Künstliche genetische Schaltkreise

Pflanzen können nun einfach „umprogrammiert“ werden

29.08.2022 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Künstliche genetische Schaltkreise: Ziel ist die „Umprogrammierung“ der Genexpression in Pflanzenwurzeln. So kann das Wurzelwachstum gezielt verändert werden. (Bildquelle: © Jennifer A. N. Brophy; CC BY-NC-ND)

Künstliche genetische Schaltkreise: Ziel ist die „Umprogrammierung“ der Genexpression in Pflanzenwurzeln. So kann das Wurzelwachstum gezielt verändert werden. (Bildquelle: © Jennifer A. N. Brophy; CC BY-NC-ND)

Es klingt wie Science Fiction: Forschende haben es geschafft, ein „Computerprogramm“ für Pflanzen zu entwickeln, das Zellen genaue Anweisungen gibt, welche Gene sie ablesen sollen. Die Methode konnte bereits erfolgreich eingesetzt werden, um das Wurzelwachstum zu verändern – und ohne den Rest der Pflanze zu beeinflussen. Der Einsatz solcher „künstlicher genetischer Schaltkreise“ könnte auch im Kampf gegen den Klimawandel nützlich sein.

Hitze, Dürre oder Überschwemmungen – Extremwetterereignisse werden immer häufiger. Pflanzen müssen sich schneller als je zuvor an wechselnde Umweltbedingungen anpassen. Um zu überleben, ist unter anderem die Größe und Form des Wurzelsystems ausschlaggebend: Es bedingt, wie gut Pflanzen essenzielle Nährstoffe und Wasser im Boden erreichen und aufnehmen können.

Will man solche lebensnotwendigen Prozesse effizienter machen, stehen heute viele züchterische Optionen zur Verfügung. Doch oft braucht Züchtung eines: sehr viel Zeit! Ein neuer Ansatz der synthetischen Biologie will hier Abhilfe schaffen: Mithilfe sogenannter „künstlicher genetischer Schaltkreise“ sollen Pflanzen gezielt „umprogrammiert“ werden. Wie das gelingen kann, haben Forschende im renommierten Fachmagazin Science vorgestellt.

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Geglücktes Experiment mit Tabakblättern: Durch künstliche genetische Schaltkreise wurde den Zellen die „Anweisung“ gegeben, ein leuchtendes Protein zu bilden, wenn bestimmt Signale vorhanden sind oder fehlen.

Geglücktes Experiment mit Tabakblättern: Durch künstliche genetische Schaltkreise wurde den Zellen die „Anweisung“ gegeben, ein leuchtendes Protein zu bilden, wenn bestimmt Signale vorhanden sind oder fehlen.

Bildquelle: © Jennifer A. N. Brophy

Komplexe genetische Netzwerke nachgebaut

Die ganze Pflanzenentwicklung wird durch komplexe genetische Netzwerke gesteuert. Sie kontrollieren im Detail die Aktivität von Genen und somit das Wachstum und die einzelnen Entwicklungsschritte. Proteine, die diesen Einfluss auf die Genexpression haben, nennt man Transkriptionsfaktoren. Sie können „Aktivatoren“ oder „Repressoren“ sein und die Ablesung der Gene fördern oder die Transkription verhindern.

Einem Team der Stanford University ist es nun gelungen, solche genetischen Netzwerke künstlich nachzubilden. Sie sind aufgebaut und funktionieren wie elektrische oder digitale Schaltkreise. Durch Logikgatter werden Bedingungen vorgegeben, um zu regulieren, welche Zelltypen welche Gene zu einem bestimmten Zeitpunkt exprimieren. Um das zu erreichen, kombinierten die Forschenden künstlich erzeugte Transkriptionsfaktoren und entsprechende „Gen-Andockstellen“ (Promotoren). Man kann sich das wie ein Netzwerk an „Genschaltern“ vorstellen, die Gene an und ausschalten können – auf Befehl.

Anschließend übertrugen sie ihre künstlichen Schaltkreise mit den üblichen gentechnischen Methoden auf Pflanzen. Sie nutzen als „Transportgefäß“ Plasmide und als Überträger das Bodenbakterium Agrobacterium tumefaciens.

Die richtige Kombination lässt Blätter leuchten

Um die Wirksamkeit zu überprüfen, testete das Team ihre künstlichen genetischen Schaltkreise zunächst in Blättern der Tabakart (Nicotiana benthamiana). In die Blätter wurde ein im Dunkeln grün leuchtendes Protein (GFP) eingeschleust und die „Anweisung“, es nur dann herzustellen, wenn bestimmte Signale vorhanden sind oder eben nicht. Die richtige Kombination brachte definierte Bereiche der Blätter daraufhin zum Leuchten. Über 1.000 künstliche Schaltkreise wurden so getestet. Bei fast 190 gelang die Methode.

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Mithilfe künstlicher genetischer Schaltkreise kann die Anzahl der ausgebildeten Seitenwurzeln gesteuert werden.

Mithilfe künstlicher genetischer Schaltkreise kann die Anzahl der ausgebildeten Seitenwurzeln gesteuert werden.

Bildquelle: © Jennifer A. N. Brophy

Wurzelverzweigung justiert

Diese positiven Ergebnisse spornte das Team an, agronomisch wichtige Pflanzeneigenschaften in den Blick zu nehmen: Sie versuchten im zweiten Schritt, bei der Modellpflanze Arabidopsis thaliana das Wurzelwachstum bewusst zu verändern. In diesem Fall sollten angepasste künstliche Gen-Schaltkreise an den Wurzelzellen ansetzen und regulieren, wie viele Seitenwurzeln ausgebildet werden.

Das Team konnte mithilfe der künstlichen Schaltkreise die Wurzelarchitektur im Experiment erfolgreich steuern und Pflanzen mit unterschiedlichen Wurzelverzweigungsmustern erzeugen.

Nachdem es geglückt ist, einen Modellorganismus gezielt zu beeinflussen, beabsichtigt das Team, die Methode auch bei Nutzpflanzen anzuwenden. Eine Vision steht schon im Raum: Künftig könnten Pflanzen sich durch künstliche Gen-Schaltkreise in bestimmten Situationen selbst optimieren. Zum Beispiel könnten Pflanzen dadurch in die Lage versetzt werden, bei Trockenheit Gene zu aktivieren, die ihre Wurzeln noch viel stärker in die noch wasserhaltige Tiefe wachsen zu lassen.


Quelle:
Brophy, J.A.N. et al. (2022): Synthetic genetic circuits as a means of reprogramming plant roots. In: Science, (11. August 2022), doi: 10.1126/science.abo4326.

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Titelbild: Künstliche genetische Schaltkreise: Ziel ist die „Umprogrammierung“ der Genexpression in Pflanzenwurzeln. So kann das Wurzelwachstum gezielt verändert werden. (Bildquelle: © Jennifer A. N. Brophy; CC BY-NC-ND)