Verlässliche Daten aus 148 Ländern

07.12.2012 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Kann die Erde im Jahr 2050 knapp 9 Milliarden Menschen ernähren und Biomasse für andere Nutzungskonzepte produzieren?(Quelle: © Oliver Mohr / Pixelio.de)

Kann die Erde im Jahr 2050 knapp 9 Milliarden Menschen ernähren und Biomasse für andere Nutzungskonzepte produzieren?(Quelle: © Oliver Mohr / Pixelio.de)

Warum Deutschland und die EU ihre Biomasseproduktion steigern könnten und sollten, erläuterte Prof. Dr. Jürgen Zeddies, einer der Autoren der Studie „Globale Analyse und Abschätzung des Biomasse-Flächennutzungspotentials“ der Universität Hohenheim, der Redaktion von Pflanzenforschung.de.

Pflanzenforschung.de: Was unterscheidet Ihre Studie von anderen?

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Prof. Dr. Jürgen Zeddies spricht über die Biomasse-Potential-Studie der Universität Hohenheim.

Prof. Dr. Jürgen Zeddies spricht über die Biomasse-Potential-Studie der Universität Hohenheim.

Bildquelle: © Prof. Dr. Zeddies

Prof. Dr. Zeddies: Wir haben 148 Länder sehr gründlich analysiert. Unsere Datenbasis beruht überwiegend auf der FAO-Datenbank und auf deutschen Statistiken mit internationaler Verbreitung. Unsere Daten sind sehr umfassend und auch weitgehend vollständig – soweit uns die Daten von den entsprechenden Ländern zur Verfügung stehen.

Im Gegensatz zu anderen Studien konnten wir nahezu alle Einflussfaktoren auf die Freisetzung von Flächenpotenzialen für die Erzeugung von Bioenergie mit einbeziehen. Wir betrachten zunächst den Nahrungsmittelbedarf jedes einzelnen Landes. Dieser hängt im Wesentlichen von der Bevölkerungsentwicklung, dem Pro-Kopf-Verbrauch und den verfügbaren Agrarflächen ab. Wir beziehen auch die Brachflächen mit ein.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen unsere Studie und anderen Studien besteht in dem empirischen Modell, das wir aufstellen. Darin bestimmen wir den Status quo eines jeden Landes und schätzen die Trendentwicklungen ab. Die ökonomischen Modelle, die in anderen Studien oft herangezogen werden, können in einzelnen Faktoren nicht so detailliert sein wie unser Modell.

Pflanzenforschung.de: Zukunftsszenarien sind immer mit Unsicherheiten behaftet. Wie verlässlich schätzen Sie die vorliegenden Daten ein?

Prof. Dr. Zeddies: Unsere Prognosen basieren auf Trendfortschreibungen. Bei Faktoren und Entwicklungen, die das zukünftige Potenzial von nachwachsenden Rohstoffen bestimmen, entscheiden wir bei jedem einzelnen Parameter, ob wir den Trend linear oder in anderer Weise fortschreiben müssen.

Wichtig ist, welche Flächen die Landwirtschaft benötigt, um dem Verbraucher ein bestimmtes Produkt bereit zu stellen. So wirkt sich beispielsweise ein veränderter Fleischkonsum - weg vom Rindfleisch hin zum Geflügelfleisch - senkend auf den Pro-Kopf-Verbrauch aus. Solange es nicht zu extremen Brüchen, wie z.B. der BSE-Krise kommt, gehen wir davon aus, dass sich diese Trends in Zukunft fortsetzen werden. In Deutschland beispielsweise stagniert der Pro-Kopf-Verbrauch und wird sich in Zukunft leicht rückläufig entwickeln, während er in den Schwellenländern ansteigt.

Unsere Daten schätze ich für die nächsten 15 bis 20 Jahre als recht zuverlässig ein. Wir behaupten allerdings nicht, dass die von uns errechneten Ergebnisse für das Jahr 2050 auch exakt so eintreffen werden. Man muss die Entwicklungen weiter beobachten und die Berechnungen bei starken Veränderungen in bestimmten Trends korrigieren.

