Booster für die Artbildung

Welche Rolle die Photosynthese bei der Entstehung neuer Arten spielt

21.06.2021 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Nachtkerzen stammen ursprünglich aus Nordamerika, kamen aber im 17. Jahrhundert als Zierpflanzen nach Europa. (Bildquelle: © Tatyana Kazakova / Pixabay)

Nachtkerzen stammen ursprünglich aus Nordamerika, kamen aber im 17. Jahrhundert als Zierpflanzen nach Europa. (Bildquelle: © Tatyana Kazakova / Pixabay)

Nicht nur räumliche Isolation ist ein Treiber für die Bildung neuer Arten, auch die Photosynthese trägt überraschenderweise ihren Teil dazu bei. Das hat ein deutsches Forschungsteam am Beispiel der Nachtkerzen herausgefunden.

Arten bleiben gerne unter sich und das hat auch einen guten Grund. Denn würden sie sich mit anderen Arten frei kreuzen können, würde die neue Kombination der „fremden“ Gene zu einem Chaos im Erbgut und im Stoffwechsel führen. Die Folge: Kaum noch überlebensfähiger Nachwuchs.

Genetische Barrieren sichern Arten

Daher schotten sich die Arten voneinander aber – mithilfe genetischer Fortpflanzungsbarrieren. Man spricht auch von Hybridisierungsbarrieren. Vereinfacht ausgedrückt, kann eine Art nicht die andere befruchten, wenn deren Erbinformationen sich sehr stark unterscheiden. Nur in Einzelfällen – bei sehr nahe verwandten Pflanzenarten – kommt es zu einer erfolgreichen Fortpflanzung bzw. Kreuzung. Diese Nachkommen werden Hybriden genannt.

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Die Nachtkerze wird gern als Modellorganismus für Populationsgenetik genutzt, da Kreuzungen über Artgrenzen hinweg möglich sind.

Die Nachtkerze wird gern als Modellorganismus für Populationsgenetik genutzt, da Kreuzungen über Artgrenzen hinweg möglich sind.

Bildquelle: © DerWeg / Pixabay

Artbildung verstehen

Doch wie entstehen dann überhaupt neue Arten? Ein Modell geht davon aus, dass Populationen innerhalb einer Art, die über längere Zeit voneinander getrennt leben, sich auch langsam genetisch voneinander entfernen. Dafür sind die unterschiedlichen Umweltbedingungen an ihren jeweiligen Standorten verantwortlich, an die sich die Populationen anpassen müssen. Geschieht das über eine längere Zeit, werden die genetischen Unterschiede zwischen den Populationen so groß, dass sie nicht mehr kreuzbar sind: Neue Arten sind entstanden.

Für eine längere oder dauerhafte räumliche Trennung der Populationen können geographische Hindernisse wie Gebirge oder auch eine klimatische Abtrennung verantwortlich sein, wie sie durch Eiszeiten entstehen.

Nun gelang deutschen Forschenden aus Potsdam und Berlin eine wichtige Entdeckung: Bei einem Modellorganismus konnten sie nachweißen, dass auch die Photosynthese bei der Artbildung eine Rolle spielt. Sie haben ihre Ergebnisse im Fachmagazin „Plant Cell“ veröffentlicht.

Modellpflanze gibt Einblicke in die Evolution

Nachtkerzen (Oenothera) sind beliebte Modellorganismen in der Populationsgenetik, da sich unterschiedliche Nachtkerzenarten untereinander kreuzen lassen. Sie dienten auch dem Team um Stephan Greiner vom Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie in Golm als Versuchspflanzen.

Für eine erfolgreiche Kreuzung muss das gesamte Erbgut der Zellen gut miteinander „harmonieren“. Oft kommt es aber zu einer genetischen Inkompatibilität zwischen dem Erbgut im Zellkern und dem aus dem Cytoplasma – denn hier befinden sich Chloroplasten und Mitochondrien mit eigenem Genom. Diese Inkompatibilität gilt als Ursache für Fortpflanzungsbarrieren, die jedoch noch nicht gänzlich verstanden ist.

„Nachtkerzen besitzen drei verschiedene Kerngenome (AA, BB, CC), außerdem haben sich entsprechende Mischungen (AB, AC, BC) herausgebildet. Das Ganze wird kombiniert mit fünf Chloroplastengenomvarianten (I–V). Die Kompatibilität zwischen den verschiedenen 30 möglichen Varianten variiert stark“, erklärt Danijela Kozul, Mitautorin der Studie.

