Von Blumen und Bienen – und Schwärmern und Kolibris
Neu Einblicke in die Evolution der Petunien
Blütenpflanzen passten ihre Blüten im Laufe der Evolution immer wieder an neue Bestäuber an. Insekten, Vögel und Fledermäuse haben somit entscheidend zur enormen Vielfalt von Blütenmerkmalen beigetragen – und somit letztendlich zur Artenbildung. Wie eines dieser durch Bestäuber selektierten Merkmale die Artbildung vorantrieb, zeigten Wissenschaftler am Beispiel der Petunien: Die Speicherung von UV-Licht, und damit die Farbigkeit der Blüten, war offenbar ausschlaggebend für die Bildung zweier neuer Arten.
Eine Blumenwiese ist ein Meer aus Formen und Farben – und Zeugnis der Evolution. Denn die Blütenmerkmale, ob Morphologie, Pigmentierung, Duft oder Nektar, sind optimale Angepasstheiten an unterschiedliche Bestäuber. Die Artenvielfalt der Blütenpflanzen wurde entscheidend durch immer wieder auftretende Wechsel des Bestäubers vorangetrieben: Aufgrund von Mutationen, die zur Ausprägung neuer Blütenmerkmale führten, zogen Pflanzen andere Bestäuber an und passten sich an diesen optimal an. Die damit einhergehenden Veränderungen der Blüten, isolierte die Pflanzen nach und nach von ihren Artgenossen, sodass sich nach vielen Generationen neue Arten bildeten.
Schon lange versuchen Wissenschaftler herauszufinden, welche Merkmale für die Artbildung innerhalb der Blütenpflanzen entscheidend waren und vor allem, welche Gene letztendlich für die Artbildung verantwortlich sind. Kürzlich gelang es anhand von drei Petunia-Arten ein verantwortliches Gen zu identifizieren.
Bestäuber-gesteuerte Selektion
In der Gattung Petunia kommen sehr unterschiedliche Blütenformen vor. Die aus Südamerika stammende Gruppe ist relativ jung und hat – auf evolutionärer Zeitskala kürzlich – eine starke Radiation, also eine Auffächerung, erfahren: Zur Gattung gehören sehr unterschiedliche Arten, die an die Bestäubung durch Bienen, Schwärmer oder Kolibris angepasst sind. Die Gruppe eignet sich daher besonders gut, zu untersuchen, welche Gene für die Artbildung relevant waren, welches phänotypische Merkmal also unter Selektionsdruck stand.
Eine Gattung, drei Bestäuber
Petunia inflata hat kurzröhrige, lila Blüten die UV-Licht reflektieren. Sie wird von Bienen bestäubt. Die langröhrigen Verwandten haben allesamt eine andere Pigmentierung: P. axillaris zum Beispiel ist weiß, absorbiert UV-Licht und produziert nachts Duftstoffe – sie wird vom nachtaktiven Tabakschwärmer Manduca sexta bestäubt. P. exserta ist klein und rot, reflektiert UV-Licht und produziert keine Duftstoffe – ihre Bestäuber sind Kolibris.
Dass Bienen nicht auf die langröhrigen Arten fliegen, leuchtet ein. Wie aber kam es in der Evolution dazu, dass die weiße P. axillaris so optimal an den Tabakschwärmer angepasst ist, und nicht zum Beispiel an den Kolibri? Welches Merkmal veränderte die Petunie zuerst? Antworten könnten Hinweise darauf geben, in welchem Verwandtschaftsverhältnis P. inflata, P. axillaris und P. exserta stehen. Aber natürlich auch angewandte Fragestellungen, wie man z. B. aus einer noch Wildpflanze eine Kulturpflanze entwickeln kann oder wie man Kulturpflanzen weiter verbessern kann. Denn die Bestäuber und deren Leistung sind ein ertragsbildender Einflussfaktor.
Was ist attraktiver: Weniger Anthocyane oder mehr Flavonol?
Unterschiede in der Pigmentierung der Petunien-Arten standen im Fokus der Analysen einer kürzlich veröffentlichten Studie. Lange bekannt ist, dass für die rote, blaue oder violette Färbung Anthocyane verantwortlich sind. Das Gen, das die Anthocyan-Pigmentierung kontrolliert, AN2, ist in P. axillaris mutiert – deshalb sind ihre Blütenblätter weiß und die Art ist somit nicht attraktiv für Bienen. Ebenfalls bekannt ist, dass in Petunien das Pigment Flavonol UV-Strahlen absorbiert. Liegt es in hohen Konzentrationen vor, absorbiert es um so mehr und die Pflanze erscheint unter UV-Licht dunkel.
