Fettreif adieu?

Forscher entschlüsseln, warum Schokolade weiß anläuft

27.05.2015 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Unter dem Mikroskop wird die kristalline Struktur des Fettreifs auf Schokolade sichtbar. (Bildquelle: © Svenja Reinke/ TUHH)

Unter dem Mikroskop wird die kristalline Struktur des Fettreifs auf Schokolade sichtbar. (Bildquelle: © Svenja Reinke/ TUHH)

Fettreif mag zwar unbedenklich sein, sieht aber unappetitlich aus. Da dieser nicht nur ästhetisch kritisch betrachtet wird, sondern auch mit Schimmel verwechselt wird führt Fettreif zur Entsorgung des Genussmittels. Im Röntgenverfahren haben Forscher der TU Hamburg-Harburg herausgefunden, wie Fettreif entsteht und was dagegen getan werden kann: Durch eine Begrenzung der Porosität der Schokolade könnte das Fett künftig am Austritt gehindert werden.

Fleckig und weich, hellgrau bis weiß. Fettreif auf der Schokolade ist der Albtraum aller Naschkatzen, Zuckerbäcker, Konditoren und Schokoladenhersteller. „Der Fettreif ist zwar harmlos, führt aber durch Ausschuss und Reklamation zu Millionenschäden in der Lebensmittelindustrie“, erklärt Svenja Reinke von der TU-Hamburg-Harburg. „Trotzdem weiß man bisher relativ wenig über die Entstehungsprozesse.“ Gemeinsam mit ihren Kollegen hat die Forscherin Schokolade buchstäblich durchleuchtet. Im Röntgenverfahren fanden sie heraus, wie Fettreif entsteht und sich womöglich vermeiden lässt. Ihre Vorschläge: Reduzierung der Porosität und Lagerung bei konstant 18 Grad.

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Ein Albtraum für Naschkatzen und Schokoladenhersteller gleichermaßen, obwohl gesundheitlich völlig unbedenklich: Fettreif.

Ein Albtraum für Naschkatzen und Schokoladenhersteller gleichermaßen, obwohl gesundheitlich völlig unbedenklich: Fettreif.

Bildquelle: © Salino01/ wikimedia.org/ CC BY 3.0

Fettkristalle, die an die Oberfläche wandern

Fettreif entsteht, wenn das Fett bzw. flüssige Fettkristalle in der Schokolade aus dem Inneren an die Oberfläche wandern. Dort angekommen kristallisieren sie aufgrund der, wenn auch nur minimal, kühleren Außentemperaturen und erhärten zu Fettreif. „Das kann zum Beispiel geschehen, wenn flüssige Schokolade unkontrolliert abkühlt und sich instabile Kristallformen bilden. Aber auch bei Zimmertemperatur ist ein Viertel der Schokoladenfette bereits flüssig“, erklärt Reinke. Grund dafür ist, dass die in der Schokolade enthaltenen Öle die Fettkristalle auflösen, die in der Kakaobutter enthalten sind. Dass eine unsachgemäße Lagerung, bei der Schokolade Temperaturschwankungen ausgesetzt ist, eine der Hauptursachen ist, war und ist bestens bekannt. Neu dagegen ist der Blick in die Nanostruktur.

Das hellgelbe, aromatische Fett aus den Samen des Kakaobaumes (Theobroma cacao) kann insgesamt sechs Kristallformen annehmen, von denen aber nur zwei für die Schokoladenproduktion in Frage kommen. Gewonnen wird Rohkakau in mehreren Ländern entlang des Äquators. Im vergangenen Jahr betrugt der Rohkakao-Anbau weltweit über 4 Millionen Tonnen. An der Spitze: Afrika, gefolgt von Amerika, Asien und Ozeanien.

Genuss geht vor Stabilität

Das Problem: Die stabilere Kristallform verleiht der Schokolade weniger Glanz und Geschmack, und auch das Beißgefühl wie auch das Knacken beim Abbeißen bleiben hinter den Erwartungen zurück. Da für Schokoladenliebhaber und Konditoren Genuss im Vordergrund steht, geht die Entscheidung folglich zulasten der Stabilität. Wenn also die Bildung von Fettreif nicht in erster Linie dadurch verhindert werden kann, auf Fettkristalle zu setzen, die stabiler sind und erst bei höheren Temperaturen schmelzen. Wie dann?

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Das Schaubild zeigt den Versuchsaufbau: Der Röntgenlaser durchdringt die Probe und wird aufgrund der Struktur in seiner Streuung beeinflusst, was Rückschlüsse auf die Struktur selbst ermöglicht.

Das Schaubild zeigt den Versuchsaufbau: Der Röntgenlaser durchdringt die Probe und wird aufgrund der Struktur in seiner Streuung beeinflusst, was Rückschlüsse auf die Struktur selbst ermöglicht.

Bildquelle: © Svenja Reinke/ TUHH

Forscher röntgen Schokolade

Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, hieß es erst einmal genau hinschauen und verstehen, was passiert. Die Forscher untersuchten mit Hilfe eines Röntgenlasers mehrere Proben mit den üblichen Schokoladenbestandteilen Zucker, Kakaobutter, Milch- und Kakaopulver. Jeweils mit Unterschieden in der Zusammensetzung und Körnung, denn um den Prozess der Fettreifbildung zu beschleunigen, verarbeiteten die Forscher die Proben zu Pulver. Anschließend beträufelten sie diese mit einem Tropfen Sonnenblumenöl.

