Landwirtschaft in der Klemme

Die Landwirtschaft ist Haupttreiber des Klimawandels und schadet sich damit vor allem selbst

04.07.2023 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Feldrand mit Gräsern: Die Landwirtschaft muss sich ändern, um weiter effektiv sein zu können. (Bildquelle: © FelixMittermeier / Pixabay)

Feldrand mit Gräsern: Die Landwirtschaft muss sich ändern, um weiter effektiv sein zu können. (Bildquelle: © FelixMittermeier / Pixabay)

Ein „weiter so“ geht nicht: Die Landwirtschaft steht nach Meinung eines internationalen Forschungsteams am Scheidepunkt. Sie muss schnellstens klimaneutral werden, damit sie großen Schaden für die Welt, aber auch für sich selbst noch abwenden kann.

Die Landwirtschaft steckt in einem großen Dilemma: Zum einen ist sie einer der Hauptverursacher des Klimawandels, zum anderen aber auch am stärksten vom Klimawandel betroffen. Sie verursachte allein im Jahr 2020 global 7,1 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente (CO2e) bzw. 12 Prozent des globalen Ausstoßes von Treibhausgasen. Und damit nicht genug: Sie ist nicht nur für einen hohen CO2-Ausstoß verantwortlich, sondern 82 Prozent ihrer Treibhausgasfreisetzungen bestehen aus noch viel stärkeren Klimagasen wie Methan (CH4, 28mal höhere Wirkung als CO2) und Distickstoffmonoxid (Lachgas, N2O, 265mal höhere Wirkung als CO2). Eine klimafreundliche Kehrtwende ist also dringend nötig. In einer neuen Übersichtsstudie haben Forscher:innen durchgerechnet, wie die Landwirtschaft nicht nur  CO2-neutral, sondern sogar zu einer  CO2-Senke werden könnte.

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Landwirtschaft der Zukunft: Ackern im Schatten der Solarmodule.

Landwirtschaft der Zukunft: Ackern im Schatten der Solarmodule.

Bildquelle: © Fraunhofer ISE

Energieeinsparungen auf landwirtschaftlichen Betrieben
Etwa 1,03 Gt CO2e pro Jahr (etwa zwei Prozent der globalen Gesamtemissionen) werden in der Landwirtschaft durch fossile Brennstoffe freigesetzt, etwa für den Betrieb technischer Anlagen, Treibstoff für ackerbauliche Maßnahmen, Bewässerung sowie Heizung und Kühlung. Ein Umstieg auf erneuerbare Energien könnte den Fußabdruck der Landwirtschaft in diesem Bereich um 95 Prozent verringern, etwa indem dieselbetriebene Maschinen durch kleinere, leichtere und elektrische Maschinen ersetzt werden. Die benötigte Energie könnte umweltfreundlich durch die Installation von Photovoltaikanlagen über Ackerflächen (Agriphotovoltaik) oder die Nutzung von Windparks gewonnen werden. Auch bei den eingesetzten Methoden kann einiges geändert werden: So könnte bei der Bodenbearbeitung zum Beispiel der Wechsel vom herkömmlichen Pflügen, einer der energieintensivsten Techniken der Landwirtschaft, zum Direktsaatverfahren den Energieverbrauch und etwa die Hälfte senken.

Dünger

Auch die Verwendung von Mineraldüngern verursacht einen Ausstoß von 1,01 Gt CO2e pro Jahr (etwa zwei Prozent der globalen Gesamtemissionen). Der größte Energieaufwand wird hierbei für die Herstellung von Stickstoffdüngern benötigt, vor allem zur Gewinnung von elementarem Wasserstoff während der Produktion. Die dafür verwendete Energie stammt bisher größtenteils aus Erdgas oder Kohle. Auch das Ausbringen des Düngers trägt massiv zum Klimawandel bei: Etwa 60 Prozent des ausgebrachten Stickstoffs gelangt ungenutzt als Lachgas in die Atmosphäre oder wird in Gewässer eingetragen. Neue Technologien wie etwa das Precision Farming und die Nutzung von Inhibitoren, die die Aktivität nitrifizierender Bakterien im Boden unterdrücken, könnten die Lachgasfreisetzung um 70 Prozent reduzieren. Eine Dekarbonisierung bei der Stickstoffproduktion wäre vor allem durch die Nutzung erneuerbarer Energien sowie durch CDR (Carbon Dioxide Removal)-Technologien zu erreichen, betonen die Forscher:innen. Ähnliches gilt für die Produktion von Kaliumsalzen und Phosphaten für sogenannte NPK-Dünger.