Um herauszufinden, ob die Absorption von UV-Licht für die Wahl des Tabakschwärmers entscheidend sein könnte, machten die Wissenschaftler ein einfaches Verhaltensexperiment: Tabakschwärmer hatten die Wahl zwischen zwei Variationen der weißen P. axillaris, die sich nur darin unterschieden, dass die eine mehr UV-Licht absorbiert als die andere. In 80 % der Fälle wählten die Schwärmer die Variante, die UV-Strahlen stärker absorbiert.
Die richtige Reihenfolge erlaubt Ansätze zur Rekonstruktion
Was aber ist im Laufe der Evolution zuerst passiert: Der für uns sichtbare Farbwechsel, also die Mutation von AN2, oder die Hochregulation der Flavonol-Produktion? Dass beide Prozesse in einem negativen Zusammenhang stehen, zeigte eine statistische Analyse. Je mehr sichtbares Licht die Blütenpigmente absorbierten, desto weniger UV-Licht nahmen sie auf. Die Kosten-Nutzen-Rechnung der Pflanze macht es offenbar unter bestimmten Umständen lohnenswerter, in das eine statt in das andere Pigment zu investieren. Die Produktion der Pigmente ist eng miteinander verknüpft: Beide werden aus den gleichen Vorprodukten hergestellt. Damit aus den Dihydroflavonolen Flavonole werden und nicht Anthocyane, wird ein anderes Enzym aktiv, das Flavonol-Synthase Enzym.
Die letzte, große Frage war nun noch offen: Welches Gen oder welche Gene kontrollieren die Produktion des Flavonol-Synthase Enzyms? Eine beliebte Methode um herauszufinden, ob eine phänotypische Eigenschaft auf wenige Gene zurückgeht, die jeweils einen großen Effekt haben, oder ob stattdessen viele Gene mit einem kleinen Effekt den Phänotyp formen, ist die Quantitative Trait Locus (QLT) Analyse. Sie grenzte in diesem Fall den verantwortlichen Genort auf das Chromosom 2 ein. Hier identifizierten die Wissenschaftler anschließend, dass ein einziges Gen, FLS, für die Kontrolle des Flavonol-Synthase-Enzyms verantwortlich ist.
Vergleiche der mRNA von FLS in den drei Petunia-Arten zeigten, dass insgesamt zwei Mutationen die Funktionen von FLS entscheidend verändert haben müssen: Ein Promotor des Gens liegt in der weißen Petunie in mutierter Form vor. Diese Mutation scheint dafür verantwortlich, dass FLS in P. axillaris die Produktion von Flavonolen im Gegensatz zur violetten P. inflata hochreguliert. In der roten, Kolibri-bestäubten P. exserta liegt der Promotor in wieder anderer Form vor: Ein Basenpaar fehlt, wodurch sich das Ablesemuster der Gens verschiebt und somit der Promotor inaktiv wird.
Erklärungsmodell
Aus ihren Ergebnissen rekonstruieren die Wissenschaftler die phylogenetische Verwandtschaft der drei Petunien-Arten: Vermutlich haben sich aus der Bienen-bestäubten P. inflata die beiden langröhrigen P. axillaris und P. exserta entwickelt, wobei die Kontrolle der UV-Absorption durch den Promotor MYB-FL das entscheidende Merkmal war, dass zur Anpassung an neue Bestäuber beigetragen hat – P. axillaris absorbiert UV-Licht, P. exserta reflektiert es, aber aufgrund anderer molekularer Voraussetzungen als die entferntere Verwandte P. inflata.
Eine von vielen genetischen Veränderungen, die durch Veränderung der Blüte zur Bildung neuer Pflanzenarten beitrugen, ist mit dieser Studie verstanden worden. Im komplexen Zusammenhang mit anderen Merkmalsänderungen, zum Beispiel der Ausbildung der langen Blütenröhren, sind jedoch weiterhin noch viele Fragen offen.
Quelle:
Sheehan, H. et al. (2016): MYB-FL controls gain and loss of floral UV absorbance, a key trait affecting pollinator preference and reproductive isolation. In: Nature Genetics, 48: 2, (Februar 2016), doi:10.1038/ng.3462.
Zum Weiterlesen:
- Plantainment: „Tierisch gute Freunde“
- Wie entstehen Arten?
- Tabakschwärmer lernen fremdem Blütenduft zu schätzen
- Im Schatten der Biene
Titelbild: Petunien: Zur Gattung gehören sehr unterschiedliche Arten, die an die Bestäubung durch Bienen, Schwärmer oder Kolibris angepasst sind. (Bildquelle: © iStock.com/MattCuda)