Den Teufelskreis durchbrechen

Positive Kipppunkte gegen die Klimakrise

15.12.2023 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Das Abschmelzen des grönländischen Eisschildes kann weitere Kipppunkte auslösen. (Bildquelle: © Aline Dassel / Pixabay)

Das Abschmelzen des grönländischen Eisschildes kann weitere Kipppunkte auslösen. (Bildquelle: © Aline Dassel / Pixabay)

Fünf unumkehrbare Kipppunkte für das Klima könnten zeitnah erreicht werden. Um gegenzusteuern, schlagen Forscher:innen sogenannte positive Kipppunkte vor, die den Klimawandel abschwächen könnten.

Der Klimawandel nimmt bedrohlich an Fahrt auf. Rasante Veränderungen sind überall zu beobachten und werden sich in Zukunft verstärken. Das wird unabsehbare Folgen haben, die Staaten und Gesellschaften überfordern, warnen Forscher:innen. Im „Global Tipping Points Report“, der auf der COP28 in Dubai vorgestellt wurde, befasst sich ein internationales Forschungsteam unter der Leitung des Global Systems Institute der Universität Exeter mit den Auswirkungen eventuell schon in Kürze zusammenbrechender Klimasysteme und möglichen Gegenmaßnahmen.

Was sind globale Kipppunkte?

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Auftauende Permafrostböden sind ein weiterer kritischer Kipppunkt.

Auftauende Permafrostböden sind ein weiterer kritischer Kipppunkt.

Bildquelle: © Ramtog57_Pixabay

Der Begriff „Kipppunkt“ bezieht sich auf bestimmte Elemente des globalen Klimasystems, die einen großen Einfluss auf die weitere Entwicklung haben. Sie reagieren zunächst scheinbar nur langsam auf Klimaveränderungen, bis ein bestimmter Schwellenwert erreicht wird. Dann reicht eine geringe Veränderung (der eigentliche Kipppunkt), um das System in einen neuen, unumkehrbaren Zustand zu versetzen. Und der kann in der Folge weitere unaufhaltsame Veränderungen auslösen. Ein Beispiel für einen Kipppunkt ist das Abschmelzen des grönländischen Eisschilds. Ist das Eis verschwunden, würde es nicht nur zu einem starken Meeresspiegelanstieg in den nächsten Jahrhunderten kommen, sondern auch andere Systeme kippen: Die großen Mengen freiwerdenden Süßwassers könnten die sogenannte thermohaline Zirkulation durcheinander bringen, die ein wichtiger Motor des Golfstroms ist. Ein einziger Kipppunkt kann also weitere Kipppunkte auslösen – eine Dominoeffekt.

Fünf kritische Kipppunkte

Die Wissenschaft kann bis heute nicht genau sagen, wann ein Kipppunkt genau erreicht wird. Aber in ihrem Bericht identifizieren die Forscher:innen fünf Kipppunkte, die sich nach neuesten Berechnungen bereits jetzt – also bei einer globalen durchschnittlichen Erwärmung von 1,2 Grad – höchstwahrscheinlich in einem kritischen Bereich befinden:

  • der grönländische Eisschild
  • die antarktischen Eisschilde
  • die subpolare Wirbelzirkulation im Nordatlantik
  • die Permafrostböden
  • sowie die Warmwasser-Korallenriffe.

Steigt die globale Durchschnittstemperatur über 1,5 Grad, könnten auch die Mangroven, Seegraswiesen und borealen Wälder unwiederbringlich verloren gehen. Die Forscher:innen warnen, dass eine solche Entwicklung die Menschheit in einer bisher nie dagewesenen Weise bedrohen würde. Denn neben dem Verlust von Ökosystemen, der Zunahme von Extremwetterereignissen und der Ausbreitung von Krankheiten werden massive Ernteausfälle zu Hungersnöten führen. Das wiederum wird starke Flüchtlingsbewegungen auslösen, ganze Wirtschaftssysteme zusammenbrechen lassen und die Gefahr von kriegerischen Auseinandersetzungen immens steigern.

Positive Kipppunkte als Rettung

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Dominoeffekte in die andere Richtung: Ein positiver Kippunkt könnte die Dominanz von Elektroautos auf dem Markt sein. Dadurch würden viele positive Folgeeffekte ausgelöst, die die Emission von Treibhausgasen stark reduzieren (Symbolbild).

Dominoeffekte in die andere Richtung: Ein positiver Kippunkt könnte die Dominanz von Elektroautos auf dem Markt sein. Dadurch würden viele positive Folgeeffekte ausgelöst, die die Emission von Treibhausgasen stark reduzieren (Symbolbild).

Bildquelle: © Pflanzenforschung.de

Aktuell gebe es keine angemessene globale Steuerung, um der drohenden Katastrophe durch diese negativen Kipppunkte wirksam etwas entgegenzusetzen. Trotzdem sei noch nicht alles verloren, betonen die Forscher:innen.

Denn sie setzen einige Hoffnung auf positive Kipppunkte, die, wenn sie sich rasch verstärken würden, das Ruder noch herumreißen könnten. Dazu gehören vor allem der in den letzten Jahren stark angestiegene Ausbau der erneuerbaren Energien sowie die zunehmende Elektromobilität. Wäre in naher Zukunft das Elektroauto die vorherrschende Transportform (positiver Kipppunkt), würde das die Kosten für die Batterieherstellung senken. Das könnte weitere Kipppunkte anstoßen: Preiswertere Batterien ermöglichen eine verbesserte Speicherung von Energie, was wiederum andere Technologien weiterbringen würde, zum Beispiel elektrisch betriebene Schiffe oder die Herstellung von Düngern mittels erneuerbarer Energie („Green Ammonia“). Ähnlich des Dominoeffektes bei negativen Kipppunkten könnten positive Kipppunkte eine Kaskade an positiven Effekten anstoßen, so die Forscher:innen. Um in die Nähe solcher positiver Kipppunkte zu kommen, seien jetzt koordinierte und aufeinander abgestimmte Handlungen nötig. Es sei die Aufgabe der Regierungen, die notwendigen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen.

Einzelne Kipppunkte wohl nicht mehr zu verhindern

Es sei sehr wahrscheinlich, dass kritische Kippunkte überschritten werden, die den Klimawandel beschleunigen, auch wenn sofort ein globaler Notfallplan eingeleitet würde. Daher müssten die Gesellschaften widerstandsfähiger gegen die zu erwartenden Klimaschäden gemacht werden, so die Mahnung der Forscher:innen. Sie fordern konkrete Sofortmaßnahmen, um das Schlimmste zu verhindern. Dazu zählen eine sofortige Reduktion der Nutzung fossiler Brennstoffe sowie einen vollständigen Verzicht darauf deutlich vor 2050. Parallel dazu müsse auf globaler Ebene an der Verstärkung der positiven Kipppunkte koordiniert gearbeitet werden. Ein „Weiter so“ darf es nicht mehr geben.