Schuld ist das Öl

„Zum einen kommt es innerhalb von Sekunden zur Benetzung, das Öl dringt sehr schnell auch in die kleinsten Poren ein“, erklärt Reinke. „Das flüssige Fett löst über einen Zeitraum von Stunden weitere Fettkristalle auf, wodurch die gesamte Struktur der Schokolade weicher wird. Das erhöht wiederum die Fettmigration.“ Den Forschern  gelang erstmals, die Mechanismen der Fettreifbildung direkt zu verfolgen, wie Dr. Stephan Roth, Forscher am Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) und Leiter der Messstation, erklärt.

Das Geheimnis liegt nicht in der Rezeptur, sondern in der Struktur

Reinke und ihr Team schlagen als Antwort nicht eine Veränderung der Rezeptur, sondern der Struktur vor: „Eine Konsequenz wäre beispielsweise, die Porosität der Schokolade bei der Herstellung zu begrenzen, damit das Fett später langsamer wandert.“ Obwohl Schokolade auf den ersten Blick wie eine dichte, homogene Masse aussieht, besteht sie in Wahrheit aus vielen unterschiedlichen Bestandteilen, die sich ohne die Hinzugabe von Hilfs- oder Zusatzstoffen, z. B. Emulgatoren, nicht ohne Weiteres dauerhaft vermengen lassen würden. Um zu verhindern, dass die flüssigen Fettkristalle weiterhin durch die kleinen Hohlräume zwischen den winzigen Zucker-, Milch- und Kakaopulverpartikeln fließen, schlagen Reinke und ihr Team vor, diese nanometerkleinen Hohlräume zu verkleinern und zu verdichten. Die Herausforderung ist jedoch, dass dabei weder Geschmack noch Optik, Haptik oder Akustik auf der Strecke bleiben dürfen, die vom Konsumenten geschätzt werden.

Die Ergebnisse der Forscher leisten übrigens auch einen wichtigen Beitrag zu der seit längerem geführten Diskussion, wie das Fett überhaupt an die Schokoladenoberfläche gelangt. Alternativ wurde nämlich häufig auch angenommen, dass das Fett nicht durch die winzigen Poren und Hohlräume wandert und zutage tritt, sondern sich großflächig, quasi in Wellenform, vom Zentrum an die Oberfläche schiebt oder strömt.

Schokolade am besten bei 18 Grad lagern

„Die durchgeführten Untersuchungen erlauben es uns als Hersteller von Qualitätsschokolade erstmals Rückschlüsse auf die Ursachen der Migration von Kakaobutterfraktionen in Schokolade zu ziehen", erklärt Stefan Palzer vom Lebensmittelkonzern Nestlé, der an der Studie beteiligt war. „Die mit modernster analytischer Technologie in Zusammenarbeit mit der TU Hamburg-Harburg und dem Team des DESY gewonnenen Erkenntnisse bilden somit die Grundlage für die Entwicklung geeigneter Verfahren zum Vermeiden eines der wichtigsten Qualitätsdefekte in der Lebensmittelindustrie." Mit Blick auf den Verbraucher empfehlen die Forscher, Schokolade immer kühl, aber nicht zu kühl zu lagern: „18 Grad sind ideal“, so Reinke.

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Beim genauen Hinschauen wird deutlich: Schokolade ist keine homogene Masse. Um das Fett am Austritt zu hindern, schlagen die Forscher daher vor, die Zwischenräume zu verkleinern, die Porosität also zu begrenzen.

Beim genauen Hinschauen wird deutlich: Schokolade ist keine homogene Masse. Um das Fett am Austritt zu hindern, schlagen die Forscher daher vor, die Zwischenräume zu verkleinern, die Porosität also zu begrenzen.

Bildquelle: © Svenja Reinke/ TUHH

Röntgenkleinwinkelstreuung liefert Einblicke in Bereiche von unter 1 Nanometer

Roth sieht in den Ergebnissen nicht nur einen Mehrwert für die Schokoladenhersteller und Konsumenten, sondern auch eine Bestätigung des Messverfahrens: „Die verwendete Methode, die Röntgenkleinwinkelstreuung, ist genau auf derartige Echtzeituntersuchungen und auf die Beobachtung der Änderungen der Struktur durch das Öl angepasst. Die gemeinsame Studie liefert uns wertvolle Informationen, wie wir Strukturänderungen in derartigen ‚alltäglichen‘ Mehrkomponentensystemen untersuchen können.“

Davon profitieren auch andere Wissenschaftszweige: So wird das Verfahren zum Beispiel auch in der Molekularbiologie angewendet. Der Vorteil der Röntgenkleinwinkelstreuung liegt darin, Strukturen und Prozesse zu erfassen und sichtbar zu machen, die unterhalb von 1 Nanometer liegen. Ein Beispiel ist die Analyse von Proteinstrukturen und deren dynamischen Veränderungen im Verlauf biologischer Reaktionen.


Quelle: Reinke, S. et al. (2015): Tracking Structural Changes in Lipid-based Multicomponent Food Materials due to Oil Migration by Microfocus Small-Angle X-ray Scattering. In: ACS Applied Materials & Interfaces, 7 (18), (20. April 2015), doi:10.1021/acsami.5b02092

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Titelbild:Unter dem Mikroskop wird die kristalline Struktur des Fettreifs auf Schokolade sichtbar. (Bildquelle: © Svenja Reinke/ TUHH)