Pflanzenforschung.de: Wurden derartige Trendprognosen in anderen Studien bisher nicht berücksichtigt?

Prof. Dr. Zeddies: Derartige Berechnungen hat es immer gegeben. Die Gründlichkeit und die Abdeckung von 148 Ländern, kombiniert mit der Fragestellung: Welche Flächen brauchen wir für Ernährung und welche können wir für Naturschutz und stoffliche Nutzung bzw. Bioenergie bereitstellen? - sind meines Wissens neu und bisher einzigartig.

Pflanzenforschung.de: Schafft Deutschland die Energiewende nur über den Ausbau der Biomassenutzung?

Prof. Dr. Zeddies: Kernenergie und Energie aus fossilen Brennstoffen liefern nur etwa 88 % der benötigten Primärenergie. Bei den erneuerbaren Energien leistet die Biomasse einen wesentlichen Anteil. Allein mit Biomasse schafft Deutschland allerdings keine Energiewende, zumindest wenn neben der Atomkraft auch die fossilen Energieträger ersetzt werden sollen. Ein wesentlicher Teil muss aus Wind- und Solarkraft kommen.

Deutschland wird sich auch zunehmend an der Welternährungssicherung beteiligen müssen. Das hat zur Folge, dass nicht alle Flächen, die nicht zur Erzeugung von Lebensmitteln für die inländische Bevölkerung benötigt werden, zur Erzeugung von Biomasse genutzt werden können. Dort müssen auch Lebensmittel für Agrarexporte hergestellt werden.

Dennoch bleiben sowohl in Deutschland als auch in der EU beträchtliche Flächen übrig, um durch die Erzeugung von Biomasse in der Energiewende kräftig mitzuwirken. Voraussetzung dafür sind allerdings stabile und verlässliche politische Voraussetzungen, die Investoren Planungssicherheit bieten.

Pflanzenforschung.de: Sie schreiben in Ihrem Zwischenbericht, dass „ein Verzicht auf die Bioenergieproduktion - in Deutschland und der EU -, oder eine Herabsetzung der Ziele, kein Weg aus dem Dilemma“ sei. Welches Dilemma meinen Sie?

Prof. Dr. Zeddies: Deutschland hat durch ein rückläufiges Bevölkerungswachstum und steigende Erträge ein verhältnismäßig großes Potenzial für Bioenergie. In keinem anderen Land sind diese beiden wichtigen Faktoren zur Erzeugung von Biomasse so günstig.

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Welche Flächen brauchen wir für Ernährung und welche können wir für Naturschutz und stoffliche Nutzung bzw. Bioenergie bereitstellen?

Welche Flächen brauchen wir für Ernährung und welche können wir für Naturschutz und stoffliche Nutzung bzw. Bioenergie bereitstellen?

Bildquelle: © iStockphoto.com/ liveostockimages

Wenn die EU an dem Vorhaben, 10 % aller Kraftstoffe durch Biokraftstoffe zu ersetzen, festhält, wir ihr der Vorwurf der indirekten Landnutzung gemacht. Derzeit drängt die EU auf einen Verzicht der in Deutschland und der EU hergestellten Biokraftstoffe. Die Frage ist, ob dann das Roden von Wäldern und der Umbruch von Grünland aufhören werden. Auf diese Frage haben wir noch keine Lösung gefunden.

Pflanzenforschung.de: Warum kommt die IFPRI-Studie, die von der EU-Kommission in Auftrag gegeben und für deren politische Entscheidungen maßgeblich herangezogen wird, zu einem anderen Ergebnis?

Prof. Dr. Zeddies: Die IFPRI-Studie hat mit einem ökonomischen Modell aufgezeigt, welche Wirkung die Ziele der EU (10 % aller Kraftstoffe durch Biokraftstoffe zu ersetzen) auf die Flächenumwidmung haben werden. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass etwa 2 Mio. ha mehr Wald und Buschland zu Ackerflächen umgewidmet werden, wenn die EU an ihren Zielen festhält.

