Wie überleben Pflanzen bei Überschwemmungen?

Neue Einblicke in die Proteinfaltung bei Sauerstoffmangel

05.08.2022 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Bei Überschwemmungen sind die Wurzeln der Pflanzen von der Sauerstoffzufuhr abgeschnitten. Trotzdem gelingt es ihnen für einige Zeit, weiterhin Proteine korrekt zu falten. (Bildquelle: © Ajay Khadka/Pixabay)

Bei Überschwemmungen sind die Wurzeln der Pflanzen von der Sauerstoffzufuhr abgeschnitten. Trotzdem gelingt es ihnen für einige Zeit, weiterhin Proteine korrekt zu falten. (Bildquelle: © Ajay Khadka/Pixabay)

Proteine bestehen aus langen Ketten von Aminosäuren. Sie sind jedoch nur funktionsfähig, wenn sie korrekt gefaltet vorliegen. Die dreidimensionale Form wird u.a. mit Hilfe von Schwefelwasserstoffbrücken zwischen den Aminosäuren stabilisiert. Dafür müssen Elektronen aus dem Protein entfernt und an Sauerstoffmoleküle übertragen werden. Jetzt liegen erstmals neue Erkenntnisse über den genaueren Ablauf dieses Prozesses vor. Das ist wichtig, weil aufgrund des Klimawandels auch Starkregen und dadurch bedingte Überschwemmungen – die die Pflanzen temporär von Sauerstoff abschneiden – immer häufiger auftreten werden.

Es gibt – grob gesagt – zwei Dinge, die beim Gießen von Pflanzen falsch laufen können. Entweder man vergisst es und gießt viel zu wenig. Dann lassen die Pflanzen bald die Blätter hängen und trocknen aus. Wer das unbedingt vermeiden will, schlägt oft ins andere Extrem um und gießt viel zu viel. Auch das ist schlecht, denn die Überschwemmung im Blumentopf verhindert, dass die Pflanzenwurzeln genügend Sauerstoff bekommen. Die Folge: Gelbe Blätter, die schlaff herunterhängen und schließlich der Tod durch zu viel Wasser. Gut gemeint ist eben nicht immer gut gemacht.

Der Grund dafür, weshalb auch die Pflanzenwurzeln Sauerstoff brauchen, liegt u.a. in der Proteinfaltung begründet. Die Zellproteine – und damit der gesamte Stoffwechsel – funktionieren nämlich nur dann, wenn sie korrekt gefaltet vorliegen. Im Endoplasmatischen Retikulum (ER) wird daher die dreidimensionale Form festgelegt. Dafür werden einzelne Aminosäuren, die über Schwefelwasserstoffgruppen (S-H) verfügen, über sogenannte Disulfidbrücken miteinander verbunden (S-S). Dafür werden Elektronen aus den Aminosäuren herausgezogen, über mehrere Proteine weitergereicht und schließlich an Sauerstoffmoleküle übertragen.

Die Elektronen werden über mehrere Schritte an Sauerstoff übertragen

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Arabidopsis-Wildtyp-Pflanzen und ero1 ero2-Mutanten nach vier Tagen Überflutung und einer anschließenden sechstägigen Erholungszeit. Die Doppelmutanten zeigen sehr deutlich erkennbare Schäden.

Arabidopsis-Wildtyp-Pflanzen und ero1 ero2-Mutanten nach vier Tagen Überflutung und einer anschließenden sechstägigen Erholungszeit. Die Doppelmutanten zeigen sehr deutlich erkennbare Schäden.

Bildquelle: © José Ugalde/Uni Bonn

„Im Prinzip sind diese Vorgänge mechanistisch verstanden“, sagt Andreas Meyer, Professor am Institut für Nutzpflanzenwissenschaft und Ressourcenschutz (INRES) der Universität Bonn. Doch die Details waren bisher noch unklar. Besonders trieb ihn die Frage um, mit welcher Zugkraft genau die einzelnen Proteine die Elektronen aus den Proteinen herauslösen. Fachleute sprechen hierbei vom Redoxpotential, dass in Volt gemessen wird.

Meyer und sein Team haben nun eine Methode entwickelt, mit der sie das Redoxpotential eines der beteiligten Moleküle in der lebenden Zelle messen können. Sie nutzen dafür ein fluoreszierendes Sensorprotein, dessen Lichtintensität abhängig ist vom Redoxpotential des gemessenen Moleküls. Besonders interessiert hat sie das Redoxpotential der ER-Oxidoreduktine (EROs). Diese Proteine sind das letzte Glied der Kette und übertragen die Elektronen anschließend auf Sauerstoff.

Gibt es noch einen weiteren Mechanismus?

Die Modellpflanze Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) verfügt über zwei ER-Oxidoreduktine: Ero1 und Ero2. Die Wissenschaftler maßen zunächst deren Redoxpotential. Die überraschende Erkenntnis: Beide liegen unter den Werten, die man bislang angenommen hatten. „Die ganze Kette ist daher vermutlich anders kalibriert“, sagt Meyer. Anschließend veränderte sein Team die Pflanzen so, dass das Gen ero1 inaktiviert ist und ero2 nur noch sehr schwach arbeiten kann. Diese ero1-ero2-Doppelmutante reagierte wesentlich empfindlicher auf Sauerstoffmangel und andere Arten von reduktivem Stress.

„Dennoch funktioniert die Proteinfaltung auch unter diesen Bedingungen noch, zumindest teilweise“, erklärt Meyer. „Wir vermuten daher, dass es in Arabidopsis noch einen zweiten Mechanismus gibt, der die Oxidation der SH-Rest in Proteinen im ER bewerkstelligt.“

Welcher das genau ist, soll in weiteren Experimenten untersucht werden. Langfristig könnten ihre Ergebnisse daher möglicherweise zur Entwicklung von Pflanzensorten beitragen, die mit einem kurzzeitigen Sauerstoffmangel besser zurechtkommen. Da durch den Klimawandel nicht nur Dürren zunehmen, sondern auch Überschwemmungen, dürfte die Nachfrage danach in Zukunft deutlich steigen. Für Balkon- und Zimmerpflanzen gilt indes weiterhin: Nicht nur zu wenig Wasser ist tödlich, auch zu viel des Guten schadet.


Quelle:
Ugalde, J.M. et al. (2022): Endoplasmic reticulum oxidoreductin provides resilience against reductive stress and hypoxic conditions by mediating luminal redox dynamics. In: The Plant Cell, (12. Juli 2022), doi: 10.1093/plcell/koac202.

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Titelbild: Bei Überschwemmungen sind die Wurzeln der Pflanzen von der Sauerstoffzufuhr abgeschnitten. Trotzdem gelingt es ihnen für einige Zeit, weiterhin Proteine korrekt zu falten. (Bildquelle: © Ajay Khadka/Pixabay)