowie der Begleitflora und -fauna.

Ressourcen vereinen

Viele Forschungseinrichtungen haben den hohen Wert der genetischen Vielfalt erkannt und begonnen, Pflanzenmaterial nicht nur in Genbanken zu konservieren, sondern auch die dazugehörigen Pflanzen- und Sequenzinformationen über Datenbanken zu katalogisieren. Das Problem dabei ist eine fehlende Vernetzung der einzelnen Institute untereinander, so dass die mehr als 1 750 Gendatenbanken mit über 7 Millionen genetischen Ressourcen zwar durchaus die gesuchten Informationen enthalten könnten, aber immer noch ein sehr großer Aufwand für die Recherche notwendig ist.

Digitale Daten und der ITPGRFA

Das Forschungsteam fordert daher in seinem Positionspapier die internationale Forschungsgemeinschaft auf, über verschiedene Techniken und Protokolle die vorhandenen genetischen Ressourcen systematisch zu erfassen und für alle zugänglich zu machen.

Die Informationen sollten insbesondere zum Pre-Breeding eingesetzt werden – ein vorgeschalteter Züchtungsprozess, bei dem interessante Eigenschaften und damit korrelierte Gene in Wildarten und alten Sorten identifiziert und anschließend in Zuchtlinien überführt werden. Diese Linien sind dann Ausgangspunkt für die Züchtung von modernen Hochleistungssorten. Das Pre-Breeding hat somit zum Ziel, die genetische Variabilität im Zuchtgarten wieder zu erhöhen.

Allerdings sind Pre-Breeding-Prozesse relativ zeitaufwändig und für kommerzielle Züchter wirtschaftlich kaum zu stemmen. Das Forschungsteam schlägt daher vor, dass solche für die Allgemeinheit wichtigen Forschungs- und Züchtungsarbeiten stärker durch Stiftungen und öffentliche Projektförderung unterstützt werden sollten.

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Wer sich schon einmal gefragt hat, wie die wilden Verwandten unserer Obst- und Gemüsesorten aussehen, den belohnt ein Blick unser Plantainment: Wilde Verwandte

Wer sich schon einmal gefragt hat, wie die wilden Verwandten unserer Obst- und Gemüsesorten aussehen, den belohnt ein Blick unser Plantainment: Wilde Verwandte

Bildquelle: © Pflanzenforschung.de

Mit neuen Züchtungsmethoden wie Genome Editing lassen sich ebenfalls und sehr gezielt neue Eigenschaften von Wildpflanzen in Kultivare einführen. Bei diesen Methoden wird auch vermieden, dass – wie häufig bei konventionellen Kreuzungen der Fall – unerwünschter Eigenschaften der Genspender-Pflanzen in Kulturpflanzen übergehen. Mit diesen Verfahren könnten darüber hinaus auch vollkommen neue Eigenschaften etabliert werden.

Letztlich müssen die anvisierten öffentlichen Datenbanken im Einklang mit bestehenden Verträgen wie dem Nagoya-Protokoll und dem Internationalen Saatgutvertrag (International Treaty for Plant Genetic Resources in Food and Agriculture, ITPGRFA) stehen. Letzterer regelt unter anderem, dass einheimische Landwirte für die Verwendung ihrer auf traditionellem Wissen basierten Züchtungen angemessen entschädigt werden (Access and Benefit Sharing, ABS). Aus Sicht der Forscher wird der freie Zugang zu genetischen Daten durch solche Verträge aber auch behindert.

Großes Konfliktpotenzial

Die genetische Vielfalt der Pflanzen ist der größte Schatz der Menschheit, schließlich hängt von ihm letztendlich unser Überleben ab. Das bringt natürlich auch Probleme mit sich. Das Positionspapier deutet an, wo der größte Konflikt lauert: Wenn der Zugang zu den genetischen Ressourcen und deren Patentierung größtenteils über frei verfügbare digitale Daten erfolgt und nicht über das Pflanzenmaterial selbst, könnten die Vergütungsprinzipien von Verträgen wie dem ITPGRFA unterlaufen werden. Die Forscher betonen jedoch, dass ein freier Zugang zu genetischen Informationen sehr wichtig und ein entscheidender Baustein zur Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals) sei. Ein klassischer Zielkonflikt, der dafür sorgen wird, dass die Diskussion um einwandfreie Lösungsansätze noch etwas andauern wird.