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Eine neu entdeckte Form der Pflanzen-Insekten-Interaktion hilft Kannenpflanzen, Nährstoffdiebstahl zu verringern

24.05.2013 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Nepenthes bicalcarata in ihrem natürlichen Habitat, dem Regenwald auf Borneo. (Quelle: © JeremiahsCPs / Wikimedia.org; CC BY-SA 3.0)

Nepenthes bicalcarata in ihrem natürlichen Habitat, dem Regenwald auf Borneo. (Quelle: © JeremiahsCPs / Wikimedia.org; CC BY-SA 3.0)

Wissenschaftler entschlüsseln den Weg, auf dem Ameisen in einer fleischfressenden Kannenpflanze zu beiderseitigem Vorteil leben

Carnivore („fleischfressende“) oder insectivore („insektenfressende“) Pflanzen besitzen die Möglichkeit, lebenswichtigen Stickstoff und andere Nährstoffe über Insekten zu erhalten, die sie mit ihren Fallen einfangen und anschließend verdauen. Diese Pflanzen besiedeln vorwiegend Bereiche, in denen das Stickstoffangebot stark begrenzt ist, so dass diese Nährstoffversorgung ihnen einen Standortvorteil gegenüber anderen Pflanzen bietet. Die Art Nepenthes bicalcarata nutzt dabei die Anwesenheit von Ameisen: Von der Ameisenart Camponotus schmitzi besiedelte Pflanzen haben eine bessere Nährstoffversorgung als unbesiedelte. Wissenschaftler der Universität Würzburg haben jetzt entdeckt, wie die Ameisen den Pflanzen helfen können, ohne selbst gefressen zu werden.

Symbiose mit einer Ameise

In der klassischen Myrmekotrophie (Ernährung von Pflanzen durch Ameisen) wohnt die Ameise in der Pflanze und stellt ihr im Gegenzug Nährstoffe (Exkremente, Fraßabfälle) zur Verfügung. Um so erstaunlicher erscheint es, dass auch eine insektenfressende Pflanze eine Symbiose mit einer Ameisenart eingeht.

Kannenpflanzen der Gattung Nepenthes bilden aus ihren Blättern gefäßartige Gebilde, die über eine glatte Oberfläche verfügen, so dass ankommende Insekten abrutschen und in die Flüssigkeit innerhalb der Kanne fallen. Dort zersetzen proteinspaltende Enzyme die Tiere und machen die Nährstoffe so für die Pflanzen verfügbar, die diese über spezielle Drüsen aufnehmen. Die ausschließlich auf Borneo vorkommende Art Nepenthes bicalcarata nutzt ihre Kannen noch auf eine andere Weise: Als „Wohnraum“ für die  Ameisenart Camponotus schmitzi. Die Ameisen nisten im verdickten Übergang vom Blattstiel zur Kanne. Mit ihren speziellen Füßen finden sie Halt auf der glatten Oberfläche der Kannenwände, sie schwimmen und jagen in der Kannenflüssigkeit. Diese ist im Vergleich zu anderen Nepenthes-Arten weniger zähflüssig, basischer und enthält wenig verdauende Enzyme. Durch diese eher harmlose Flüssigkeit können die Ameisen dort überleben, allerdings ist sie auch für andere schwimmfähige Insekten ungefährlich. Daher haben die Pflanzen ohne Ameisen einen deutlich geringeren Stickstoffgewinn, den sie zugunsten der Ameisenbesiedlung in Kauf nehmen.

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Die fleischfressende Pflanze Nepenthes bicalcarata bildet Kannen aus, in denen sie Insekten fängt.

Die fleischfressende Pflanze Nepenthes bicalcarata bildet Kannen aus, in denen sie Insekten fängt.

