Geheimnisvolle Wurzelwelt
Oberirdische Pflanzenmerkmale verraten meist nichts über die Wurzeln
Eine Studie hat sich oberirdische und unterirdische Pflanzenmerkmale einmal genauer angesehen und Erstaunliches herausgefunden: Pflanzen, die sich obenherum sehr unterscheiden, haben untenherum oft ähnliche Feinwurzelsysteme und umgekehrt. Damit lässt sich vom Aussehen der Pflanzen über der Erde nicht auf ihre Wurzelsysteme schließen. Eine Erkenntnis, die dazu anregt, die Pflanze immer als Ganzes zu betrachten und erforschen.
Die Pflanzenwelt prahlt mit einer ungeheuren Formen- und Farbenpracht. Die einzelnen Arten sind groß oder winzig, haben die unterschiedlichsten Blattformen, Verzeigungen oder Blütenarchitekturen. Diese Unterschiede spiegeln sich auch in ihren Fähigkeiten wieder, beispielsweise wie effizient sie Sonnenlicht einfangen können, wie schnell sie wachsen oder sich vermehren können. „Jede Pflanzenart hat ihre eigene Antwort auf diese unterschiedlichen Anforderungen gefunden. Das können wir heute an der unglaublichen Vielfalt von Pflanzenmerkmalen beobachten“, sagt Dr. Sabrina Träger von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU).
Tausende Pflanzenarten aus der ganzen Welt betrachtet
Die Biologin war an einer internationalen Studie beteiligt, die Pflanzenmerkmale über und unter der Erde verglich. Die Ergebnisse wurden im renommierten Fachmagazin „Nature“ veröffentlich – die Studie schaffte es sogar bis aufs Cover der Ausgabe.
Dafür hat das Team verschiedene Datensätze zu Pflanzenmerkmalen kombiniert: oberirdische Merkmale wie Pflanzenhöhe, Samengröße oder Blattstickstoffgehalt (Díaz et al., 2015) und unterirdische Merkmale des Feinwurzelgewebes, darunter Durchmesser und Länge.
Kein Zusammenhang zwischen Merkmalen über und unter der Erde
Die Analyse zeigte Überraschendes: Es gibt keinen Zusammenhang zwischen Merkmalen über und unter der Erde. Sie fanden heraus, dass sich Pflanzengruppen hauptsächlich in ihren oberirdischen Merkmalen unterscheiden, sich jedoch in Bezug auf ihre Feinwurzeln meist viel ähnlicher sind. „Sonnenblumen und Kiefern zum Beispiel sind sich, obwohl sie oberirdisch sehr unterschiedliche Eigenschaften haben, in ihren Feinwurzel ziemlich ähnlich, während einige oberirdisch sehr ähnliche Arten, wie die Glockenblume und die Pastinake, sehr unterschiedliche Feinwurzeln haben“, erklärt Studienleiter Dr. Carlos Carmona von der Universität Tartu.
Und weiter: „Das Ergebnis hat uns überrascht, weil es einer gängigen These widerspricht, dass alle Merkmale einer Pflanze aufeinander abgestimmt sind. Es gibt offenbar keinen universalen, einfachen Zusammenhang zwischen allen ober- und unterirdischen Pflanzenmerkmalen.“
Aber warum hat sich so eine große Vielfalt oberhalb der Erde entwickelt?
„Wir vermuten, dass dies daran liegen könnte, dass die oberirdischen Pflanzenteile einer viel vielfältigeren Umgebung ausgesetzt sind als die unterirdischen Teile, einschließlich starker Schwankungen in der Lichtverfügbarkeit, Pflanzenfraß durch große Tiere oder Feuer“, sagt die beteiligte Forscherin Dr. Riin Tamme. Diese unterschiedlichen Bedingungen könnten sehr unterschiedliche Strategien bei Pflanzenarten gefördert haben, die dadurch besser an die jeweiligen Bedingungen angepasst seien, so die Vermutung.
Feinwurzeln bisher nicht ausreichend berücksichtigt
Pflanzenmerkmale können Aufschluss darüber geben, wie Pflanzen auf Veränderungen der Umweltbedingungen wie die globale Erwärmung reagieren. Daher sind sie ein beliebtes Forschungsobjekt in der Biologie und Ökologie geworden. Doch oft werden dabei nur die oberirdischen Merkmale betrachtet.
Aber auch die Wurzeln, speziell die Feinwurzeln, spielen bei der Anpassung ebenfalls eine wichtige Rolle. Denn Feinwurzeln – Pflanzenwurzeln mit einem Durchmesser von maximal zwei Millimetern – sind vor allem für die Nährstoff- und Wasseraufnahme der Pflanze zuständig.
Daher appelliert das Team an andere Forschende, zukünftig Pflanzen als Ganzes zu untersuchen. Sie empfehlen, die Merkmale von Feinwurzeln bei Vorhersagen über die Entwicklung von Pflanzenarten unbedingt einzubeziehen. So könnten die Prognosen verbessert werden, betonen die Beteiligten.
Quelle:
Carmona, C.P. et al. (2021): Fine-root traits in the global spectrum of plant form and function. In: Science, (29. September 2021), doi: 10.1038/s41586-021-03871-y.
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