Hybridnachkommen der Nachtkerzen sind allerdings regelmäßig vom Kern- und Chloroplastengenom her inkompatibel, aber trotzdem meist überlebensfähig. Überleben sie, erkennt man sie an gelblichen Blättern. Aufgrund der unterschiedlichen Chloroplasten-Genotypen variiert die Photosyntheseleistung, wenn die Hybriden unterschiedlichen Lichtbedingungen ausgesetzt sind. Arbeiten die Chloroplasten jedoch nicht optimal, können die Nachkommen sich auch nur schwer in der freien Natur behaupten. Denn sie wachsen langsamer und können sich nicht so gut fortpflanzen – ein evolutionärer Nachteil.

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Die Blattfarbe von inkompatiblen Nachtkerzen verändert sich lichtabhängig. Bei schwachem Licht (links) erscheint die Hybride normal. Bei stärkerem Licht (rechts) erleidet sie einen Lichtschaden, der auf eine gestörte Photosynthese zurückzuführen ist.

Die Blattfarbe von inkompatiblen Nachtkerzen verändert sich lichtabhängig. Bei schwachem Licht (links) erscheint die Hybride normal. Bei stärkerem Licht (rechts) erleidet sie einen Lichtschaden, der auf eine gestörte Photosynthese zurückzuführen ist.

Bildquelle: © Zupok et al., 2021

Eine hohe Photosyntheseleistung ist vor allem bei wechselnden Umweltbedingungen wichtig und wird zu einem entscheidenden Selektionsfaktor. Arkadiusz Zupok, Mitautor der Studie erklärt: „Bereits im Pleistozän haben sich die verschiedenen Genomvarianten durch Klimawandel und Eiszeiten gebildet. Nur wenige natürliche Varianten haben sich dabei durchgesetzt, alle anderen Genomkombinationen weisen die Plastom-Genom-Inkompatibilität mit gebleichten Blättern auf.“ Die Photosynthese scheint ein wichtiger Faktor bei der Artbildung zu sein, schlussfolgern die Wissenschaftler:innen.

Warum Licht der Schlüssel ist

Eine inkompatible Hybride, die bei starkem Lichteinfall gelbgrüne Blätter aufweist, hat das Team genauer untersucht. Das Ergebnis: Der Grund für die Inkompatibilität liegt tatsächlich in den Chloroplastengenen versteckt. Genauer gesagt in einer lichtabhängigen Fehlregulation bestimmter Chloroplastengene (des plastidären psbB-Operons), die für die Kernuntereinheiten des Photosystems II und des Cytochrom-b6f-Komplexes kodieren. In der Folge können die Chloroplasten nicht normal funktionieren. Verantwortlich dafür könnten laut Studie bestimmte Proteine sein, sogenannte Sigma-Faktoren. Sie regulieren die Transkription und sollen nun weiter erforscht werden.

Insgesamt verglichen die Forschenden in der Studie 46 Chloroplastengenome von bekannten Nachtkerzenarten. „Sind diese mit dem Zellkern der falschen Nachtkerzenart kombiniert, können sie sich nicht an erhöhtes Licht anpassen. Mit dem richtigen Zellkern jedoch findet eine Anpassung statt, aber selbst hier gibt es Unterschiede. Je nach Chloroplastengenom passt sich eine bestimme Nachtkerze besser oder schlechter an hohes Licht an“, beschreibt Zupok.

Chloroplasten auch für die Züchtung wichtig

„Für die Pflanzenzucht eröffnen sich hier ganz neue Wege“, führt Greiner aus. „Bis jetzt hatte man das Chloroplastengenom in der Pflanzenzucht nicht auf dem Schirm. Es scheint aber Chloroplasten zu geben, die Pflanzen unter bestimmten Umweltbedingungen helfen, besser zu wachsen.“ Auch Sigma-Faktoren könnten neue vielversprechende Stellschrauben sein.


Quelle:
Zupok, A. et al. (2021): A photosynthesis operon in the chloroplast genome drives speciation in evening primroses. In: Plant Cell, (28. Mai 2021), doi: 10.1093/plcell/koab155.

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Nachtkerzen stammen ursprünglich aus Nordamerika, kamen aber im 17. Jahrhundert als Zierpflanzen nach Europa. (Bildquelle: © Tatyana Kazakova / Pixabay)