Bildquelle: © istockphoto.com / Amanda Rohde

Kolonisierte Pflanzen sind größer

Die Ameise Camponotus schmitzi tut einiges für ihren Vermieter: Sie reinigt die Oberfläche der Kannen von Pilzhyphen und erhöht so die Effizienz und Lebensdauer der Fangeinrichtungen. Die Ameise ist auch bekannt dafür, dass sie Fressfeinde von den Kannen fernhält. Die Wissenschaftler richteten ihr Interesse aber noch auf eine anderen Punkt: Da kolonisierte Pflanzen mehr Blattfläche haben und insgesamt kräftiger sind als Pflanzen ohne Ameisen, muss sich die Nährstoffversorgung durch die Anwesenheit der Ameisen wesentlich verbessern, was allein durch Reinigungsarbeiten und Feindabwehr nicht zu erklären ist. Daher untersuchten sie zunächst den N15-Gehalt in den Blättern der Pflanzen. Das stabile Stickstoff-Isotop N15 reichert sich in organischen Stoffen an, so dass sich innerhalb einer Nahrungskette der N15-Wert mit jeder weiteren Stufe erhöht, bis er bei den Fleischfressern am Ende der Nahrungskette die höchsten Werte erreicht. Bei den mit Ameisen kolonisierten Pflanzen fanden die Wissenschaftler erhöhte N15-Werte gegenüber unkolonisierten Pflanzen. Das weist darauf hin, dass die besiedelten Pflanzen im Gegensatz zu den unbesiedelten offenbar wesentlich mehr Stickstoff über Beute aus ihren Kannen bezogen, obwohl die Kannenflüssigkeit nicht besonders aggressiv ist. Die Anwesenheit der Ameisen macht die Ausbeute aus den Kannen also effektiver.

Ameisen fangen Zweiflügler-Larven

Wie helfen die Ameisen den Pflanzen bei der Versorgung mit Stickstoff? Die vergleichsweise „gastliche“ Umgebung in den Kannen von Nepenthes bicalcarata ermöglicht es nicht nur den Ameisen, dort zu leben, sondern auch anderen Lebewesen, wie zum Beispiel Larven und Puppen verschiedener Zweiflügler-Arten (Diptera). Diese schwimmen in der Flüssigkeit und profitieren vom Nährstoffangebot (Kleptoparasitismus). Die Forscher konnten nachweisen, dass die Ameisen diese Tiere in der Flüssigkeit fangen und sie anschließend fressen. Damit verhindern sie, dass die Larven sich zu geflügelten, „erwachsenen“ Insekten (Imagines) entwickeln und die Kannen verlassen – und mit ihnen die Nährstoffe, die sie aus der Flüssigkeit aufgenommen haben und die so der Pflanze verloren gehen. Durch die Ameisen werden diese Nährstoffe quasi im Ameisenkörper „zwischengespeichert“ und für die Pflanze bewahrt. Stirbt die Ameise, werden die Nährstoffe bei der Zersetzung an die Pflanze abgegeben. Pflanze und Ameise stehen also in einer Beziehung zueinander, die als mutualistische Symbiose bezeichnet wird.

Gewinn durch Verzicht

Die Investitionen, die die Pflanze hat, um die Ameisen zu beherbergen (schwache Kannenflüssigkeit, Wohnraum für die Ameisen), lohnen sich offenbar: Ohne die Ameisen würden der Pflanze durch davon fliegende Insekten täglich etwa 0,14 mg oder 18,7 Prozent des benötigten Stickstoffs entgehen. Selbst wenn die Ameisen nicht alle Tiere am Entkommen hindern können und auch teilweise selber auswandern (zum Beispiel neu geschlüpfte Königinnen oder geflügelte männliche Ameisen), behält die Pflanze offenbar genügend Nährstoffe für sich. Die Forscher konnten somit nachweisen, dass die Pflanze mit der Ansiedlung von Ameisen in ihren Kannen einen indirekten Verteidigungsmechanismus gegen Kleptoparasitismus entwickelt hat, indem sie durch die Ameisen andere Insektenarten daran hindert, Nährstoffe abzuziehen. So verschafft sie sich einen zusätzlichen Standortvorteil.


Quelle:

Scharmann, M. et al. (2013): A novel Type of nutritional ant-plant-interaction: Ant partners of carnivorous pitcher plants prevent nutrient export by dipteran pitcher infauna. In: PLOS ONE, (22. Mai 2013), doi: 10.1371/journal.pone.0063556.

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Titelbild: Nepenthes bicalcarata in ihrem natürlichen Habitat, dem Regenwald auf Borneo. (Quelle: © JeremiahsCPs / Wikimedia.org; CC BY-SA 3.0)