Gelingt der Forschung eine zweite Stickstoff-Revolution?
Stickstoff ist essenziell für den Stoffwechsel und das Wachstum von Pflanzen. Weil das Element in der Natur schlecht verfügbar ist, düngen Landwirte ihre Felder mit Stickstoff in gut zu verwertender Form. Pflanzenzüchter arbeiten daran, dass Pflanzen den Nährstoff besser aufnehmen können.
Es war vor ziemlich genau 100 Jahren eine kleine Revolution, als Fritz Haber und Carl Bosch ein chemisches Verfahren entwickelten, mit dem sich preiswert in industriellem Maßstab Ammoniak herstellen lässt. Aus Stickstoff und Wasserstoff erzeugt das nach ihren Entdeckern benannte Haber-Bosch-Verfahren ein stechend riechendes, farbloses Gas, das die Landwirtschaft verändert hat. Ammoniak, chemisch NH3, bildet den Ausgangsstoff für Stickstoff basierte Düngemittel: Harnstoff, Ammoniumnitrat, -phosphat und -sulfat.Pflanzen benötigen Stickstoff für ihren Stoffwechsel, vor allem als Bestandteil ihrer Eiweiße. Steigt die Menge des verfügbaren Stickstoffs, erhöhen sich auch die Atmung und das Wachstum der Pflanze. Doch Stickstoff ist für höhere Organismen nicht so leicht verfügbar. Zwar besteht die Luft zu 78 Prozent aus elementarem Stickstoff (N2), doch den können die meisten Pflanzen nicht binden und verwerten. Sie sind auf reaktionsfreudigere Stickstoffverbindungen wie Nitrat (NO3-) oder Ammonium (NH4+) angewiesen – oder auf die Hilfe von Bakterien.
Symbiose von Hülsenfrüchtlern und Bakterien
Hülsenfrüchtler, so genannte Leguminosen, leben in einer Zweckgemeinschaft (Symbiose mit bestimmten Bakterien, den Rhizobien. Sind diese Bakterien im Boden vorhanden, bilden die Hülsenfrüchtler an ihren Wurzeln Knöllchen, die den Rhizobien als Lebensraum dienen. Dort verlieren diese ihre äußere Membran und werden dann Bakterioide genannt. Anders als Pflanzen können sie elementaren Stickstoff direkt aus der Luft binden – solange sie in Symbiose mit den Hülsenfrüchtlern leben. Denn das bakterielle Enzym Nitrogenase, das für die Reaktion mit Stickstoff sorgt, arbeitet nur in Abwesenheit von Sauerstoff, während die Bakterien selbst nicht gänzlich ohne Sauerstoff leben können. Diese delikate Balance ermöglichen die Wurzelknöllchen, in die nur eine geringe Menge Sauerstoff eindringt, sowie der Umstand, dass der eingedrungene Sauerstoff bereits an der Zellmembran der Bakterien verbraucht wird.
Was hat die Pflanze davon? Wenn die Rhizobien den elementaren Stickstoff verarbeiten, entsteht dabei Ammoniak. Das kann die Pflanze verwerten, was sie auch sofort tut, indem sie es nutzt, um Aminosäuren zu bilden. Ammoniak ist ein starkes Zellgift, dessen Anhäufung die Zelle unbedingt vermeiden muss.
Wegen der strengen Vorgaben hinsichtlich des Düngens haben Leguminosen als Zwischenfrucht große Bedeutung für viehlos wirtschaftende Ökolandwirte, deren Pflanzen sonst nur wenig Stickstoff zur Verfügung haben. Geschätzte 120 Millionen Tonnen Stickstoff werden jährlich durch die Symbiose von Leguminosen und Rhizobien gebunden und verbessern die Böden. Stickstoff bindende Bakterien sind damit ein wesentlicher Bestandteil des Stickstoffkreislaufs.
Frei lebende Stickstoff fixierende Bakterien
Seit den 1980er Jahren ist bekannt, dass es noch weitere Bakterien gibt, die molekularen Stickstoff verwerten können, jedoch frei und ohne Symbiose im Wurzelraum von Pflanzen leben. Weil Leguminosen weniger als zehn Prozent aller Kulturpflanzen ausmachen, ist dies ein wichtiger Ansatz für die Pflanzenzüchtung. Denn so bedeutsam das Haber-Bosch-Verfahren und die darüber erzeugten Stickstoffdünger für die Welternährung sind: Es gibt dabei auch Schattenseiten. Die Synthese verbraucht eine Menge Energie, es entstehen Treibhausgase, und auch auf dem Feld bildet sich über den Stickstoffdünger Lachgas, das sowohl Klima als auch Ozonschicht schädigt. Davon abgesehen können sich die Landwirte in den meisten Entwicklungsländern derartigen Dünger nicht leisten. Biologische Lösungen für das Problem der Stickstoffversorgung der Pflanze wären daher dort wie bei uns wünschenswert.
Überraschend weitere Stickstoffquelle gefunden
2008 haben Forscher der Universität Bern neben den beiden Stickstoff bindenden Bakteriengruppen noch eine dritte biologische Stickstoffquelle der Pflanzen nachgewiesen: Eiweiße, die sich frei im Boden befinden und Stickstoffverbindungen enthalten. Viele Pflanzen können anscheinend diese Eiweiße aufnehmen und verwerten oder über die Wurzeln Enzyme ausscheiden, die die Eiweiße außerhalb der Pflanze abbauen und die verwertbaren Stickstoffverbindungen freisetzen. Wie groß die Bedeutung dieser Proteine für den pflanzlichen Stoffwechsel ist, gilt bislang jedoch als unklar.
