Wo beginnt Gerechtigkeit?
Die Belastungsgrenzen der Erde auf „gerechter Basis“ neu definiert
Das Recht auf eine intakte Lebensgrundlage muss in die Berechnung planetarer Belastungsgrenzen mit einbezogen werden, fordern Forscher:innen.
Wie viel kann das Ökosystem Erde aushalten, bevor die auch für uns lebenswichtigen Prozesse zusammenbrechen? Das haben sich Forscher:innen schon vor 14 Jahren gefragt und sogenannte planetare Belastungsgrenzen definiert. Eine Sache fehlte damals allerdings: Die Definition von Belastungsgrenzen, die auch den Einfluss auf die Lebensumstände beachten. In einer neuen Studie hat ein Zusammenschluss aus 40 Wissenschaftler:innen, die Earth Commission, unter Beteiligung des Potsdam-Institutes für Klimafolgenforschung diese Grenzen neu definiert.
Sichere Grenzen
Globale Ziele wurden in den letzten Jahrzehnten vor allem zur Bekämpfung des Klimawandels definiert. Deutlich weiter ging das Planetary Boudary Framework: Es definierte neun ökologische Belastungsgrenzen, die für den Erhalt natürlicher Prozesse nötig sind, um das menschliche Wohlergehen zu sichern und deren Überschreitung das Ökosystem Erde irreversibel gefährden würde. Zu seiner Veröffentlichung im Jahr 2009 waren drei der festgelegten Grenzen bereits überschritten: Artensterben, Klimaveränderung und Stickstoffeinträge. Die neue Studie fasst die einzelnen Bereiche etwas anders zusammen. Themen sind Klima, unberührte Naturräume, vom Menschen überprägte Naturräume wie etwa Agrar- und urbane Ökosysteme, Grundwasser, Oberflächengewässer, Stickstoff- und Phosphateinträge sowie Luftverschmutzung durch Feinstäube und Aerosole. Diese Grenzen wurden von den Forscher:innen als sichere Grenzen definiert.
Schon sieben Belastungsgrenzen überschritten
Die Ergebnisse zeigen allerdings, dass sieben dieser acht Grenzen bereits überschritten wurden. Lediglich bei der Luftverschmutzung bewegen sich die Werte noch innerhalb der Norm. Am deutlichsten „drüber“ sind die Werte bei den Nährstoffen: Beim Stickstoffeintrag gibt es ein Zuviel von 89 Millionen Tonnen pro Jahr, bei Phosphaten sind es gut eine Million Tonnen. Dazu stellten die Forscher:innen fest, dass zwei Drittel der vom Menschen gemanagten Ökosysteme ihre Dienstleistungen, wie etwa Bestäubung, nicht mehr uneingeschränkt zur Verfügung stellen können. Außerdem müssten global mindestens 50 bis 60 Prozent der naturbelassen Ökosysteme erhalten werden, aktuell sind es nur noch etwa 40 bis 50 Prozent. Ebenso sind etwa 47 Prozent der Grundwasserreservoire im Rückgang und lediglich 66 Prozent der Flüsse sind weitgehend naturbelassen - nötig wären mindestens 80 Prozent. Dazu fanden die Forscher:innen sogenannte „Hot Spots“, also Regionen, in denen die planetaren Grenzen beim Klima jetzt schon deutlich überschritten wurden. Sie liegen in Osteuropa, im Mittleren Osten, in Süd- und Südostasien, in Teilen von Afrika sowie in Teilen von Mexiko, China und Brasilien sowie der westlichen USA.
Gerechte Grenzen
Zusätzlich haben die Forscher:innen erstmals berechnet, in welchen planetaren Belastungsgrenzen sich globale Gerechtigkeit und das Wohlergehen des Einzelnen erhalten lassen. Ihre Definition beruht auf drei Säulen:
- Der Interspezies-Gerechtigkeit zwischen verschiedenen Arten, unter Ausschluss einer Sonderstellung für den Menschen (sie wird größtenteils durch Einhaltung der sicheren Grenzen erreicht),
- der Inter-Generationen-Gerechtigkeit sowie
- der Intra-Generationen-Gerechtigkeit zwischen Gemeinschaften, Staaten und Individuen.
Über diese Grenzen soll Schaden abgewendet werden - von Individuen, aber auch von Gemeinschaften und Ländern. Diese wurden als „gerechte Grenzen“ festgelegt. Beim Klima und bei der Luftverschmutzung sind diese Grenzen deutlich strenger, da hier bereits vor Erreichen der planetaren Belastungsgrenze den Menschen erheblicher Schaden zugefügt wird. Die Luftverschmutzung ist als einziger Bereich noch innerhalb der gerechten Grenze.
Beispiel Klima
Als anerkannte Grenze zur Vermeidung von globalen Klimafolgeschäden für den Planeten wurde das 1,5-Grad-Ziel von Paris international akzeptiert. Allerdings wird es auch beim Einhalten dieser Grenze bereits starke Auswirkungen des Klimawandels geben, die sich aber in den verschiedenen Regionen unterschiedlich auswirken. Außerdem hängt die Eindämmung solcher Auswirkungen stark von der Region und vom jeweiligen Wohlstand ab. Während die Menschen in den Industrienationen daher weniger stark betroffen sind, trifft es die weniger wohlhabenden Menschen in den jetzt schon bedrohten Regionen bereits sehr hart, Tendenz steigend. Daher fordern die Forscher:innen statt eines 1,5-Grad-Ziels ein gerechteres Ein-Grad-Ziel, bei dem die Auswirkungen des Klimawandels auch in den stark gefährdeten Regionen noch vergleichsweise milde ausfallen würden. Die aktuelle Erwärmung liegt bei 1,2 Grad – das bedeutet, dass die „planetare Grenze“ noch nicht überschritten wurde, die „gerechte Grenze“ aber schon.
Sichere Zukunft durch gerechte Grenzen
Gerechte Grenzen sind nach Meinung der Forscher:innen zwingend notwendig, um die Stabilität des Systems Erde zu erhalten. Der Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen und die Vermeidung negativer Auswirkungen durch eine Überlastung des globalen Ökosystems sind dafür die Grundlage. Aber: „Wir bewegen uns bei fast allen Grenzen in die falsche Richtung“, erklärt Johan Rockström, Hauptautor der Studie. Die Forscher:innen betonen trotzdem, dass auch angesichts der ernüchternden Ergebnisse immer noch die Möglichkeit besteht, das Steuer herum zu reißen. Dafür wären der schnellstmögliche Verzicht auf fossile Brennstoffe und ein nachhaltigerer Umgang mit Land und Wasser nötig. Die Studie bietet nun die Möglichkeit, auf Grundlage wissenschaftlich definierter Grenzen die Zukunft in die richtigen Bahnen zu lenken – hin zu mehr Wohlstand innerhalb eines stabilen Erdökosystems.
Quelle:
Rockström, J. et al (2023): Safe and just earth system boundaries. In: Nature, 31. Mai 2023. dx.doi.org/10.1038/s41586-023-06083-8
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Titelbild: Die Überdüngung mit Stickstoff geht weit über die planetare Belastungsgrenze hinaus. (Bildquelle: © Myriams-Fotos / Pixabay)