Auch organischer Dünger ist für 1,34 Gt CO2 pro Jahr (etwa zwei Prozent der der globalen Treibhausgasfreisetzungen) verantwortlich. In der modernen Landwirtschaft sind Ackerbau und Viehwirtschaft oftmals räumlich getrennt, so dass der Dünger vom Stall zum Acker transportiert und zuvor gelagert werden muss. Dabei entstehen hohe Treibhausgasemissionen durch größere Mengen an Lachgas und Methan, die durch anaerobe Zersetzungsprozesse freigesetzt werden. Eine räumliche Annäherung beider Systeme könnte hier ebenfalls durch kurze Transportwege und Lagerungszeiten Treibhausgase einsparen.

 Pflanzenschutzmittel

Die Produktion von Pflanzenschutzmitteln verbraucht noch mehr Energie pro Kilogramm als Mineraldünger (200 bis 240 MJ pro Kilogramm Insektizide bzw. Herbizide im Gegensatz zu 70 MJ pro Kilogramm Stickstoff), obwohl die resultierenden Treibhausgasemissionen niedriger liegen (34 Mt CO2e pro Jahr im Vergleich von 389 Mt CO2e pro Jahr für die Produktion von Stickstoffdüngern). Aber auch hier könnten CDR-Technologien sowie ökologische Anbausysteme den Fußabdruck verringern. Kontraproduktiv könnte dagegen der Anbau von gentechnisch veränderten, Glyphosat-resistenten Pflanzensorten sein: Konnte bei konventionellen Feldfrüchten nur in bestimmten Entwicklungsstadien Glyphosat eingesetzt werden, kann bei diesen Sorten praktisch das ganze Jahr das Herbizid verwendet werden. Auf diesem Wege seien auch vermehrt resistente Ackerwildkräuter entstanden, die letztlich zu einem höheren Einsatz von Herbiziden führen würden, so die Forscher:innen. Stattdessen schlagen sie digitalisierte Techniken vor, die das Ausbringen von Düngern und Pflanzenschutzmitteln effizienter gestalten würden (Precision Farming). Neue ackerbauliche Praktiken wie schonende Bodenbearbeitung („conservation tillage“), Direktsaatverfahren, ökologischer Landbau und durchdachte Fruchtfolgen könnten ebenso den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Düngern und damit den Energieverbrauch senken, idealerweise in Kombination mit der Aussaat mehrjähriger Feldfrüchte.

Bewässerung

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Die Bewässerung ist eins der Themenfelder, in denen eine Anpassung nötig wird.

Die Bewässerung ist eins der Themenfelder, in denen eine Anpassung nötig wird.

Bildquelle: (Bildquelle: © Bruno / Pixabay)

Bewässerungssysteme, die Grundwasser nutzen, verbrauchen vor allem für die Pumpsysteme große Mengen an Energie (etwa 80 Prozent der global benötigten Energie, die für Bewässerung aufgewendet wird). Digitale Verfahren zur Feuchtemessungen im Boden könnten die Effektivität erhöhen und so Energie und Wasser sparen. Dazu kommt die Art der Bewässerung: Durch herkömmliche Verfahren entsteht Staunässe, die den Lachgasausstoß des bewässerten Bodens um 50 bis zu 140 Prozent ansteigen lassen. Diese Werte könnten durch Tröpfchenbewässerung wiederum um 32 bis 46 Prozent gesenkt werden.

Reisanbau

Der Anbau von Reis ist für 0,69 Gt CO2 e pro Jahr (1,2 Prozent der globalen Treibhausgasfreisetzungen) verantwortlich, ernährt aber gleichzeitig Milliarden Menschen. Insbesondere der Nassreisanbau führt zu erhöhten Methanfreisetzungen durch das Zersetzen von organischer Substanz unter Sauerstoffabschluss. Versuche haben gezeigt, dass kürzere Flutungszeiträume auf den Feldern mit zeitgleich erhöhter Frequenz der Flutungen die Methanemissionen senken können. Auch die Verarbeitung des Reisstrohs zu Biokohle würde zu einer Reduzierung der Methanemissionen beitragen. Auf diesem Weg könnten 30 Prozent oder 0,21 Gt CO2e pro Jahr eingespart werden.