Wird die inländische Biomasseproduktion nicht gefördert, muss Biomasse importiert werden. Obwohl diese Ware zertifiziert ist, kann nicht sichergestellt werden, dass die Produktion dieser Waren auf Kosten der Lebensmittelproduktion stattfindet. Ich halte die Annahme, dass direkte Landnutzungsänderungen durch den restriktiven Anbau von Biomasse in bestimmten Teilen der Welt unterbunden werden, für zweifelhaft.

Pflanzenforschung.de: Insgesamt wird weltweit immer mehr Biomasse benötigt, um die wachsende Bevölkerung zu ernähren und den steigenden Konsum zu befriedigen. Wer muss eventuell Abstriche machen, wenn mehr Biomasse zur Erzeugung von Bioenergie verwendet werden wird?

Prof. Dr. Zeddies: Unstrittig ist, dass der Anbau von Biomasse zur Erzeugung von Bioenergie die Preise für Nahrungsmittel beeinflusst hat. Die Verlierer dieser Entwicklung sind die Armen, die steigende Nahrungsmittelpreise nicht umgehen können. Diese Menschen, etwa 1 Milliarde, leben oft in den Randgebieten der Mega-Städte und haben keine Möglichkeit, sich Nahrungsmittel alternativ zu beschaffen.

Die Armen, die in ländlicher Umgebung mit guter Infrastruktur leben, könnten allerdings von steigenden Agrarpreisen auch profitieren.
Auf Bioenergie aus Biomasse zu verzichten geht nicht, denn bisher hat noch niemand gesagt, wie man die endlichen fossilen Brennstoffe ansonsten in Zukunft ersetzen könnte. Das funktioniert nur mit erneuerbaren Energien unter Mithilfe der Biomasse.

Mit Hilfe der Bioenergie aus Biomassen können wir einen Teil der gefährlichen Treibhausgasemissionen reduzieren. Davon profitieren wiederum die, die besonders unter dem Klimawandel leiden und leiden werden, nämlich insbesondere Afrika.

Pflanzenforschung.de: Bei der aktuellen Studie handelt es sich um einen Zwischenbericht. Was erwartet den interessierten Leser in der Endfassung der Studie?

Prof. Dr. Zeddies: Wir konzentrieren uns jetzt auf die Frage: Wenn Fläche verfügbar ist, wie kann diese dann möglichst effizient für die Erzeugung von Bioenergie zum Klimaschutz genutzt werden? Wenn Biokraftstoffe kritisch gesehen werden oder auch ausfallen, muss auf den Flächen etwas anderes produziert werden.

Die Biogasproduktion wird momentan in Deutschland stark subventioniert. Wenn das eines Tages eventuell nicht mehr der Fall sein wird, muss man Lösungen finden, die zu niedrigen Kosten den Klimaschutzeffekt erfüllen. Zunächst ermitteln wir die verfügbare Fläche in Deutschland und der EU und prüfen dann, wie diese Fläche optimal genutzt werden kann. Sei es durch den Anbau von Holz, Abfall- und Reststoffen wie Stroh oder von Energiepflanzen. Wir suchen den optimalen und effizienten Mix zur Erzeugung von Bioenergie.

Die Ergebnisse werden wir voraussichtlich in anderthalb Jahren veröffentlichen.

Pflanzenforschung.de: Vielen Dank für das Gespräch!


Zum Weiterlesen:

Zwischenbericht der Studie:
Universtität Hohenheim (2012): Globale Analyse und Abschätzung des Biomasse-Flächennutzungspotentials.

Weiterlesen auf Pflanzenfoschung.de:
Einleitung: Studie „Globale Analyse und Abschätzung des Biomasse-Flächennutzungspotentials“ – ein Zwischenbericht
1: Stand der Biomasseerzeugung in Deutschland
2: Realitätsnahe Zukunfts-Szenarien für 148 Länder
3: Bioenergiepotenziale für 148 Ländern

Titelbild: Kann die Erde im Jahr 2050 knapp 9 Milliarden Menschen ernähren und Biomasse für andere Nutzungskonzepte produzieren?(Quelle: © Oliver Mohr / Pixelio.de)