Stickstoffstoffwechsel ist Wachstumsvorteil
Sicher ist hingegen, dass ein Mangel an Stickstoff das Wachstum ausbremst. Die Blätter färben sich blassgrün und vergilben, die Pflanze startet eine verfrühte Notblüte. Auch Überfluss kann schaden: Dann verzögert sich die Blüte, vor allem aber wird die Pflanze anfälliger gegen Frost und Krankheiten. Beim Düngen sollten Landwirte deshalb den Stickstoffgehalt ihrer Böden kennen, um die richtige Menge aufzubringen.
Wie bedeutsam der Grad ist, zu dem Pflanzen Stickstoff aufnehmen und verwerten können, haben in vielen Regionen der Welt invasive Pflanzen bewiesen. So genannte invasive Pflanzen gelangen in ein Gebiet, wo sie bislang nicht heimisch waren, und verdrängen mit der Zeit die dort zuvor übliche Vegetation. Lange war unklar, wie ihnen das gelingt, bis die Stickstoffverwertung als wichtige Ursache identifiziert wernden konnte. Ein Beispiel für invasive Pflanzen ist die Weymouthskiefer, die eigentlich in Prärien wächst, mittlerweile aber auch im Böhmerwald in der Dreiländerregion Tschechien, Deutschland und Österreich beheimatet ist. Diese Kiefer entzieht dem Boden regelrecht den Stickstoff und bildet dadurch doppelt so schnell Biomasse wie ihre einheimischen Konkurrenten, die über kurz oder lang das Nachsehen haben.
EU-Projekt FIXNET untersuchte Wurzelknöllchen
Auch die Europäische Union hat die Bedeutung des Stickstoffstoffwechsel für die Landwirtschaft erkannt und dazu schon vor über einem Jahrzehnt das Verbundprojekt „FIXNET“ durchgeführt. Forscher aus fünf Nationen untersuchten die verschiedenen Stoffwechselwege in den Wurzelknöllchen der Leguminosen. Erst, wenn diese Prozesse genau verstanden sind, lassen sie sich optimieren und auf andere Kulturpflanzenarten übertragen.
Der Trick mit dem Kohlenstoff
Weil dem Stickstoff eine so enorme Bedeutung für das Wachstum zukommt, arbeiten weltweit Forscher an unterschiedlichen Wegen, den Stoffwechsel von Kulturpflanzen diesbezüglich zu optimieren. Ein wesentlicher Ansatz liegt darin, die Aufnahme von Stickstoffverbindungen aus dem Boden zu verbessern. Das haben Forscher der japanischen Okayama-Universität geschafft, indem sie in das Erbgut der Ackerschmalwand ein Mais-Gen einfügten. Ursprünglich gelang es nicht, den Stickstoffwechsel direkt zu erhöhen. Deshalb griffen die Forscher zu einem Trick: Durch das neue Gen steigt die Produktion von Kohlenstoffverbindungen in der Pflanze. Damit wächst ihr Stickstoffbedarf, und in der Folge erhöht sie von allein auch die Stickstoffaufnahme. Selbst bei nur geringem Stickstoffangebot gediehen die Pflanzen problemlos.
Unabhängige Knöllchenbildung
Ein anderer Ansatz ist der, auch Nicht-Leguminosen die Symbiose mit Rhizobien zu ermöglichen. Ein erster Schritt in diese Richtung ist Forschern vom John Innes Centre (JIC) im britischen Norwich und der Washington State Universität in den USA gelungen. Sie haben ein für die Knöllchenbildung der Leguminosen wesentliches Gen so verändert, dass die Pflanzen nun auch Knöllchen bilden, ohne dass Rhizobien bereits vorhanden sind. Könnten eines Tages alle Kulturpflanzen entsprechende Symbiosen eingehen, würde Stickstoffdünger praktisch überflüssig.
Stickstoff liefernde Symbiose bei Reis
Eine ähnliche Symbiose wie bei Leguminosen und Rhizobien haben Forscher der Universität Bremen vor einiger Zeit bei Reis mit Azoarcus-Bakterien beobachtet. Wie genau diese Gemeinschaftsbildung ausgelöst wird, ist noch unklar. Aber inzwischen ist das Erbgut der Azoarcus-Bakterien entschlüsselt, und die Wissenschaftler können gezielt die Genfunktionen untersuchen. Langfristig könnte es somit gelingen, bei Reis gezielt eine Stickstoff liefernde Symbiose zu etablieren.
GABI-Projekte rund um den Stickstoffstoffwechsel
Stoffwechsel und Symbiose können Pflanzenforscher am besten über die Gene studieren. Das Projekt „Genomanalyse im biologischen System Pflanze“ (GABI) widmet auch gleich zwei Vorhaben dem Stickstoff: „NITROGEN“ analysiert eine Wildreisform, die über eine erstaunlich gute Stickstoffaufnahme verfügt. „FUNCIN“ untersucht die stickstoffrelevanten Gene der Ackerschmalwand.
Sollte es den zahlreichen Forschungsbemühungen gelingen, die wichtigen Kulturpflanzen von der Stickstoffdüngung unabhängig zu machen, indem man sie befähigt, selbst oder über Symbionten elementaren Stickstoff zu verwerten, dann wäre das eine mindestens genauso große Revolution wie vor 100 Jahren das Haber-Bosch-Verfahren.