 Wiederkäuer

2,85 Gt CO2e pro Jahr (fünf Prozent der globalen Treibhausgasfreisetzungen) entstehen durch Methanfreisetzungen in den Mägen von Wiederkäuern. Durch Futterzusätze für Milchkühe („Methan-Inhibitoren“) ließen sich die Methanemissionen um bis zu 40 Prozent senken, bei gleichbleibender Milchleistung. Allerdings kann es hierbei zu Anpassungen der Mikroflora im Darm der Tiere kommen, die den Effekt senken könnten. Eine weitere Möglichkeit sehen die Forscher:innen in der genetischen Veränderung der Mikroflora von Wiederkäuern durch Genome Editing-Techniken wie CRISPR oder durch neue Tierrassen, die Futter effizienter verwerten können. Die Forscher:innen gehen von einer globalen Einsparung von bis zu 15 Prozent der Methanesmissionen durch Zuchttechniken innerhalb der nächsten zehn Jahre aus - allerdings wäre hier noch viel Forschung nötig.

CO2-Speicherung

Unter dem Strich könnten die genannten alternativen Methoden und Technologien den globalen Ausstoß der Landwirtschaft um 45 Prozent senken. Für den Rest, etwa 3.8 Gt CO2e pro Jahr, müssten laut Forscher:innen CDR-Technologien angewendet werden, um die Landwirtschaft vollständig zu dekarbonisieren und eventuell sogar zu einer CO2-Senke zu machen. Die Forscher:innen zählen neben der klassischen Carbon Capture and Storage (CCS)-Technologie auch die Gewinnung von Energie aus biologischen Abfällen wie Pflanzenresten und Dung (BECCS) dazu. Sich zersetzende Biomasse aus Pflanzenabfällen ist für 0,23 Gt CO2e pro Jahr (0,4 Prozent der globalen Treibhausgasfreisetzungen) verantwortlich. Verwendet man die Biomasse zur Energiegewinnung und scheidet das entstehende CO2 ab und speichert es, könnte man auf diesem Weg 2,61 Gt CO2e pro Jahr einsparen. Eine weitere Technik zur  CO2-Bindung ist die Einarbeitung von fein gemahlenen, kalzium- und magnesiumreichen Silikaten, wie etwa Basalten, in Ackerböden (Enhanced Weathering, „beschleunigte Verwitterung“). Die feinen Silikate bilden in Verbindung mit CO2 aus der Luft chemisch stabile Karbonate. Die Forscher:innen schätzen, dass auf diesem Weg allein 0,5 bis zwei Gt CO2 pro Jahr aus der Atmosphäre entfernt werden könnten. Zusätzlich verbessern die Silikate die Nährstoffversorgung der Pflanzen und heben den pH-Wert an.

 Alle zusammen

Die Forscher:innen betonen, dass sich nicht nur die Landwirtschaft ändern müsse, sondern auch das Konsumverhalten (weniger Lebensmittelverschwendung, weniger Fleisch und Milchprodukte), um dem Klimawandel wirksam entgegenzutreten. Auch würden die dringend nötigen Veränderungen in der Landwirtschaft durch zu geringe Investitionen, ineffektive politische Entscheidungen und hohe Kosten stark behindert. Um einen effektiven Wandel in kurzer Zeit zu schaffen, wären verstärkte staatliche Unterstützung, hohe Investitionen in neue Technologien sowie in Forschung und Bildung vonnöten sowie eine globale Kooperation und Koordination zwischen Forschung, Politik, Verbraucher:innen, Landwirtschaft und Investor:innen. Viele der Vorschläge wären dann relativ rasch umsetzbar, um einen nachhaltigen und vor allem schnellen Wandel hin zu einer klimafreundlichen Landwirtschaft zu schaffen.


Quelle:
Rosa, R. und Gabrielli, P. (2023): Achieving net zero emissions in agriculture: A review. In Environmental Research Letters 18, 26. Mai 2023. dx.doi.org/10.1088/1748-9326/acd5e8

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Titelbild: Feldrand mit Gräsern: Die Landwirtschaft muss sich ändern, um weiter effektiv sein zu können. (Bildquelle: © FelixMittermeier / Pixabay)