Die hohen Hürden der Endosymbiose
Weshalb die Photosynthese nur zweimal im Verlauf der Erdgeschichte erfunden wurde
Sollen zwei Organismen plötzlich wie einer funktionieren, sorgt das für immense Herausforderungen. Stoffwechsel und Genome müssen radikal angepasst und neu reguliert werden – das ist die Lehre aus dem Studium der Endosymbiose von Cyanobakterium und Amöbe. Die Synthetische Biologie kann daraus viel lernen.
Sie ist eine zentrale Grundlage des uns bekannten Lebens auf der Erde, und damit eine gefühlte Selbstverständlichkeit: die pflanzliche Photosynthese. Tatsächlich aber steckt dahinter ein evolutionär ausgesprochen seltenes Ereignis – überraschend selten, wenn man über dessen Bedeutung nachdenkt.
Nur zwei Ereignisse sind der Wissenschaft bekannt, in denen eine Endosymbiose zwischen einem Protisten (ohne die Fähigkeit zur Photosynthese) und einem photosynthetisch aktiven Cyanobakterium stattgefunden hat und sich aus dem Bakterium ein photosynthetisches Organell entwickelt hat. Jetzt hat ein internationales Forschungsteam Erklärungen dafür, weshalb eine solche primäre Endosymbiose so selten ist.
Wie Motor und Fahrgestell
Das Team hat dazu nicht die rund 1,5 Milliarden Jahre alte Endosymbiose untersucht, die unter anderem zu den Chloroplasten und damit zur pflanzlichen Photosynthese geführt hat, sondern das bedeutend jüngere Ereignis: Vor etwa 120 Millionen Jahren nahm die Amöbe Paulinella ein Cyanobakterium auf und das Bakterium entwickelte sich innerhalb der Amöbe zu einem photosynthetisch aktiven Chromatophor.
Die Wahl des Untersuchungsobjektes erwies sich als besonders lehrreich, da dieser evolutionär deutlich jüngere Prozess noch nicht abgeschlossen ist und die genetischen Anpassungen noch in vollem Gange zu sein scheinen.
Zur Veranschaulichung ihrer Erkenntnisse bemühen die Fachleute den Vergleich mit einem Fahrzeug mit Fahrgestell und Motor. Dabei entspricht das Chromatophor dem neuen Motor, der zum Betrieb Treibstoff (bzw. Sonnenlicht, Wasser, Proteine und anorganische Nährstoffe) benötigt. So wie die Abwärme des Automotors durch einen Kühler entfernt wird, so muss die Amöbe infolge der Endosymbiose plötzlich mit den Folgen der Photosynthese zurechtkommen, also ebenfalls „kühlen“ und vor allem toxische freie Sauerstoffradikale – ein Nebenprodukt der Photosynthese – beseitigen. Auch die Geschwindigkeitskontrolle von Photosynthese, Elektronentransport und ATP-Synthese ist eine neue Aufgabe für die Amöbe. Im Gegenzug stellt der „Motor“ Energie und weitere metabolische Funktionen bereit.
Endosymbiose im Übergangsstadium
Die photosynthetische Paulinella scheint sich noch in einem Anfangsstadium der Endosymbiose zu befinden. Ihr photosynthetischer „Motor“ ist auf Hochleistung optimiert: zwei Milliarden Jahre Evolution des Cyanobakteriums haben dazu geführt. Das „Fahrgestell“, Paulinella selbst, ist noch nicht für einen so starken Motor ausgelegt.
So kann die Amöbe nur bei schwachen Lichtverhältnissen existieren. Zu viel Licht bedeutet eine zu hohe Photosyntheseaktivität mit zu vielen freien Radikalen, die der Einzeller nicht neutralisieren kann. Und so müssen offenbar immer noch einige Prozesse optimiert werden, um effizient Nährstoffe, anorganischen Kohlenstoff und Proteine zum „Motor“ zu transportieren und die Photosyntheserate zu messen und zu regulieren.
Das Forschungsteam geht daher davon aus, dass die nächsten evolutionären Schritte darin bestehen werden, vorhandene genetische Ressourcen des Wirts – und vermutlich neue Mutationen – so anzupassen, dass die Amöbe das Chromatophor besser in ihren Stoffwechsel einbinden kann. Erst danach dürften noch mehr Gene vom Chromatophor mittels endosymbiontischem Gentransfer in den Zellkern kopiert und anschließend aus dem Chromatophor-Genom entfernt werden.
Das zumindest legt die heutige Beschaffenheit der pflanzlichen Chloroplasten und ihrer Wirte nahe: Das Chromatophor-Genom ist zwar gegenüber dem Cyanobakterium bereits um zwei Drittel geschrumpft, aber immer noch rund viermal so groß wie das der Chloroplasten.
Außerdem sind bislang nur etwa 50 Gene des Chromatophors ins Kerngenom übertragen worden – bei Chloroplasten und anderen Plastiden der Archaeplastida sind es 600 bis 1 000 endosymbiontisch ins Kerngenom gewanderte Gene.
Für Grundlagenforschung und Anwendung relevant
Ein solcher evolutionärer Ablauf würde auch erklären, weshalb sekundäre und tertiäre Endosymbionten weit häufiger zu finden sind als primäre: Haben Wirt oder Symbiont sich erst einmal genetisch an die grundsätzlichen Erfordernisse einer Endosymbiose angepasst, ist es für einen neuen Symbiosepartner wesentlich einfacher, sich harmonisch einzufügen.
Für die Grundlagenforschung dürfte von Bedeutung sein, dass sich diese Prinzipien der evolutionären Genese der Endosymbiose bei Paulinella auch auf andere Endosymbiosen übertragen lassen. Die Studie gibt auch Hinweise auf die anfänglichen Hürden einer erfolgreichen Endosymbiose und die Reihenfolge bei der Neuorganisation des gemeinsamen Stoffwechsels. Mit dieser „Anleitung“ könnte sich dann auch die synthetische Biologie daran machen, neuartige Organellen zu designen.
Quelle:
Stephens, T.G. et al. (2021): Why is primary endosymbiosis so rare? In: New Phytologist, (online, 21. Mai 2021), doi: 10.1111/nph.17478.
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Titelbild: Die photosynthetische Amöbe Paulinella. (Bildquelle: © Florian Raunecker)